Als erfahrener Schachspieler, der bereits zahlreiche Titel errungen hat, empfinde ich die Begegnung mit einem Gegner, der kaum bis drei zählen kann, als schwieriges Dilemma. Vor mir sitzt Prinz Caligula, ein achtzehnjähriger Thronanwärter, dessen Herkunft ebenso ungewöhnlich ist wie seine geistige Ausstattung: Er ist ein Spross von Bruder und Schwester, die wiederum durch Bruder und Schwester gezeugt wurden. Ihre geistige Beschränktheit ist so ausgeprägt, dass sie kaum ausreicht, um das Land als Königspaar zu regieren – geschweige denn, dem zukünftigen Herrscher die Kunst des Schachspiels zu vermitteln. Somit obliegt mir die Aufgabe, dem Thronfolger das königliche Spiel beizubringen. Man sagt, dies sei notwendig, damit er lerne, strategisch zu denken, eine Fähigkeit, die für den Krieg mit dem Nachbarland unerlässlich wäre. Dieses Nachbarreich wird ebenfalls von einem schwachsinnigen Monarchen beherrscht, diesmal jedoch durch Vater und Tochter gezeugt.
Man erzählt sich, dass man ihm aufgrund seines ungestümen Wesens den Namen Caligula gab. Heute nennen seine Untergebenen ihn schon „Caligula der Schreckliche“ – zumindest jene wenigen, die noch leben. Für den geistig Eingeschränkten ist es ein riesiges Vergnügen, seiner Langeweile ein Schnippchen zu schlagen, indem er seine Untertanen zu Tode quälen lässt. Je langsamer dieses qualvolle Sterben verläuft, desto fröhlicher sieht er dabei aus.
Immer wenn er mich schachmatt setzte, entwich ihm ein triumphierendes Grunzen.
Doch wie kann es sein, dass dieser junge Mensch, der doch geistig so beschränkt sein soll, gegen mich gewinnt? Der Grund sind Regeln, die er selbst ausgedacht hat und die nur für ihn gelten. Während ich mich an die strengen Konventionen des Schachspiels halten muss und jede Figur nur nach festgelegten Regeln bewegen darf, ist es ihm gestattet, jede Figur nach Belieben zu verschieben. In letzter Zeit war es jedoch stets dasselbe Muster: Das Spiel endet immer nach höchstens zwei Zügen. Sobald er an der Reihe ist, greift er nach der Dame und schlägt meinen König, der eigentlich hinter den Bauern geschützt sein sollte – aber nicht nach seinen neuen Regeln. Nachdem er meinen König mit einer Geste der Verachtung durch den Raum geschleudert hat, ruft er aufgrund eines Sprachfehlers laut „Schmaaaatt!”, seine Augen weiten sich vor Siegeslust und sein triumphales Geschrei klingt wie das hysterische Aufbäumen eines Wahnsinnigen. Daraufhin verhallt seine verzerrte Stimme in einem wilden, unartikulierten Fanal schließlich langsam im großen Thronsaal.