Alles hat seine Zeit

Kommentar zum Thema Sprache/ Sprachen

von  Moppel


 

Früher war alles besser, sagen manche. Nicht unbedingt, sage ich, aber auf jeden Fall war es anders. Faktisch, praktisch, sprachlich. Es war so anders, dass mein Enkel die Dinge meiner Kindheit heute auf Fotos betrachtet wie wir die Häuser im Freiluftmuseum Kommern. Denn es gibt sie nicht mehr.

Wir denken an die Telefonzelle, in der man nicht etwa sein Handy einsperrte. Sondern man stand in dem sommerlich bis 50 Grad  aufgeheizten Glasgehäuse, warf 20 Pfennig in einen Kasten, nahm einen total versifften Telefonhörer, presste ihn an seine Wange und rief glückselig: Mama? Ich bin gut im Urlaub angekommen. Man hätte sich an dem bakterienverseuchten Teil alle Krankheiten der Welt holen können. Aber wir blieben gesund. Scheinbar hatten wir ein bombastisches Immunsystem.

Vielleicht kam es daher, dass wir als Kinder so oft draußen spielten und immer in Bewegung waren. Nix mit chillen. Wir hüpften Kästchen. Wozu wir Zahlen mit Kreide auf den Gehweg malten und dann von Zahl zu Zahl sprangen. Bescheuert, oder? Ganz Verrückte machten auch Gummitwist. Sprangen über Gummibänder, die man Mutter aus dem Nähkästchen klaute. Wir schnallten uns bleischwere und breitreifige Rollschuhe an und legten uns damit auf steilen Straßen abenteuerlich in die Kurve. Und wir bemalten Steine. Ja, so was, was am Wegesrand liegt. Wir gaben ihnen Gesichter, Blumen und schenkten sie unseren Müttern und Omas, die sich tierisch darüber freuten. Die hatten wohl auch einen etwas seltsamen Geschmack.

Denn sie stellten sich auf die Hutablage ihrer Autos Wackeldackel und häkelten Kleidung für ihre Klorollen. Das würde doch heute kein Mensch mehr machen. Überhaupt wurde damals noch gern gestrickt und gehäkelt und das Fach „Handarbeiten“ war ein Schulfach. Schließlich war es wichtig für Mädchen, dass sie Deckchen besticken und Strümpfe stopfen konnten. Dazu gab es ein Riesenholzei, das in den Strumpf geschoben wurde, damit man die Fäden um das Loch zusammenziehen konnte. Ich glaube, ich habe mich nur entschlossen, ein gutes Abitur zu machen, damit ich später genug Geld verdienen würde, um keine Strümpfe stopfen zu müssen. Heute kauf ich, wenn meine kaputt sind, einen 6 er Pack für 10 Euro bei Klick. Nein, es war nicht alles besser früher, nur anders.

Die Folge der hausfraulichen Strickwut gipfelte in wollenen Strickjacken, die wir dann tragen mussten, ebenso wie als Kleinkinder gar Strickstrumpfhosen. Das kratzte wie Hölle und grenzte schon an Kindesmisshandlung. Heute haben wir Microfaser. Herrlich.

Später trugen wir Windjacken, in denen man auch ohne dass der Wind sie aufblies, aussah wie eine Tonne. Und Schassübel. So eine missraten geschnittene Langweste für Mädchen.

Überhaupt gibt es Wörter, die heute keiner mehr kennt. Wir machten noch Fissemattenten. Es gab noch Kawänsmänner. Und wir aßen noch Russisch Ei.

Auch politisch war die Lage sprachlich anders. Es gab einen Brandt, der verzweifelt versuchte, eine Mauer wegzubekommen. Und heute bemüht man sich ebenso verzweifelt darum, eine Brandmauer zu halten.

Unsere Eltern sagten : Iss deinen Teller auf, damit du groß und stark wirst. Obwohl der aus Keramik war. Heute kaufen wir Light-Produkte, damit wir dünn und schwach sind.  Und obwohl wir Süßigkeiten futterten ohne Bedenken, Veilchenpastillen, Katzenzungen und Stutenkerle haben wir nicht alle Diabetes und schlechte Zähne. Und es gab viel weniger fette Kinder als heute.

 

Es war Nachkriegszeit und der Schmerz des Krieges war noch in allen Köpfen. In allen Familien. Man sprach nicht viel darüber. Und erzog meine Generation zu Pazifisten. Politisch rüstete man ab. Heute wird viel von Kriegsgerät gesprochen, als wäre es Spielzeug.  Nein, es war nicht alles besser früher, aber manches doch.

Und a propos Spielzeug: An jeder unserer Taschen baumelte ein  Mon Chichi. Ein niedliches, dickliches Bärchen. Jede Zeit hat ihren Kult. Die Mon Chichis dürfen wiederkommen. Der Krieg und das Schassübel auf keinen Fall…

 



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Kommentare zu diesem Text


 Citronella (09.07.25, 11:31)
Ach ja, Moppel, dem könnte man noch viel hinzufügen, z. B. Hula-Hoop-Reifen (sehr gut), Strumpfhalter (in den damaligen Versionen einfach grauenhaft) und wasweißich.
Und das mit den Handarbeiten kann ich sehr gut nachvollziehen …  :woot: Neulich las ich in einem alten Biologie-Schulbuch aus den frühen 60-er Jahren zum Thema Augen folgendes:
Will man die Augen schonen, so darf man weder bei schwachem noch bei grellem Licht lesen, schreiben, nähen oder stricken.
Wenn die Verfasser damals schon gewusst hätten, was Augen am Bildschirm heute aushalten müssen …  ;)

 Moppel meinte dazu am 09.07.25 um 12:48:
:D so ist es wohl liebe Citro. Hullahuppreifen gibt es heute noch. Strumpfhalter ist heute eher Erotikware GGG
danke für die Empfehlung und lG von M.

 Saudade (09.07.25, 12:11)
Kriege sah ich nur im Fernsehen. Gott sei Dank. Meine Eltern turnten noch im Schutt herum. Das möchte ich mir gar nicht vorstellen. 
Vielleicht liegt es am Mond. Hab gestern auch an Dinge von Früher gedacht...an den Walk- und Discman, an Omas lautes Kaffeemahlwerk in Orange, an Prilblumen und Calimero-Badeschaum, an Fackeln im Sturm und v.m.

 AchterZwerg (09.07.25, 16:47)
Hallo Moppel,

niemals nicht baumelte etwas an mir herunter, allenfalls die seinerzeit(!) karge Oberweite.

Scheint sich wieder mal um ein ausschließlich rheinländisches Chichi zu handeln!

 Moppel antwortete darauf am 09.07.25 um 18:57:
:D er.  Wie ich deinem Satz entnehme, sieht man, dass alles mit der Zeit "wachsen kann" GGGGGGG und vielen Dank für deinen humorigen Kommi.lG von M.

 Perry schrieb daraufhin am 09.07.25 um 20:05:
Hallo Monika,
jede Zeit hat ihre Eigenheiten, leider hat die Kriegserfahrung nicht gehalten und wir leben wieder in bedrohlichen Zeiten.
Letztlich ist der Mensch wohl doch nicht die "Krone" der Schöpfung und wir müssen uns unseren Dämonen erneut stellen.
Gern zurückerinnert und LG
Manfred
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