Ein Ghospel-Chor tritt heute auf. Mag ich gerne. Wollte ich damals schon mitsingen, auch, um hier in der neuen Stadt etwas Anschluss zu finden. Aber ich bin ein Immi. Ein Immi von Kerpen hinter Köln. Und dann kam auch noch Corona dazwischen. Ich hatte beim ersten Versuch schon fast einen Fuß in der Tür. Wenn da nicht der tierisch unsympathische Pastor gewesen wäre. Und ich nicht ein Immi aus Kerpen…
Heute nun, vier Jahre später ergibt sich vielleicht eine neue Chance. Ich denke: Wenn die solch Kultur anbieten, vielleicht haben die ja auch Interesse an einer schönen Dichterlesung von mir. Hoch gesteckte Ziele. So gehe ich dahin, zum Ghospel-Chor-Konzert. Und ich nehme Männe mit, damit der rauskommt und auch, damit wir anschließend über meinen „Anschluss-Erfolg“ sprechen können. Männe hat kein Bedürfnis nach Anschluss, er sitzt gerne mit den Männern beim Hassan. Auch nicht nach Ghospel-Chor, schon gar nicht nach Kirche. Aber er liebt mich und begleitet mich.
Es geht ja für mich schließlich um etwas. Darum achte ich auf meine Kleidung. Bloß nicht zu pompös, etwa noch auffallen mit edlem Schmuck. Dann biste ja gleich unten durch hier. Ich wähle eine grüne Hose, die ich schon seit vier Tagen beim Hundespaziergang anhabe. Ein kleiner Flecken ist menschlich, macht mich sympathisch. Bestimmt. Die ticken hier doch so seltsam. Darauf ein Designer-Shirt, natürlich ohne Strass und eine Blazerjacke in dem Fliederton, der im Moment modern ist. Und der sich in den Blumen des Shirts wiederholt. Zu fein, murmelt mein Mann. Und ich zeige auf seine faltige, helle Hose, die ich noch gestern gebügelt habe. Gleicht sich dann ja aus, sag ich trocken und irgendwie unlustig.
Die Kirche ist ganz gut besucht. Ich sag: Tach. Keiner antwortet. Man schaut auf mein fliederfarbenes Jäckchen und ich befürchte, ich habe den Gesichtsausdruck, den ich nicht haben sollte. Männe nimmt meine Hand. Hat er lange nicht getan. Scheinbar denkt er, ich bräuchte Hilfe?
Wir setzen uns und ich betrachte die Damen, um deren „Anschluss“ ich mich zu bemühen hier bin. Haben sich viel zu erzählen. Wo sie all im Urlaub waren. Ich war nicht im Urlaub. Eine dreht sich um zu mir. Warum weiß ich nicht. Sie lächelt nicht. Ich lächle auch nicht.
Die neue Pastorin macht die Begrüßung. Nicht unsympathisch. In mir keimt Hoffnung. Der katholische Cäcilienchor beginnt. Nicht übel. Aber die Lieder, die ich als junge Frau begeistert mitsang, finden kein Echo mehr in mir. Da hallt nichts nach. Ich glaube nicht mehr an Jesus. Das ist mir irgendwie zwischen Afrika, Ceylon und Kerpen abhanden gekommen. Ich glaube an Gott. Aber das wird hier nicht reichen.
Mein Mann tätschelt meine Hand und ruft lauthals ( weil er sein Hörgerät vergessen hat und nicht einschätzen kann, WIE laut er ruft): Das hat doch Alex mal mit ihrem tollen Schulchor am Gymnasium gesungen. Jaaa, das hat sie und tausend Mal besser. Aber ich zische Pschschscht.
Der Mann vor uns, der aussieht wie der Typ im TV damals, der mit seiner Partnerin im Internet vor Jahren Frauen anlockte, sie dann im Keller einsperrte, misshandelte und missbrauchte… (der Gedanke sprang mich schon an, als das Päarchen die Kirche betrat. Weiß nicht, warum). Dieser Typ also dreht sich wütend um und schaut meinen Mann an, als wolle er ihn auffressen. Ich halt mir den Zeigefinger an den Kopf uns flüstere: Bumm. Der Typ fällt vor Schrecken fast vom Stuhl und mein Mann fragt unschuldig: Was is, Moni? Ich sag: Nix.
Mein Traum ist nur soeben gestorben. Er verendete im zweiten Satz von Nabuko.
Und ich nehme ein TicTac. Klatsche nun beim Ghospel Hey Man mit, damit mal wenigstens etwas Bewegung in die Musik kommt. Die Chorleiterin sieht mich dankbar an, denn auch hinter mir klatschen jetzt plötzlich welche mit. Wow! Was für eine Stimmung in diesem bräsigen Publikum. Ein Pluspunkt für mich. Aber es steht 2:1 gegen mich.
Jetzt 3:1, denn ich verschluck mich am TicTac und muss husten. Ich kann mich sogar an meiner eigenen Spucke verschlucken. Mein Enkel kann das auch. Nur wir beide. Phänomenal…
Ich überlege, ob ich rausgehen soll, um zu husten. Und vielleicht gleich draußen bleiben... Aber Männe umklammert meine Hand. Er kennt mich zu gut.
Irgendwann haben sie endlich abgedudelt und ich verspüre starken Drang nach Flucht und einer Zigarette. Männe aber hindert mich daran und sagt: Du wolltest doch mit der Pastorin reden, Moni. Wann war der Mann in den letzen Jahren je so empathisch? Ich zieh an seiner Hand und er – er, der sonst stumm ist wie ein Fisch, sagt zu der entgegenkommenden Pastorin: Meine Frau wollte mal mit Ihnen sprechen. Die drei griesgrämig dreinschauenden, altersdürren Weiber, die sie umschleichen, blicken ihn böse an. 4:1, würde ich mal sagen. Und ich spreche, als sie widerstrebend gehen, mit der Pastorin. Mit der, sich nicht mal vorstellt. Spreche ich. Belangloses.
Eine nette Dame vom Chor wendet sich mir zu: Möchten Sie gerne im Chor mitsingen? Nein, will ich nicht mehr, denke ich. Antworte aber freundlich: Vielleicht. Sie lacht: Schön! Es gibt tatsächlich in diesem Raum eine Person, die lacht. Ich lache mit. Ist irgendwie befreiend. Ich lache noch, als sie sagt: Wir proben aber in Köln. Wir sind alle aus Köln, nur ich bin aus der Eifel. Klar, denke ich, war ja irgendwie klar.
Männe schüttelt den Kopf. Er weiß, ich werde jetzt gehen. Und niemand wird mich mehr daran hindern können.
Draußen sagt er bedrückt: Ich hätte dir so sehr gewünscht, dass du Anschluss findest und wieder deine tollen Gedichte lesen würdest. So wie früher. So eine Scheiße. Das ist einfach hier nicht dein Ort, Moni.
Schweigend gehen wir nach Hause. Stürmisch begrüßt mich mein Mops und kurz darauf ruft meine Tochter an. Ziemlich beunruhigt. Wo seid ihr? Ich hab mir schon Sorgen gemacht!
Ich sag: Kultur und Anschluss schnuppern.
Wieso, fragt sie, wart ihr in Kerpen?
Anm. Immi - kölsch für Einwanderer