Der Ring der vergessenen Vergangenheit

Monolog zum Thema Vergeblichkeit

von  RainerMScholz

Ein Weihnachtsfeiermonolog


Ein Schauplatz, den ich nicht benennen will.


Aber so kennen wir Dich ja gar nicht. Wo hast Du denn den Ring da am Finger her, das ist ja ein Totenkopf.“

Von einem fetten Skinhead aus dem Speak Easy in Sachsebach in Frankfurt, damals in den Achtzigern, weil der noch ein paar Bier trinken wollte, für fünfzig Mark.“

Du warst da als junger Mann?“

Ja, als junger Mann, am Arsch. Jetzt sitze ich hier bei dieser beknackten Firmenfeier und muss so tun, als wäre ich jedermanns bester Freund, und kein Soziopath.“
„Und was noch?“

Was?“

Mit dem Ring kann man bestimmt jemandem weh tun.“

Ich hab´ gesehen, wie mit einem anderen Typen eine Autotür eingedrückt worden ist; und die waren bloß aus einem anderen Stadtteil; und deswegen gab`s auf die Fresse. Total aufregend, aber da lag ich schon am Boden und hab´ nur zugesehen, aus den verquollenen Augenwinkeln, wie Edgar, an die drei Meter groß, behaart wie ein Orang-Utan, mit Metalweste und Stickern und so, die fertig gemacht hat, und Olaf und Chris; und danach sind wir zu mir und haben den Kasten Bier fertiggetrunken.“

Das stimmt doch nicht.“

Vor dem Elfer wollte mich `mal einer mit `nem Bleirohr töten, weil ich auf seiner Motorhaube gesessen habe, als er aus der Kneipe kam, natürlich um einiges nüchterner als ich; aber der wollte mich töten, bestimmt, kam gerade aus dem Knast und ich sitze auf seinem Auto vorne drauf; da hat er mich umgeknockt, und dann hatte er so ein Stück Rohr in der Faust. Gerrit hat ihn mit dem, was er für Jiu-Jitsu hält, abgelenkt, bis die Bullen kamen. Ich war da eine halbe Stunde oder so weggetreten, und am nächsten Tag musste ich doch abends zur Nachtschicht an den Flughafen, was den Arzt, den ich aufgesucht hatte, nicht die Bohne interessierte, im Gegenteil, der wollte von so einem Asso wie mir nicht groß behelligt werden, und außerdem, wer säuft, kann auch arbeiten. Wie mein Kinderarzt aus Trier, der mir meine Atteste verweigerte, weil Bundeswehrdienst für`s Vaterland bestimmt das Richtige für mich sei, für so ein Ghettokind, nicht wie sein bleichgesichtiger Weicheisohn, zu dessen Geburtstag wir anderen Jungen eingeladen wurden, damit er nicht ganz so alleine auf dem Schulhof steht und sein Pausenbrot geklaut bekommt, und da gab es Sachen zu essen, die hatten wir noch nie gesehen, und Spiele und ein Alleinunterhalter, alles was es bei den Reichen eben so gibt, fehlte nur noch Ponyreiten. Als alles vorbei war sind wir wieder heim, vorbei an der Franzosenbesatzersiedlung, über den staubigen Bolzplatz an dem verkackten Spielplatz und wussten gar nicht, was wir unseren Eltern und Großeltern erzählen sollten. Am nächsten Montag war das Pausenbrot wieder weg und der Kinderarztsohn stand alleine auf dem Schulhof mit seiner bleichen, pickeligen Visage und den hängenden Schultern.“

Das denkst Du Dir doch gerade aus.“

Jaja, ich denke mir das aus.“

Und die Frauen?“

Welche Frauen?“

Na, es muss doch auch `mal Freundinnen oder so gegeben haben.“

Ja, lauter Pech und Pannen. Entweder ich hatte die Dorfmatratze oder die wollten nur mein Sperma.“

Wie bei Boris.“

Wer?“

Der Tennisboris.“

Die Schlimmste war die, mit der ich Musik gemacht habe, naja, Musik, in der Band eben, Punk und so. Die war offensichtlich lesbisch, aber ich war zu blöd, das zu kapieren. Aber meine gute Mutter, die mich immer im Stich gelassen hat, wies mich zu ihren besten Zeiten mit Bedacht darauf hin, sie wusste bestimmt, zu welchem Zweck das gut sein sollte, dass Verhütung das allerwichtigste sei beim Kinderzeugen. Und da ejakulierte ich eben auf ihre Muschi, statt in sie hinein. Eigentlich wollte ich ja auch viel eher etwas von ihrer Freundin, aber die nicht von mir.“

Jetzt gib dem nichts mehr zu trinken!“

Lass doch.“

Ich erzähl´ doch bloß. Hier, der Kollege wollte doch alles wissen.“

Nein, Schluss jetzt!“

Die andere im Rheingau wollte mich ihren Eltern vorstellen und fragte, ich hatte die Lederjacke an und alle Nietengürtel, wo denn mein Anzug sei, die Krawatte und so, meine Fresse, das ging schnell vorbei. Oder Karola, die zwei Köpfe größer war als ich, und morgens das abgestandene Bier vom Vorabend wegpetzte in einem Zug. Oder Birgit, die immer aufhörte geil zu werden, weil ich ihren BH nicht imstande war zu öffnen mit zweikommafünf Promille. Oder Susanne, die von Esther geschickt worden war, um mich von Anja zu entfreunden, was auch geklappt hat.“

Jetzt halt´ doch endlich das Maul, soviel dummes Geschwätz hält ja keiner aus.“

Aber ihr wolltet doch wissen, was mit dem Totenkopfring an meinem Finger los ist, ihr Schwachmaten. Da war noch die Musik, wenn man das so nennen will, alles vergebens, keine großartigen Auftritte, kein Publikum; die Schreiberei – vergeblich, ihr kennt das ja, könnt ja alle selber nicht schreiben; die unnützen Praktika bei Ausbeuter- und Idiotenfirmen; die Nebenjobs, so einen, wie ich jetzt gerade mache; da ist noch das katholische Jungeninternat in der Eifel bei den Missionaren von der Heiligen Familie, aber da wird der Abend dann richtig lang; die Verlassenheit bei der behinderten Oma und dem schwerhörigen Opa, der Tod meines Onkels, alles zuviel und nochmals zuviel; die verstümmelten und totgefahrenen Katzen; die Vergeblichkeit all der beschissenen Bemühungen um ein richtiges Leben...; und natürlich Venom und Exploited und Motörhead, bevor ich aus dem Fenster springe, Heil Satan, Overkill und Fuck the system.“

Hallooo! Gib dem Bub doch `mal `was zu trinken, dass der endlich den Rand hält.“

Das ist endlich ein Wort, auch wenn das natürlich noch längst nicht alles gewesen ist. Und dann geh´ ich jetzt `raus eine rauchen, dass ich euch nicht mehr sehen muss, ihr Flachwixer. Nächstes Mal erzähle ich dann die ganze Wahrheit.“


Der lügt doch, der Penner.“

Klar, Dummschwätzer. Weiß nicht, ob der am Montag nochmal auftauchen muss.“

Wo sind denn die Christkindlsplätzchen?“

Die Selbstgebackenen?“

Ja, genau die.“



© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (09.08.25, 10:43)
Köstlich, lebensnah, nur 9 mal gelesen - so gehts bei den Autenthischen leider oft.
Aber sag mal, mein Freund Mattes erzählte auch, als er noch lebte, vom Elfer und wurde da auch zusammengeschlagen. Das war aber in Neu Isenburg. Gibts eine Kneipe mit dem Namen vielleicht öfters?

 RainerMScholz meinte dazu am 11.08.25 um 15:27:
Kommt bestimmt öfter vor, da der Name sich ja von einer Fußballregel ableitet. Im speziellen Fall kann ich mich da aber nur an die Schoppemannschaft erinnern, von der ich nicht glaube, dass sie jemals auf einem regelrechten Fußballplatz gespielt hat. Da hat auch eher niemand die Bundesliga geschaut.
Gruß + Dank,
R.
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