Warten auf Bernhard

Erzählung

von  Wastl

Und wieder sitze ich im Café Bazar, vor dem Stammplatz von Thomas Bernhard, und starre wie ein Idiot an die Wand. Hinter mir sitzen die anderen Gäste, typisch hochnäsig, wie Salzburger nun mal sind, weil sie sich darauf etwas einbilden, Salzburger zu sein, als wäre dieses mickrige Kaff, in dem jeder jeden kennt, so etwas wie eine Weltstadt, wie Rom, London oder Paris. Mit dem Drecksloch und der ewigen Baustelle Berlin fange ich erst gar nicht an.

Und wieder kommt er nicht, der Vater der Regerfigur seines Meisterwerks 'Alte Meister', das Buch schlechthin, das ich inzwischen schon 476-mal gelesen oder von Thomas Holtzmann vorgetragen gehört habe. Mann, dieser Reger, der täglich auf der Bordonesitzbank im Kunsthistorischen Museum von Wien sitzt. Eine Sitzbank, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Aber das war Bernhard ja immer egal. Ob etwas wirklich so war, wie er es beschrieb, oder nicht. So wie die Lechkloake Augsburg. Eine Stadt, die er in seinem Leben bisher noch nie gesehen hatte, geschweige denn kennt. Meine Güte, hat sich der Bürgermeister von Augsburg damals aufgeregt, als er 'Lechkloake' las.

Offensichtlich hat Bernhard auch nie sämtliche Toiletten in Wiens Gasthäusern auf ihren Hygienezustand hin untersucht. Im selben Buch lässt er seinen erfundenen Reger behaupten, dass die Wiener Toiletten die schmutzigsten Europas sind. Bernhard war offensichtlich noch nie in Paris. Das ist aber auch nicht nötig, denn er soll jetzt endlich hier erscheinen, damit ich die schönen Gespräche, die ich sonst mit ihm habe, endlich weiterführen kann.

Mit niemandem kann ich so gut zusammen lachen wie mit Bernhard. Oft verfallen wir beide gleichzeitig in ein unaufhörliches Gelächter, wenn wir uns nur kurz ansehen. Wir finden uns scheinbar komisch genug, um in unaufhörliches Gelächter zu verfallen. Bernhard versteht es, mit kurzen Bemerkungen lange Gespräche über komische, oft unfreiwillig komische Themen zu beginnen.

Im Zentrum seiner Bemerkungen steht meistens der Mensch als Objekt der Lächerlichkeit und Erbärmlichkeit. Bernhard und ich sind uns einig, dass Menschen zwar auf der einen Seite absolut genial, bewunderungswürdig, fast schon anbetungswürdig und was weiß ich noch alles positives sind. Auf der anderen Seite sind die Menschen aber auch geradezu unendlich blöd, peinlich, bemitleidenswert, erbärmlich, schrecklich, katastrophal, widerwärtig bis zutiefst verachtenswert. Was die absolute Widerlichkeit und Verachtenswertigkeit des Menschen betrifft, kommt keine Pflanze und kein Tier heran, meine ich und Bernhard.

So wunderbar, genial, wunderschön und liebenswert die Menschen auch sind, so sehr sind sie auch das krasse Gegenteil. In diesem Spannungsfeld zwischen absolut Gutem und Schönem einerseits sowie absolut Schlechten und Hässlichen andererseits baut sich das Phänomen Mensch als hochinteressantes Studienobjekt vor uns auf, das uns gleichermaßen fesselt, fasziniert und bewundern lässt, aber auch zutiefst abstößt.

Und wie so oft, während ich warte, bis Bernhard endlich kommt, setzt sich mal wieder so ein selbstverliebter Konkurrent des Bernhardbewunderns und sich mit ihm unterhalten wollens, ausgerechnet auf Bernhards Sitzplatz. Es gibt kaum etwas, das Bernhard mehr verabscheut, als wenn jemand nicht nur darauf aus ist, an seinem Tisch zu sitzen, um mit ihm eine gepflegte Unterhaltung zu führen, sondern sich auch noch dreist auf seinen Sitzplatz setzt. Und, wie er mir einmal anvertraut hat, schlimmstenfalls sogar auf seinem Sitzplatz übelriechende Gase verbreitet.

Bernhard ist da äußerst empfindlich. Allein der Gedanke, dass jemand auf seinem Sitzplatz Darmgase entlässt, lässt ihn erblassen. Da Bernhard sich sehr gut alles Mögliche vorstellen kann, leidet er nicht selten wie ein geschlagener Hund, wenn er jemanden auf seinem Sitzplatz sieht, der anscheinend vorhat, sich mit ihm zu unterhalten, während er mit seinen Gasen Bernhards Sitzplatz besudelt.

Und dann ist es mal wieder dieser unsensible Qualtinger, der vor mir auf Bernhards Platz sitzt und mich fragt ob Bernhard vor hat zu kommen.

Qualtinger und ich kennen uns schon lange. Ständig konkurrieren wir um Bernhards Zuneigung. Das wurde inzwischen sogar ein wenig peinlich, wie Außenstehende und Oscar Werner, der hier in Salzburg wohnt, bestätigen. Werner nahm mich einmal zur Seite und sprach mir ins Gewissen. Ich solle mich in Gegenwart von Bernhard nicht zu sehr vor Qualtinger die Blöße geben. Zum Beispiel solle ich mich zurückhalten, wenn Qualtinger sich mit Bernhard unterhält. Aber ich tu das Gegenteil und dränge mich immer dazwischen, wenn Qualtinger sich mit Bernhard unterhält, indem ich von was ganz anderes spreche, als Qualtinger spricht. Das ist übrigens eine sehr erfolgreiche Methode, um den Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen. Ich lernte diese Methode durch Walter Kohut, jedoch erklärte Kohut mir diese Methode nicht, weil er sie gut, sondern weil er sie schäbig findet, sozusagen als abschreckendes Beispiel. Mir war das damals aber egal, als ich Kohuts Beschreibung in der Praxis oft anwandte, während Qualtinger und Bernhard miteinander im Gespräch waren.

Oft hatte mich Qualtinger nach so einer Aktion für ein paar Wochen nicht mehr gegrüßt. Und das war mir auch recht so. Für mich steht immer an erster Stelle, alles Mögliche zu tun, um zwischen mir und Bernhard alles aus dem Weg zu räumen um mit ihm ein ungestörtes Gespräch führen zu können. Meine „Aus-dem-Gespräch-herausdräng-Methode” wende ich aber nicht gegen jeden an. Bei Therese Giehse traue ich mich beispielsweise nicht, wenn sie sich mit Bernhard in einem Gespräch befindet. Denn Bernhard schätzt sie sehr, und ich will es mir nicht mit ihm verderben.

Dasselbe gilt übrigens auch für Bruno Ganz und Bernhard Minetti. Solange sich Bernhard mit einem von den beiden unterhält, drängele ich mich nicht dazwischen.


Fortsetzung folgt ...


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