Entwöhnbare Gewohnheitstiere?

Text

von  Walter


Gewöhnliche Sterbliche
  wohnen in ihren Gewohnheiten.

 

Der englische Empirist David Hume hielt nicht nur den Menschen für ein Gewohnheitstier, sondern auch die Kausalität in der Welt für bloße Gewohnheit.

Das Kind schreit, wenn es geschlagen wird.

Schreit es,  weil  es geschlagen wurde, oder immer wieder,  nachdem  es geschlagen wird? Wir neigen ja dazu, die gewohnt wiederholte zeitliche Aufeinanderfolge zweier Ereignisse für kausale Auseinanderfolge einer Wirkung aus einer Ursache (oder sogar teleo-logischen Erfolg) zu halten, wenn nicht am Ende für die logische Implikation : Folgerung eines Schlusses aus seinen Prämissen. Kant fand für die Verstandeskategorie der Kausalität bekanntlich eine andere und bis heute umstrittene Lösung.

 

Der Journalist und von mir sehr verehrte katholische Schriftsteller Gilbert K. Chesterton (1874 - 1936) erfand nicht nur die unscheinbare Figur des in fünfzig Erzählungen gewohnheitsmäßig erfolgreich kriminalisierenden Father Brown, sondern interpretierte auch die Naturgesetze des Universums als die bloßen Gewohnheiten seines Schöpfers, Gewohnheiten, die Er natürlich auch eines Tages ablegen oder jederzeit durch andere ersetzen könnte. Und die moralischen Sittengesetze sind dann nur praktische Konsequenzen aus diesen Gewohnheiten des Pankreators. Selbst moderne Kosmologen sind sich ja nicht sicher, ob die Naturgesetze des Alls im Laufe der letzten 14 Jahrmilliarden nicht vielleicht eine Evolution durchgemacht haben. Ist sogar der Schöpfer des Multiversums eine Art von entwöhnungsfähigem "Gewohnheitstier" ganz wie sein mutmaßliches Ebenbild? 

Die Pädagogik hat immer ebenso gewarnt vor überverwöhnten, verzärtelten und verhätschelten wie vor allzu (str)eng und kurz gehaltenen Kindern, aber die Tugend als goldene Mitte zwischen zwei Lastern gerät stets recht mittelmäßig. Einer Zeit, die schrankenlose Wendigkeit und ewig jugendliche (Ver-)Lernbereitschaft propagiert und andressiert, um den Anforderungen eines rasant sich beschleunigenden technisch-organisatorischen Fortschritts auch zu genügen, ist als retardierendes Korrektiv eher der entwöhnungsunwilligste Gewohnheitskult zu empfehlen.

 

Natürlich bleibt freier der an Bedürfnislosigkeit als an Luxusbedürfnisse Gewöhnte. Verwöhnender Überfluss an Überflüssigem macht eher suchtkrank. Ein Absetzen gewohnter Massenmedienkost z. B. generiert heute lebensgefährliche Entzugserscheinungen.

Auf seiner lernunwillig kommoden Bequemlichkeit zu beharren, ist aber auch ein legitimer Akt des Widerstands und der wirksamen Revolte gegen den grassierenden sozialen Überanpassungsfuror. Ohne Flucht in Sucht ist das gleichzeitig überfordernde und todlangweilige  moderne Leben in den Hochleistungsgesellschaften kaum erträglich, ohne unvermerkt geisteskrank zu machen – was dann als lebenstüchtig gesunder Menschenverstand gilt.

 
Schluss mit "Fortschritt"!

 

Stereotype Gewohnheiten entlasten von permanentem  Entscheidungsdruckstress. Freie Sehnsucht nach bequemsten Gewohnheiten gebrandmarkt als tyrannische Sucht?

 

"Die beste Wärterin der Natur ist Ruhe."
   (William Shakespeare)

"Ruhe ist das erste Bürgerrecht."       
(Johannes Gross)

 

Der zeitlebens melancholische Nobelpreisträger Samuel Beckett hielt Dauergewohnheiten für hochwirksame Antidepressiva und empfahl sie allen habituellen und suizidalen Griesgramen als bestes Psychotherapeutikum mit geringsten Nebenwirkungen.

Im vorgerückten Lebensalter verfestigen sich alte liebgewonnene Gewohnheiten leicht zum gefürchteten Altersstarrsinn, der aber auch seine guten Seiten hat. Seine bewährten Gewohnheiten sollte man sich nicht abgewöhnen lassen, und jedem Zeitgeist, der solches ideologisch rechtfertigt, mit gut begründetem Argwohn begegnen.

 

 Der Kampf gegen "erstarrte" Gewohnheiten sucht nur unsere unbegrenzte Anpassungsbereitschaft an die vielen Hakenschläge des kranken Zeitgeists zu animieren. 



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online: