An einem Samstag im September

Innerer Monolog

von  bratmiez

Oh, sie lügen - diese Spiegel! Jeder zeigt mir ein anderes Gesicht. Egal, Fotos sind auch nicht besser. Willy mäht seit Stunden die 60m² Rasen vorm Haus. Immer wieder findet er einen Grashalm, der aus der Reihe tanzt. Die Nachbarn halten ihn für verrückt. Na ja, vielleicht ist er das auch. Im Treppenhaus riecht es nach Bohneneintopf. Komisch - noch nie roch es hier an einem Samstag nach Bohneneintopf. Bohnen als Beilage, ja, aber Eintopf? Heute ist sowieso alles anders. Hab die halbe Nacht nicht geschlafen, weil ich ständig diese eine Szene im Traum erlebte - und wieder, und wieder. Heute morgen dann hab ich mich nicht mehr wiedererkannt. Tränenlose, rot geschwollene Augen starrten mich panisch an, und es schien fast so, als hätten sie das Lächeln verloren....auf ihrer letzten Traumreise. Oder war es einfach nur der Spiegel? Es geht mir doch gut, sehr gut sogar! Kein Zittern, keine Unruhe, nicht das geringste Zeichen eines Emotionsausbruches. Ich werde mich selbst fotographieren, ja. Willy hat sich inzwischen hingesetzt. Er gönnt sich eine Pause. Mir darf das heute nicht passieren - fatal wären die Auswirkungen...würde ich nur einmal zum Nachdenken kommen. Die Hände sind eiskalt und der dicke Kloß in meinem Hals läßt mich beinahe ersticken.

Noch einmal öffne ich die Tür zum Treppenhaus. Alles ist so still. Da, wo man sonst keinen Moment Ruhe hat, vernimmt man heute nur das lästige Bratzeln der Fliegen an der Fensterscheibe. Einen Kaffee werde ich mir kochen, ja. Die Katze liegt zusammengerollt auf der Fensterbank und gibt nur von Zeit zu Zeit einen kleinen zufriedenen Seufzer von sich. Der kleine Spiegel rakt aus meiner Tasche und wirft ein winziges Stück Sonne an die Decke. Mit dem buntbemalten Kaffeepot in der Hand laufe ich orientierungslos durch die gesamte Wohnung. Dieser Spiegel, verdammt. Und dann wage ich doch einen Blick hinein. Ich hätte es wissen müssen - Augen können nicht lügen! Wie von Sinnen stürze ich zum Fenster...............atmen.......einfach nur atmen! Die Katze macht einen großen Satz zur Seite und blinzelt mich schlaftrunken von jener an. Es interessiert mich nicht - liebe Katze, liebes Blinzeln - na und!!! Willy ist eingeschlafen. Wie kann er nur? Wie kann er jetzt schlafen????! ....atmen...aaaaaaaaaatmen...ein-aus, ein-aus, ein! Kalte Hand ballt sich zur Faust und schlägt sich die Knöchel weich. Mamorfensterbank, so blutig schön glänzt du in der Abendsonne!

Ich tue Dir Unrecht...mir Unrecht...ihr Unrecht, ja. Wo ist bloß dieser verdammte Schlüssel? Egal, Willy hat einen Ersatz bei sich gelagert. Und ich knall einfach die Tür hinter mir zu, stürze durch das Treppenhaus - raus, weg....ganz schnell! Und ich atme wieder aus, laufe immer hastiger. Still, wieso ist es heute so unendlich still? Nicht einmal die Vöglein singen ihr Lied. Kein Mensch ist zu sehen - weit und breit sind es nur die Fliegen, welche sich an den aufgewärmten Hauswänden sammeln. Ich laufe und laufe und renne schließlich. Im Kreis - im Hamsterrad.....komme keinen Meter weiter! Es ist Nacht. Der Mond nimmt rasend schnell ab. Ein Hydrant vor meinem Haus gibt mir endlich Halt. Ich falle auf die Knie, umarme ihn und schreie so laut ich kann in den Himmel. Eine Hand streicht über meinen Kopf - Willy! Meine müden Füße tragen die schweren Beine nicht mehr. Mit dem Zweitschlüssel öffnete er mir die Tür. Mittlerweile ist es kalt geworden. Ja sogar Schneeluft windet sich durch das gekippte kleine Badfenster. Hab den Wasserhahn aufgedreht, damit ich meine Gedanken nicht höre. Vor mir liegt jene Schachtel Tabletten, ja.
Ein letzter Blick in den Spiegel zaubert ein Grinsen in mein Gesicht. Meine Hände glühen und der Kloß in meinem Hals ist fast verschwunden. Mittlerweile ist es 1:49 Uhr. Die Katze streift mir schmeichelnd um die Beine. Ich nehm sie auf meinen Schoß und versinke in einen tiefen Schlaf...........

Dreiundzwanzig Stunden später:

Es ist Montag.....alles vorbei. Keine Fliegen mehr im Hausflur, kein Bohneneintopf, all die Spiegel habe ich zerschlagen, der Rasen wächst weiter, Willy kämpft wieder mit seinem chronischen Husten und die leere Tablettenschachtel fliegt im hohen Bogen aus dem Fenster.
Es geht mir gut - keine kalten Hände, kein Kloß im Hals aber dieses Zittern, diese Unruhe, dieses unbeschreibliche Drücken in meiner Magengegend machen mir Angst....einfach nur Angst! Ich kann es nicht zuordnen - das Gefühl.

....ist es überhaupt ein Gefühl oder bist DU das?

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Kommentare zu diesem Text

xrotbartx (50)
(18.09.05)
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 bratmiez meinte dazu am 18.09.05:
vielen dank für das lob, harald. ach und, ich wiederhole mich bestimmt - zumindest in der beantwortung der kommentare, hehe.

>>Mir darf das heute nicht passieren - fatal wären die Auswirkungen...würde ich nur einmal zum Nachdenken kommen."
Diesen Satz hab ich nicht verstanden. Was darf dir nicht passieren?

 bratmiez antwortete darauf am 18.09.05:
ups, da war die hälfte weg:
hier gehts weiter:

was darf mir nicht passieren? ich darf mich nicht setzen, nicht nachdenken - muß mich ablenken verdammt, ablenken! (hat was mit eifersucht zu tun)

mit dem "jener" hast du wohl auch recht. es stört den lesefluß. danke für den tip!

die mieze ;o)
Feuerherz (44)
(18.09.05)
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 bratmiez schrieb daraufhin am 18.09.05:
oh jaaa, und das von einem feuerherz zu lesen...danke!
Justine (42)
(08.11.05)
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 bratmiez äußerte darauf am 08.11.05:
joa, sind sie - also verschreibungspflichtig. aber die sind net gut - absolut nicht. damit löst man keine probleme.....nur dat hirn. danke fürs lesen, liebe! dat miez ;o)
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