Dienstags bei Inge
Ansichten übers Leben und Sterben und den Rest dazwischen
Eine archivierte Kolumne von IngeWrobel
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Sätze, die man nicht vergisst.
Wenn eine Fernsehsendung durch Werbung unterbrochen wird, schalte ich immer den Ton ab. Meistens nutze ich die Zeit der Werbeeinblendungen, um mich in der Küche nützlich zu machen oder etwas im Büro zu erledigen. Gerade war ich nicht schnell genug, und bekam einen von diesen Sätzen mit, die ich lieber nicht gehört hätte, hätte ich es verhindern können. In diesem Fall sagt eine Frau zu einer anderen: „Du lässt dich von einem Kerl schwängern, der noch nichtmal Haare an den Eiern hat!“
Das ist eine Sprache, die ich nicht mag. Das kann mit meinem Alter zusammenhängen – oder damit, dass ich selbst noch nie so geredet habe. Ich mag nichtmal so denken und ich tue es auch nicht. Es stört mich, wenn ich unvorbereitet mit solcher Wortwahl konfrontiert werde. Es ist nicht so, dass ich zum Beispiel nicht über Sexualität rede – ich habe nur eine andere Terminologie. Vielleicht bin ich prüde oder weltfremd oder altmodisch. Wenn es so ist, bekenne ich mich gerne dazu.
In meinem Umfeld im realen Leben wird nicht so gesprochen. In der virtuellen Welt schon, und auch in Büchern, die ich lese, und Filmen, die ich anschaue. Dort wird diese Ausdrucksweise, die ich ordinär finde, als Stilmittel eingesetzt. Es soll eine bestimmte Atmosphäre vermittelt werden, was wohl oft nur mittels einer Gossensprache gelingt. Dagegen ist sicher nichts einzuwenden, und mich zwingt ja niemand, ein Buch auszulesen, und einen Film bis zum Ende anzuschauen.
Als Schülerin gehörte ich immer zu den Braven. Die „bösen“ Mädchen erzählten sich „schmutzige“ Witze, die ich nicht hören wollte. Bekam ich doch mal etwas davon mit, fühlte ich mich schuldig. Die „schlimmen“ Wörter oder Sätze kreisten in meinem Kopf, fielen mir immer wieder ein und okkupierten meine Gedanken. Es ist ja ein bekanntes Phänomen, dass man garantiert ständig an einen großen blauen Bären denkt, wenn man sich vornimmt, bloß nicht an einen großen blauen Bären zu denken. Mich quälten diese gedachten Sätze so sehr, dass ich zur nächsten Beichte ging, um mir für die Sühne ein paar „Ave Maria“ abzuholen. Die katholische Kirche hat bei mir ganze Arbeit geleistet, weil ich mich für jeden Pups von irgendwem schuldig fühlte. Diese Zwangsgemeinschaft ist vor vielen Jahren von mir beendet worden, aber meine Abneigung gegenüber der Vulgärsprache ist geblieben.
Komischerweise bin ich mit zunehmendem Alter noch empfindlicher geworden. Früher machte mir Gewalt in Filmen weniger aus, als heute. Als Mädchen in einer Jungenclique sah ich mir alle Western an, die es damals im Kino gab. Es berührte mich kaum, wenn die armen Indianer und ihre Pferde über den Haufen geschossen wurden. Das war eine andere Welt, und ich nahm es auch so wahr. Heute muss ich schon heulen, wenn die Heldin traurig guckt und im Hintergrund die Geigen einsetzen – von dargestellter körperlicher Gewalt ganz zu schweigen.
Es ist wohl eine Art von Selbstschutz: ich möchte keine visuellen, akustischen oder sprachlichen Verletzungen an mich heranlassen, und diese Sätze, diese Sprache, empfinde ich als Bedrohung – eine verbale Gewalt sozusagen.
Das Leben ist so kurz. Das Älterwerden konfrontiert uns, mich, zunehmend mit Krankheit und Tod, mit der Sorge um uns selbst und unsere Lieben. Da sind schon viele beunruhigende Gedanken in meinem Kopf. Der letzte freie Platz sollte nur noch für Schönes genutzt werden. In meinem Kopf soll nur noch Platz sein für die schönen Dinge des Lebens, und in meinem Leben nur noch Platz für Ideen und Aktivitäten, die klar in diese Richtung gehen.
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
O.o
(13.10.09)
(13.10.09)