andi(e)stirnschlag
Kleinlichkeiten
Eine archivierte Kolumne von AndreasG
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vielschichtig?
Nachdem erst einmal die Elitediskussion in Vergessenheit geraten ist (vom Tisch ist sie nicht, denn sie wird immer wieder aufgewärmt werden …), ist jetzt die beliebte Unterschichtthematik dran. Heinz Buschkowsky (ein Berliner Bezirksbürgermeister) gibt hierbei den Schlagzeilenlieferant, indem er sehr publikumswirksam allgemein akzeptierte und selten laut ausgesprochene Erfahrungen generalisiert. Seine Kritik zielt aber vor allen Dingen auf die angestrebte Erhöhung der finanziellen Förderung der kinderhabenden Familien, wobei er den “Unterschichtfamilien“ unterstellt, dass sie das Geld nicht für die Kinder ausgeben würden (sondern für Alkohol, Flachbildfernseher, Zigaretten …).
Die Empörung hält sich in Grenzen. Stattdessen werden sofort andere Lösungsvorschläge aus dem Hut gezaubert, die das Problem viel eher beseitigen sollen. Ganztags-Kitas, Ganztagsschulen, Förderungen ohne finanzielle Unterstützung … also wieder die alten Kamellen (das ist leider so). Da fehlt nur noch die Forderung nach Schuluniformen (zumindest habe ich die noch nicht gelesen).
Die Zahlen klingen natürlich gruselig: etwa 2 Millionen Kinder in Deutschland leben in Armut, die Quote der sozial scheiternden jungen Erwachsenen aus armen Verhältnissen ist erschreckend hoch und der Bildungsstand bei diesen Kindern und Jugendlichen ist erschreckend niedrig. Kein Wunder, dass von einer Vererbung der Armut gesprochen wird.
Aber was ist eigentlich mit “Unterschicht“ gemeint? – Sind es diejenigen, die finanziell schlecht dastehen?
Nein. Die Autorin Inge Kloepfer bringt es auf den Punkt – oder besser: auf drei Punkte.
- materielle (finanzielle) Misere
- Bildungsferne
- unterschichtstypisches Verhalten (etwa: Perspektivlosigkeit, fehlende Anstrengungen u.a.)
Das klingt im ersten Moment gar nicht schlecht und würde vermutlich von vielen Menschen abgenickt (und – mehr oder wenig heimlich – ergänzt werden). Schnell würde sich wohl zum dritten Punkt eine ähnliche Argumentation etablieren, die auch Heinz Buschkowsky nannte (in einem Interview von N24):
Drösel ich nun aber diese Definition auf und versuche die drei Punkte auf die Bereiche Mittelschicht und Oberschicht anzuwenden (wobei ich solch hübsche Wortkunststückchen wie “untere, mittlere und obere Mittelschicht“ weg lasse, da ich noch nie von einer oberen oder unteren Unterschicht gehört habe), hieße das:
Mittelschicht: mittleres Einkommen, mittlere Bildung, gesellschaftliches Normverhalten
Oberschicht: hohes Einkommen, hohe Bildung, vorbildliches Verhalten
Ähm … irgendwie erscheint mir da das Zitat von Heinz Buschkowsky doch eher zutreffend. Der Hang zu Statussymbolen, Konsumverhalten, Sozialnormen, die nicht gelebt werden und fehlende Rücksichtsnahme sind nun wirklich kein Monopol der so genannten Unterschicht. Und bei den Stichworten Alkohol und Gewalt sieht es nicht anders aus. Es fällt nur nicht so auf, wird vertuscht oder absichtlich übersehen … und eignet sich nicht für die Stimmungsmache in Brüll-Medien.
Gemeint wird diese geschickte Definition der Unterschicht vielleicht auch gar nicht als wirkliche Definition, sondern als Möglichkeit, um armen Leuten die Chance zu geben, sich nicht zu dieser Gruppe gehörig zu fühlen. Sie wäre dann sogar sehr geschickt, denn die anderen würden sie dort natürlich einsortieren; nach dem Motto: “ich nicht, aber die anderen schon“.
Im Ruhrgebiet ist es allerdings leichter. Da heißt es knapp “Assi“ oder “Proll“, was keine Einkommensgrenzen kennt, den Begriff “Bildung“ eher als geistigen Horizont meint und überwiegend auf das (Sozial-)Verhalten zielt. Da kann auch der gut verdienende Manager im “dicken Benz“, der seinen Kindern anstatt Zeit nur Geld schenkt und zu psychischer Gewalt neigt, “voll der Proll“ sein. Dafür muss nämlich niemand zur Unterschicht gehören.
Vergessen wir bitte nicht, dass die Begriffe Unter-, Mittel- und Oberschicht aus der Soziologie stammen und einzig die Einteilung nach Einkommen und Besitz meinen. Der wahre Grund für die zunehmende Kinderarmut ist, dass die Mittelschicht rapide schrumpft und so mancher Erwerbstätige heute kaum noch über die Runden kommt. Denn: die schwindende Mittelschicht rutscht nach unten ab, nicht nach oben. Besonders dann, wenn sie Kinder hat. Daran ändern auch Bildung und Verhalten nicht viel.
Wundert da die Kinderarmut?
Andreas Gahmann
der Westen
noch einmal der Westen
der SPIEGEL
Interview mit Inge Kloepfer
Deutsche Kinderhilfe
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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
(05.11.09)