andi(e)stirnschlag
Kleinlichkeiten
Eine archivierte Kolumne von AndreasG
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Jemand da?
Es gibt einige Tage im Jahr, die einfach keine Kolumnentage sind. Heiligabend steht unter diesen Tagen ziemlich weit vorne, denn viele Leute haben dann etwas besseres zu tun, als Texte zu lesen (na ja, ob das wirklich besser ist …).
Da gibt es Letzteeisenbahngeschenkeeinkäufer, Glühweinstandtesttrinker, Weihnachtsbaumaufsteller, Weihnachtsbaumschmucksucher (Keller oder Dachboden?), Weihnachtsbratennocheinmalmacher (dabei sieht es zwischen dem Schwarzen und dem Rohen doch ganz lecker aus), Notapothekensucher (der Backfisch vom Weihnachtsmarkt? Die Feuerwurst? Die Kekse, die so seltsam nach Backpulver schmeckten? Der leichte Rotwein von Oma?) oder Geschenkeeinpacker, - wiederauspacker (für wen war jetzt was?) und -schnellwiedereinpacker.
Die Zahl derjenigen, die nebenbei noch arbeiten müssen nimmt auch immer mehr zu, dann gibt es noch die stressigen Antiweihnachtspartys und irgendjemand verliert auch bei der Verlosung und muss sich um Tante Gerda kümmern.
Kurz gesagt: Heiligabend haben die meisten Menschen in Deutschland den Terminkalender voll. Und diejenigen, die das nicht haben, sind entweder schlecht gelaunt, möchten sich nur ablenken oder können nach der zweiten Flasche Wein die nebligen Tasten nicht mehr treffen.
Wozu sich also die Mühe mit einer Kolumne machen?
Dabei könnte ich jetzt ungestraft über Weihnachten herziehen, könnte anklagende Worte gegen den Kaufrummel und die Nahverkehrsbetriebe formulieren, über die Verlogenheit der Leute lästern, Kinder beschimpfen, die nur an die Geschenke denken oder Erwachsene beleidigen, die über die Romantik des Festes fabulieren und sich abends die Horrorfilme reinziehen (ist ja inzwischen auch eine liebgewordene Tradition: erst die Bibelschmonzetten und Klassiker des Schmalzkinos, und dann Kriegsfilme und blutiges Gemetzel). Aber auch da bliebe die Genugtuung aus, denn erstens liest es ja keiner und zweitens ist es längst bekannt.
Leider hat jetzt aber auch schon der Weihnachtsmarkt zu und ich kann mir weder Backfisch oder Feuerwurst kaufen, noch die Glühweinstände durchtesten. Damit steht auch die Kategorie Notapotheke nicht mehr auf dem Programm.
Also, lieber schlecht gelaunter oder besoffener Leser, pflege Deinen Zorn bis Mittenacht und nimm die nächste Kolumne. Heiligabendkolumnen taugen eh nichts.
Andreas Gahmann