KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Flaubert
844. Kolumne
Gustave Flaubert, L’Education sentimentale
Mitten in den Unruhen verbringt Frédéric Moreau, der Held des Romans, mit der ‚Marschallin‘, seiner Maîtresse, einige Tage in Fontainebleau – und nicht nur in dieser Episode zeigt Flaubert das Scheitern der 48er Revolution. Zeitgleich ereignet sich Frédérics sexuelle Reifung.
Aber in Sachen Ausbildung/Studium, Beruf oder gar Berufung - null. Im Gegenteil: Frédéric lebt nur von seiner glücklichen Erbschaft, die er durch fortwährende hohe Ausgaben gefährdet. Parallel dazu geschieht Arnoux‘ wirtschaftlicher Abstieg.
Die Ebene des Geldes und des Berufs erinnert an Madame Bovary, die ja als Frau in ihrer Zeit sich nicht wirklich entfalten kann - während Frédéric diese Möglichkeit hätte, aber offensichtlich auf seine Weise (anders als Mme Bovary) scheitert.
In „L’Education sentimentale“ arbeitet Flaubert den Zusammenbruch überzogener Erwartungen ans Leben heraus. Er lässt immerhin Frédéric erkennen, dass er sein Leben (mit ca. Mitte/Ende 40) verpfuscht hat und seinem Leben keine gerade Linie gab, obwohl er (im Gegensatz zu Madame Bovary) alle Möglichkeiten dazu hatte.
Flauberts genaue Darstellung der Hohlheit des Pariser Lebens in der Mitte des 19. Jh.s ist grandios. Die Jahre des in Gefühlen sich verlierenden Helden vor dem Hintergrund bewegter Geschichte vergehen - für Frédéric wie ein Zeitstillstand, und zugleich verschleudert er sein Geld, verliert die großbürgerliche Existenzweise und fällt ins Kleinbürgerliche, begleitet von ‚Freunden‘, die ebenso ihr Leben verspielten.
Noch kurz vor der Katastrophe scheint Frédéric drei Frauen heiraten zu können - und behält nur den Abschied der platonisch Geliebten Mme Arnoux ... Dieser an die tragische Ironie erinnernde Kniff Flauberts und der Zeitsprung von 15-17 Jahren in den letzten beiden kurzen Kapiteln - das ist grandios gemacht.