KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 01. Juli 2024, 23:53
(bisher 15x aufgerufen)

Lotte in Weimar

858. Kolumne

LOTTE IN WEIMAR gefiel mir zum Schluss besser - die beiden letzten Kapitel halte ich für besonders gelungen. Die Lektüre zwang mich insgesamt dazu, eine neuere Goethe-Biografie zu lesen: Karlheinz Schulz, Goethe - eine Biografie in 16 Kapiteln (Reclam 1999, 603 Seiten), klar und stets gut belegt. Es zeigt sich, dass TM tendenziell Goethes Versteifung im Begreifen seiner Zeit und der Kunst und Literatur etc. recht gut erkannt hat. Wenn TM Wesensähnlichkeiten mit Goethe feststellt, so betreffen sie jedoch nicht so sehr diesen Punkt, sondern die Stärken Goethes, die er wie TM bis zum Schluss dichterisch behielt.

In der konzisen Biographie von Karl-Heinz Schulz wird Goethe auf der Grundlage der Quellen nüchtern beschrieben. TM hat offenbar vieles auch damals schon recherchiert. Der ältere Goethe (etwa ab 1805) gibt zunehmend kein gutes Bild ab, er wird immer konservativer, 'verknöchert' entsetzlich, auch politisch - während sein Landesherr Carl August immer liberaler und moderner denkt. Eine schaurige Geschichte ist Goethes Sohn August ... Es ist etwas deprimierend, wie ein poetischer Genius in Dingen des Alltags und in den menschlichen Beziehungen so schwach wird ... in TMs Roman wird es schonungslos herausgearbeitet. Lotte wird immer mehr zur Zuhörerin und Anlass einer Goethe-Biografie. Möglicherweise ist der oft arg gedrechselte Sprachstil, der zur Zeit um 1800 passt, ironisch gemeint; diesmal aber nicht gegen Goethe, sondern vielleicht gegen das gläubige Bildungsbürgertum 1939ff. (ich trau's ihm zu), denn der frühere Bildungsbürger war oft autoritätsgläubig, und so gibt es auch einen unterschwelligen Bezug zur politischen Ebene vor dem Weltkrieg. TM arbeitet sehr ausführlich Goethes Verehrung Napoleons heraus, die zu einem großen Teil auf Selbsttäuschung beruht ... - Interessant fand ich, dass sich Goethe mit den WAHLVERWANDTSCHAFTEN noch ein letztes Mal zusammenreißt und ein epochemachendes Werk schreibt, obwohl er schon an der Langeweile seines Lebens leidet und Ruhe sucht. Dieser erste Eheroman ist genial UND fleißig entstanden. WILHELM MEISTERS WANDERJAHRE dagegen zeigen, dass der Großschriftsteller keine Lust mehr hat, zu der Zeit trinkt er (nachweislich!) täglich 2-3 Liter Wein, und so entsteht unfreiwillig ein fragmentarisch-moderner Romanansatz ... 

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram