KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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ALLES IM ARSCH
Schillers "Maria Stuart"
133. Kolumne
Königin Elisabeth steigt im Panzerkleid als Glamour-Star die steile Treppe zur Show hinab. Die Show ist die Staatspolitik. Irgendwie stimmt das ja auch. Die Minister benehmen sich in ihren grauen Anzügen wie die feinen Zuhälter der sogenannten freien Wirtschaft. Na gut. Sie nehmen der Königin das Blech von der Seele und stellen es scheppernd ab. Da steht die blonde Venus nun auf den Stufen ihrer moralischen Treppe abwärts. Leicester will hoch. Er will Maria und Elisabeth, am liebsten die schöne Maria. Leicester betrügt beide Königinnen gleichzeitig. Leicester ist ein richtiges Arschloch. Da steht sein aufrichtiger Wille. Er reißt sich die Kleider vom Leib, während er die Stufen hinauf stürzt, und wirft sein nacktes Fleisch der englischen Königin zum Fraß vor.
Im schönen Schein der Bühne regnet es immer wieder mal in feinen Schwaden. Wahrscheinlich ist nicht das englische Wetter gemeint, sondern Spermienregen. In diesem Klima sieht die Welt sehr schön aus. Nach dem Streit der Königinnen, in dem beide ihre Hormone freilegen, kann Mortimer seine Geilheit nicht mehr zähmen. Er lässt die Hose fallen wie eine Maske, das Arschloch fällt über Maria her, aber er steht die Nummer nicht durch. Der Abknicker sackt zusammen. Maria rettet sich. Dann ejakuliert der Himmel, es regnet. Mortimer kriecht in die Pfütze, ins allgemeine Spermienbiotop, streckt uns den nackten Arsch entgegen und windet sich unbefriedigt. Maria ist auch nicht viel besser. Sie bleibt bis zum Schluss, was sie am Anfang war: Ein schwaches Weib. Kein Erkenntnisprozess, keine echte Läuterung wird ihr in dieser Aufführung zugestanden. Sie darf die Treppe, auf der Elisabeth in unsere Realität hinabstieg, nicht als moralische Siegerin hinaufsteigen.
Die leicht moralistische Veranstaltung zeigt uns: Der Mensch ist schlecht. Er will Macht und Geld. Er liebt nur sich. Er hat keine Ideale. Er kennt nur Intrigen. Er ist geil. Er denkt mit dem Schwanz. Seine Seele liegt irgendwo zwischen zwei Löchern. Der Mensch ist ein Arschloch. Es gibt kein Ich, es gibt nur Es. Wir sind alle nur Zuhälter, geile Freier, Nutten und Stricher. Ja, Schiller kennt die Welt, wie sie wirklich ist! Er zeigt uns, was eine Harke ist! Idealismus ist nur Lüge oder Selbstbetrug! Okay - eine neue Interpretation ist mir auch lieber als die trockene Fortsetzung der Philologie mit Bühnenmitteln. Aber subtil muss sie sein! Während Leicesters Striptease noch in Ordnung geht, passt Mortimers Ansturm nicht recht zu seinen Worten - der Schlappschwanz ist zu konstruiert. Die vordergründig freigesetzte Komik lenkt von der Vivisektion der Wirklichkeit ab. Das hat alles System. Vielleicht zu viel System.
Das Stück war so gesehen fürn Arsch. Für die Ärsche im Publikum. Sie ging irgendwie am Arsch der Welt vorbei, am Arsch im Kopf, der solche Inszenierungen schon in den 70er Jahren sah, als das Regietheater die Klassiker zertrümmerte, Tabus in der moralischen Anstalt brach und den verstaubten Bildungsbürger vom Sockel stieß. Da war der Regisseur noch ein kleiner Junge. Jetzt holt er die nackten Ärsche wieder aus der Mottenkiste. Das Publikum war ja nicht geschockt, sondern nur schlecht amüsiert.
Ulrich Bergmann