KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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DRASTISCHE SYNÄSTHESIEN (von erasmus)
188. Kolumne
Synästhetischer Eigenwahrnehmungen in drastischer Sprache
Über Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“
von erasmus
Mit brutaler Offenheit gibt Helen, die Heldin des Romans, aus dem Krankenhauszimmer einen Rechenschaftsbericht über ihren anlässlich einer schmerzhaften Hämorrhoiden-Operation lädierten Körper, der nicht nur Erfahrungsgebiet der jungen Frau ist, sondern auch Experimentierfeld in Sachen Schmerz und Sexualität. Der Leser erhält dabei auch Einblick in die Seelenlandschaft der Protagonistin, die durch die Scheidung ihrer Eltern geprägt ist und sich in sexueller Triebhaftigkeit äußert.
So der nicht unflotte Plot des Erfolgsromans „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche. Doch was hat sie daraus gemacht? Die von der Kritik so hochgelobte Schonungslosigkeit, mit der die von der Scheidung ihrer Eltern traumatisierte Protagonistin uns während ihres Krankenhausaufenthaltes an ihrer körperlichen, seelischen und geistigen Befindlichkeit teilhaben lässt, ist nichts anderes als das Protokoll synästhetischer Eigenwahrnehmungen und sexueller Fixierungen in gewollt schnoddriger Sprache. Die Ich-Erzählerin ist bemüht, uns ihre überwiegend auf die unteren Körperregionen reduzierte Erfahrungswelt in möglichst jugendlich getrimmtem Jargon mitzuteilen, in dem sich oft Hemmungslosigkeit mit Fantasie bis zur Unerträglichkeit verbindet.
Ich erspare es mir, auf die austauschbaren inhaltlichen Einzelheiten des Romans einzugehen. Einziges Spannungsmoment dieses Romans: Wie weit kann Hemmungslosigkeit noch getrieben werden? Da wird der geneigte Leser schnell zum nur noch lustlos blätternden wenig geneigten Leser.
Wie ist der Erfolg des Romans zu erklären? Liegt er in der gnadenlos übertriebenen Offenheit dem eigenen Körper gegenüber, die auch die intimsten Bereiche rücksichtslos und möglichst drastisch zur Sprache bringt? Sind schamlose Hemmungslosigkeit und Tabubruch neue literarische Werte unserer Zeit? Symptomatisch wäre das ja in einer Zeit, in der sich Gesellschaft nur noch aus der Perspektive des Voyeurs und als individualistisches Interessengemenge definiert und daher zwangsläufig im Fokus des literarischen Interesses zunehmend die intimsten Befindlichkeiten des Einzelnen stehen.
Oder ist der Erfolg damit zu erklären, dass es dem Dumont-Verlag gelungen ist mit den Begriffen der Offenheit, der realistischen zeitgemäßen Darstellung und des schonungslosen Mutes, die intimen und pornografischen Detailschilderungen und Tabubrüche salonfähig gemacht zu haben, so dass man, SIE mit spitzem Schnäuzchen und ER mit geilem Schauder, nun auch offen darüber sprechen kann, worüber man vordem besser geschwiegen hat?
Wolfgang Megow
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Der besprochene Roman wird sicher nicht im literarischen Langzeitgedächtnis haften bleiben, wieso also diese späte Veröffentlichung eines, ich nenne es mal: Gastautors?
Besonders gelungen finde ich die Besprechung nämnlich nicht: Synästhie im Titel und nichts neues im Text, es fehlt hingegen der Hinweis, daß der Roman wohl nur deshalb ein Erfolg (finanziell) war, weil Frau Roche sehr TV-präsent war...