KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Montag, 14. Juni 2010, 12:52
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Meine Wurzeln

201. Kolumne

Meine Wurzeln

Mit Söhnlein-Sekt bin ich über meine in Frankfurt am Main geborene Großmutter Louise Schultze (1889-1969) verwandt. Sie ist die Mutter meines Vaters (*1920) und heiratete den Gerichtsassessor Dr. Carl Bergmann, der in Allenstein (Ostpreußen) geboren wurde. Carl war ein echter Cousin meiner Großmutter Louise, sie erhielt die staatlich notwendige Erlaubnis zur Heirat (ich habe behalten, dass immer drei Generationen lang Cousinen und Cousins nicht heiraten dürfen). Die Familie Bergmann stammt aus der Gegend von Leipzig, meine Vorfahren gingen dann nach Ostpreußen, wo sie im 18. Jh. Rittergutsbesitzer wurden, mein Urgroßvater Carl Otto wurde Landesgerichtsrat wie sein Sohn Carl, die Familie lebte um 1900 in Neuruppin, dort hatte der Großvater meiner Großmutter Schultze eine Seifensiederei gegründet, eine richtige Fabrik in der ersten Zeit der Industrialisierung - sein Sohn wurde Textilkaufmann in Frankfurt am Main, wo andere Zweige der Familie Schultze seit dem 16. Jh. nachweisbar lebten. - Meine Krullschen Neigungen kommen aber gar nicht von Söhnlein-Sekt, sondern von meiner Großmutter Louise, die völlig aus der Art geschlagen war. Sie war Zeit ihres Lebens gern albern und spielte immer ein bisschen Theater mitten im Leben, sie ahmte gern die Leute nach und konnte damit ganze Abende gestalten. Obwohl sie Kaufmannstochter war, konnte sie mit Geld überhaupt nicht umgehen. Mein Großvater Carl, ein sehr gebildeter Mann, schrieb gern Gelegenheits-Gedichte und verfasste für Zeitungen „Juristische Plaudereien“, er war ein glänzender Gesellschafter, führte mit seiner Frau Louise kabarettistische Nummern auf, spielte am Klavier leichte Musik, sang auch Loewe-Balladen. Er war aber auch sehr pedantisch und von preußischer Disziplin. Die vier Kinder dieser Eltern, darunter mein Vater, haben von ihren Eltern nur die ‘ernsten’ Seiten geerbt. Für mich bedeutsam ist auch meine Mutter, die sehr musisch veranlagt ist, auch gern Theater mitten im Leben spielt, aber im Unterschied zu meiner Großmutter Louise ist sie eher vulgär, oft arg gekünstelt, Schmierentheater. Der leibliche Vater meiner Mutter war ein herumziehender Musikant, der zu Hochzeiten und anderen Festen mit Tanz in den Dörfern und in kleinen Städten aufspielte. Er zeugte meine Mutter mit einem Dienstmädchen in Eisleben, von der weiter nichts bekannt ist. Meine Mutter wurde von dem Physik- und Mathematiklehrer Friedrich Walch, Studienrat am Goethe-Gymnasium in Bochum, und seiner sehr feinsinnigen ersten Frau erzogen, die 1945 kurz nach meiner Geburt am 6.4.1945 von einem russischen Lastwagen überfahren wurde. Meine Mutter machte die Mittlere Reife, ‚diente’ im Bund deutscher Mädel, heiratete meinen Vater Ernst Robert Bergmann, Medizinstudent, Soldat an der Ostfront (Balkan). Ich sollte gar nicht geboren werden. In der Nacht, in der ich gezeugt wurde, maß mein Vater bei seiner Verlobten Ursula (Usch, Uschi, Ulli) die Temperatur und rechnete nach der Knaus-Ogino-Regel aus, dass sie sich noch in der Periode der unfruchtbaren Tage befand - aber er verrechnete sich. Neun Monate später war er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft und erfuhr mit der allerletzten Post, dass ich geboren war. Erst neun Jahre später begegneten wir uns zum ersten Mal in Altenau im Harz. - Wenn ich mich deute, habe ich offenbar von allen meinen Großeltern die für mich wesentlichen Eigenschaften geerbt. Ich habe mich den Eigenschaften meiner Eltern schon im Kindesalter widersetzt, das ist mir sehr bewusst. Ich bin zwar kein Mensch, der so vordergründig Theater spielt wie Louise, aber ein wenig tu ich’s auch, anders, mehr als Lehrer, inzwischen auch manchmal als Kollege, nicht so sehr im Familien- oder Freundes- und Bekanntenkreis. Die Liebe zum Theater habe ich von Louise, auch das tägliche Briefschreiben, die Liebe zu Bildern und die Unfähigkeit mit Geld umzugehen. Die Musikliebe habe ich von Carl, auch das Geschichtsinteresse, das Schreiben. Carl konnte sehr ernst sein, sehr melancholisch und sehr distanziert zu den Menschen. Davon habe ich einiges auch; nur nicht seine Sparsamkeit und übergenaue Ordnungsliebe. Die Liebe zur Musik, zum Rhythmus, zum Musizieren mit Sprache könnte auch von meinem unbekannten Großvater stammen. Von meiner Mutter habe ich vielleicht, im Schreiben, eine bestimmte Fähigkeit zur Härte, zur Schamlosigkeit; im Verhalten zu anderen Menschen habe ich von ihr wahrscheinlich einige charakterliche Schwächen abbekommen: Feigheit in unbequemen Situationen z. B. Aber das kann sich auch mit Louises Nachgiebigkeit vermischen... Von meinem Vater Ernst Robert habe ich am allerwenigsten, allerdings scheine ich seine physische Stabilität zu besitzen, überhaupt physische Eigenheiten: Aussehen, Mimik und Gestik. Bier am Abend (er Wein). Vielleicht auch dies: Eine gewisse Neigung zum Geschwätzigen. Aber alles, was ich an mir selber liebe, habe ich von den Großeltern, besonders von Louise und Carl.

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (14.06.10)
"Meine Krullschen Neigungen, deren Herkunft dich interessiert" - Wer soll denn hier angesprochen werden?

"Mit Sekt über jemand verwandt sein" - verstehe ich nicht. Eine seltene Redewendung?

 Bergmann (14.06.10)
Dank für die Kritik.
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