KLICKS UND CLIQUEN
Synthesen + Analysen in der Matrix
Eine Kolumne von Bergmann
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Paradise lost (Ringelnatz)
342. Kolumne
Joachim Ringelnatz: Duett des Schiffsjungen mit einem Passagier
Junge: Ach, Faulsein ist schön!
Und schön ist die Ruhe!
Und Nichtstun ist schön!
(Nach den Füßen des Passagiers schielend.)
Und schön sind schöne Schuhe!
Passagier: Ja, Faulsein ist schön!
Und Schlaf tut so gut.
Und schön ist die Stille!
(Lächelt dem Jungen zu.)
Und schön ist ein schöner Hut!
Junge: Und schön ist der Himmel -
Passagier: Eine Reise unterm Wind!
Junge: Und schön sind die Blumen!
Passagier: Und schön ist ein Kind!
(Lächelt dem Jungen zu.)
Wie Sie es sind!
Junge: Und schön ist Musik.
Passagier: Auch ein Bild kann es sein.
Ein Gedicht kann es sein.
Junge: Und schön ist eine Roßkastanie -
(Passagier lächelt.)
Passagier: Oder ein glatter Stein.
Beide: Ja, Faulsein ist schön!
Passagier: Und schön ist Paris!
Und schön sind zwei Freunde.
Junge: Und schön ist das Paradies!
Kommentar (Ulrich Bergmann):
Das ist ein Ausschnitt aus der täglichen Oper der Sehnsüchte. Der Schiffsjunge möchte am liebsten so faul und reich sein wie der Passagier. Und der vielleicht einsame Passagier sehnt sich nach der Jugend und der Freundschaft des Jungen ... Wie einfach ist das Glück! Es liegt ja so viel Schönes auf der Straße. Aber wie utopisch ist es, wenn man’s genau betrachtet! Immer fehlt etwas. Das Glück existiert nur im Bild, im Gedicht. Der Junge scheint es zu ahnen: Paradise lost ...
[in: Deutscher Lyrikkalender 2013, Alhambra Publishing]
Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag
Aber ich frage mich, was ich von dem Text von Ringelnatz halten soll, der mit unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs Schönheit operiert, zum Beispiel schön im Sinne von angenehm (Faulheit) und schön im Sinne von ästhetisch schön (Musik) und dadurch Tiefsinn vortäuscht???