KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Sonntag, 21. Juni 2015, 17:08
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China auf der Suche nach der optima res publica? (1/2)

463. Kolumne


Was die Menschenrechte in China betrifft, so kennen wir in Europa einige Ereignisse, die unseren Vorstellungen von Freiheit und Demokratie, von Menschenwürde und Vielfalt der Lebensformen und des Rechts auf Selbstbestimmung der in China lebenden Völker und Sprachgruppen nicht entsprechen. Und wir haben ohne Zweifel Recht, wenn wir Unterdrückung, Misshandlung politisch opponierender Bürger, die von der Partei abhängige Strafjustiz mit jährlich Tausenden von Todesurteilen ablehnen und jene Kräfte in China unterstützen, die wegen ihrer Kritik an diesen Dingen verfolgt werden. Wir sehen das große Land der Mitte mit unseren Augen. Eine übergroße Mehrheit in Europa hat sich von den Vorstellungen eines totalitär geführten Staates gelöst. Unsere westlichen Gesellschaften sehen nicht mehr die Vorteile, die ein starker allmächtiger Staat bietet oder eine Diktatur, weil wir zwei Weltkriege hinter uns haben, die sich hätten vermeiden lassen, wenn alle europäischen Staaten demokratisch verfasst gewesen wären.

Es lohnt sich dennoch, die Menschenrechts-Problematik und die Frage der Staatsverfassung in China mit chinesischen Augen zu betrachten. Versetzen wir uns also hinein in die Situation eines anderen Erdteils mit einer anderen gesellschaftlichen und staatspolitischen Tradition und ihren teils ganz anderen Aufgaben und geschichtlichen Hintergründen. Diese Betrachtungsweise soll nicht rechtfertigen, was in China gesellschaftspolitisch und staatsmoralisch schief läuft oder gar für unmenschlich zu erachten ist. Sondern sie soll dazu beitragen, für uns ein gerechtes Bild von China zu entwerfen, denn nur so können wir die neue Weltmacht und ihr Volk wirklich begreifen. Erst dann wissen wir auch besser, was wir von China erwarten und fordern können, und vor allem, wie wir dabei vorgehen.

Ich hatte während meines Aufenthalts in Qingdao* und in Beijing mit meinen Studenten erfreulich offene Gespräche – im Klassenraum, trotz der Kontrolle durch mindestens einen der Studenten, der berichtet, was im Klassenzimmer geschieht im Hinblick auf die Disziplin und inhaltliche und politische Aspekte; und in Einzelgesprächen, vor allem mit meinen beiden klugen und politisch aufgeklärten Assistentinnen, den Germanistik-Doktorinnen und Dozenten anderer Fakultäten, die sich ebenfalls freimütig äußerten.

Die Studenten waren nicht ängstlich in ihren Äußerungen, aber in der Gruppe zurückhaltend. Leider ist zu sagen, was ich auch in meinem Reise-Essay schrieb, dass die meisten sich nicht sehr für Politik interessieren, was mir beide Assistentinnen bestätigten. Sie sind sehr mit sich selbst beschäftigt, mit ihrem Vorwärtskommen in Ausbildung und Beruf. Sie äußern jedoch ihr privates Missfallen an der akademischen Kasernierung ganz offen.

Sie alle kennen wesentliche Fakten der Ereignisse 1989 (Tian-an-men), sie können oder wollen sie jedoch nicht so klar beurteilen wie wir im Westen. Westliche Darstellungen werden in China nicht für absolut gehalten. Das ist verständlich, die Presseberichterstattung und die dazugehörigen Meinungskolumnen sind nicht frei von gravierenden Fehlern, Falscheinschätzungen und parteiischen Intentionen. Im Falle Chinas erscheint westlicher Moralismus oft fragwürdig, teils sogar scheinheilig.

Andererseits ist Orwells „1984“ in China Wirklichkeit geworden, was die Löschung bestimmter Fakten in den Geschichtsbüchern und auf Webseiten betrifft. Vieles ist im Schulunterricht einfach nicht offiziell sagbar, die problematischen Themen sind ausgeklammert. Schüler und auch Studenten müssen den ungeliebten Pflichtunterricht in Staatslehre, Kommunismus und Parteigeschichte über sich ergehen lassen. Die Gefahr der Indoktrinierung ist im erwachsenen Alter kaum noch gegeben. Kann andererseits die akademische Schicht, die sich den Zugang zu westlichen Webseiten durch trickreiche Software zu erschleichen weiß, wirklich alles glauben, was online auf englisch, französisch, koreanisch oder japanisch über China geschrieben steht? Die jungen Leser sind da skeptisch, auch wenn sie ihrem Staat noch weniger vertrauen.

Keiner liebt die Partei und das durch sie ins Uferlose gewachsene System der Korruption. Aber auch das Verhältnis der meisten Studenten zu Dissidenten ist nicht frei von Misstrauen. Die übergroße Mehrheit hat Angst vor Zuständen, die nach dem Zusammenbruch der Partei eintreten könnten, wie in Ägypten.

Andererseits fühlt sich die chinesische Elite und ein großer Teil der Mittelklasse materiell gut versorgt im System des ‚Sozialistischen’ Kapitalismus. Eine riesige Mittelschicht wächst heran – diese ist primär an gesellschaftspolitischer Stabilität und ökonomischer Prosperität interessiert.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (26.06.15)
eine art fazit, um aufrichtige ausgewogenheit bemüht. trotzdem die frage: darfst du nochmal wiederkommen?

ps: das volk der weltmacht besteht aus völkern.
Graeculus (69)
(26.06.15)
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Graeculus (69)
(26.06.15)
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