Tobler, Stefan:

Jesu Gottverlassenheit als Heilsereignis in der Spiritualität Chiara Lubichs

Ein Beitrag zur Überwindung der Sprachnot in der Soteriologie


Eine Rezension von  JoBo72
veröffentlicht am 07.04.09

Das Kreuz mit dem Kreuz. Stefan Tobler zeigt auf, wie Chiara Lubich die Sprachnot in der Soteriologie mit Blick auf den verlassenen Christus überwindet


Passion. Es herrscht „Sprachnot in der Soteriologie“ angesichts des Kreuzes. Das Heil hat Pause. Stille Betroffenheit im Anblick des gottverlassenen Herrn. Es endet die Liebe im Hass, die Hinrichtung lässt keine Hoffnung auf Heil. Die Existenz des einen Menschen schlechthin stellt die Existenz aller in Frage: Was wird aus uns, wenn selbst unser Gott dem Leid unterliegt?

Das Spannungsverhältnis von Leid und Heil ist eine Zerreißprobe: Sollen wir, besser: können wir, angesichts des gegenwärtigen Leids auf das kommende Heil vertrauen? Die christliche Existenz steht im Zeichen des Kreuzes. Es drängt sich die Frage auf: Hat sich Gott, wie Dietrich Bonhoefer vermutet, von den Menschen zurückgezogen?

Dagegen steht das Postulat des bedingungslosen Vertrauens auf die Fügungen Gottes angesichts seiner Unergründlichkeit. Dieses zerfällt in zwei Teile. Erstens in die Erkenntnis und Akzeptanz der tiefen Unergründlichkeit Gottes, die schon der Apostel Paulus eindrücklich beschrieb: „O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Entscheidungen, wie unerforschlich seine Wege!“ (Röm 11, 33). In diesem Sinne gibt es keine Auflösung des Spannungsverhältnisses von Leid und Heil. Wir sind schlechterdings nicht berechtigt, den Sinn des Leids zu ergründen oder Gott sogar anzuklagen. Daraus folgt dann, wenn man weiter an Gott glauben will, zum zweiten das bedingungslose Vertrauen auf Gott.

Zu diesem schwierigen Thema ein Literaturtipp: Die Habilitationsschrift des reformierten Theologen Stefan Tobler, die in einer ungekürzten Studienausgabe vorliegt – Jesu Gottverlassenheit als Heilsereignis in der Spiritualität Chiara Lubichs. Ein Beitrag zur Überwindung der Sprachnot in der Soteriologie.

Tobler ist Privatdozent für systematische Theologie an der Universität Tübingen und arbeitet in der Studiengruppe „Scuola Abba“ der Fokolar-Bewegung mit. In seiner Habilitationsschrift beschäftigt sich Tobler mit der Spiritualität Chiara Lubichs, der Gründerin dieser Bewegung, die den verlassenen Jesus ins Zentrum ihrer Betrachtungen stellt, der für uns diese Verlassenheit leidet und nur über die Verlassenheit zur Vollendung gelangen kann, zur Einheit mit dem Vater. Weil er damit gleichsam unser Leid auf sich nimmt und mitnimmt, geschieht diese Transformation von Leid in Heil auch in Einheit mit uns. In dieser Orientierung auf den verlassenen, zugleich aber die Einheit von Gott und Welt wiederherstellenden Christus gelangen wir vom größten Leid des Gegeneinanders zum größten Heil des Miteinanders, zur Einheit aller Menschen, dem Vermächtnis Christi entsprechend.

Chiara Lubichs vielgestaltiger Liebesbegriff und das Verständnis von trinitarischer Einheit gründen gerade in Jesu Gottverlassenheit als einem zugleich innergöttlichen und irdisch-aktualen Geschehen. Es eröffnet inmitten von Leid und Gebrochenheit der Welt die Erfahrung von Heil und die Begegnung mit Gott. Diese Spiritualität macht Tobler zum Thema systematischer Theologie und erschließt so erstmalig das Werk Chiara Lubichs umfassend aus den disparaten, fremdsprachlichen Quellen, die nur schwer zugänglich sind – eine echte Pionierarbeit, die unabdingbare Grundlagen für eine weitere Auseinandersetzung mit Chiara Lubichs Denken und Glauben legt. Dem Band sind thematische Tabellen sowie ein praktisches Namen- und ein Sachregister beigegeben. Er sei jedem empfohlen, der tiefer in das Geheimnis des Kreuzes – und damit des christlichen Glaubens an sich – eindringen möchte.
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