Fanny Lewald:

Jenny

Roman


Eine Rezension von  Quoth
veröffentlicht am 05.01.24

Eduard Meier, ein jüdischer Arzt im Jahr 1832, hat sich in ein christliches Mädchen verliebt und denkt darüber nach, ob er Christ werden sollte, um es heiraten zu können: „Warum sollte er nicht, wie tausend andere, einem Glauben entsagen, dessen Form allein ihn von der übrigen Menschheit trennte? Was band ihn an Moses und seine Gesetze? Es sträubte sich bei diesen ebenso viel gegen seine Vernunft als bei den Lehren Jesu. Warum nicht einen Aberglauben gegen den andern vertauschen …?“ Nur weil er sich dem jüdischen Volk unauflöslich verbunden fühlt, verwirft er diesen Gedanken anders als seine Schwester Jenny, die sich taufen lässt, um den geliebten protestantischen Theologen Reinhard zu heiraten. Aber zur Trauung kommt es nicht, weil sie kurz vor dem ersten gemeinsamen Abendmahl Glaubenszweifel befallen, die der künftige Pfarrer nicht akzeptieren kann.

Dieser 1843 erschienene Roman der Jüdin Fanny Lewald wurde bei Reclams Klassikerinnen neu herausgebracht – ein erstaunliches Buch – dramatisch, zwischen Zweifel und Glauben fein nuancierend, versucht es zwei Herausforderungen zugleich zu meistern: Die Emanzipation der Juden und die Emanzipation der Frau. Dies freilich unter materiell gesicherten bis teilweise luxuriösen Bedingungen: Eduards und Jennys Vater ist ein erfolgreicher Bankier, eins der Hauptprobleme Jennys ihrem künftigen Ehemann gegenüber ist es, sich ein Leben in der „humble abode“ (Jane Austen) eines evangelischen Pastors vorzustellen: Ohne Dienerschaft, ohne Equipage. Bedenkt man, dass Moses Mendelssohn sich noch außerstande sah, am aufgeklärten Montagsclub in Berlin teilzunehmen, weil bei ihren obligatorischen Essen die jüdischen Speiseregeln nicht eingehalten wurden, verwundert es nicht, dass Fanny Lewald dieses und andere praktische Probleme aus ihrem Buch völlig ausklammert, nur einmal macht sie deutlich, dass im Lebensumkreis der Familie Meier die Sabbatvorschriften zwar ein- aber nicht für zwingend verbindlich gehalten werden. Die Aufklärung hat tiefe Spuren im geschilderten Milieu hinterlassen, der Wechsel ins Christentum wird kaum in Frage gestellt, wenn Gefühle und materieller Vorteil dafür sprechen. Als Jenny ihre Religiosität einmal darstellt, warnt sie der künftige Pfarrer, der dann doch nicht ihr Ehemann wird, vor einem Abgleiten in den Pantheismus.

Die tiefgründige theologische und philosophische Erörterung von Glauben und Zweifel auf ethischer und ästhetischer Ebene mag ein Grund dafür sein, dass dieses zugleich sehr spannende und in Teilen hochemotional geschriebene Buch, das Fanny Lewald den Durchbruch als Autorin brachte, bis heute nicht verfilmt wurde – im Gegensatz etwa zu „Daniel Deronda“ von George Eliot, zweimal verfilmt, einmal als BBC-Serie – das sich ebenfalls sympathisierend mit der Emanzipation der Juden im 19. Jahrhundert befasst. Einer der Gründe mag der geistige Tiefgang von „Jenny“ sein, ein anderer der, dass Erich Pommer, in den 20er und 30er Jahren Deutschlands bedeutendster Filmproduzent, jüdisch war und sich gerade deshalb scheute, in einer antisemitisch aufgeladenen Atmosphäre dieses klar projüdische Buch zu verfilmen – obgleich es mit seinem tragischen Duellschluss eine ebenso gute Vorlage wäre wie die ebenfalls mehrfach verfilmte „Effi Briest“ Theodor Fontanes – der Fanny Lewald in seinen „Wanderungen“ mehrfach respektvoll erwähnt.

Als Eduard von der geliebten Clara erfährt, dass sie ihm entsagen muss, weil er sich nicht taufen lassen will, drängt sich ihm unwillkürlich die Frage auf, „ob in der Frauen-Natur wirklich eine höhere Leidensfähigkeit liege als in der des Mannes … Weil das Weib besser liebt, weil es nur an den Schmerz des Geliebten, nicht an sich selbst denkt und sich in dem Glück des andern vollkommen vergessen kann, schilt man es kalt und tröstet sich über den Gram, den man verursacht, mit dem alten Gemeinplatz, das Weib sei leidensfähiger als der Mann. Die Schmach fühlt man gar nicht mehr, den Frauen, dem sogenannten schwachen Geschlecht, eine Stellung im Leben angewiesen zu haben, die sie von Jugend auf an Leiden und Entsagungen gewöhnt …“ Das ist Feminismus at its best: Zwischen Selbstgerechtigkeit und berechtigter Empörung.

Die Nazis stellten 1933 nur wieder her, was vor 100 Jahren die Regel war, fügten Darwinismus und Rassismus hinzu - obgleich der Begriff Rasse auch bei Fanny Lewald schon auftaucht.

Hätten die Deutschen und Österreicher ihrem Antisemitismus schon damals abgeschworen, es hätte keinen Zionismus, keinen Holocaust, wahrscheinlich kein Israel und auch die heutigen unsäglichen Spannungen im Nahen Osten nicht gegeben.

Gut, dieses Buch aus der Versenkung hervorzuholen. Absolut lesenswert.

Anmerkung: Es gibt das Buch in billigeren antiquarischen Ausgaben, dann allerdings ohne das Nachwort von Mirna Funk.
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