Ernst Wiechert:
Das einfache Leben
Roman
Eine Rezension von Quoth
Wie kann man trotz massiver äußerer Beschränkung und Verfolgung kreativ bleiben und sich anderen mitteilen oder für sie sogar zu einem Trost werden? In einer solchen Situation sind wir m.E. momentan (noch) nicht, aber für viele ist sie gefühlt bereits da, und gerade in deren Namen könnte sie für alle auf uns zu kommen. Darüber nachdenkend, habe ich mich an meinen Deutschlehrer erinnert, der einen Roman über alles liebte, der ihm in den Jahren, als er gegen Ende des zweiten Weltkriegs zum zweiten Mal Soldat werden musste, Halt und Hilfe gegeben hat: „Das einfache Leben“ von Ernst Wiechert. Er wurde gerade neu aufgelegt, ich erwarb ihn – und bereue nicht, ihn gelesen zu haben. „Er ist das stärkste Buch, das die innere Emigration hervorgebracht hat,“ sagte mein Deutschlehrer, der der Bekennenden Kirche angehört hatte. Und Wiechert hatte durch die Nazis gleichsam den Ritterschlag erhalten, indem sie ihn für zwei Monate in Buchenwald einbuchteten. Er hielt 1945 die berühmte Rede an die deutsche Jugend (von Thomas Hettche in „Herzfaden“ eindrucksvoll zitiert), in der er gnadenlos mit den Nazis abrechnete – aber das war wohl etwas zu deutlich. So absolut wollten die Deutschen ihre Vergangenheit nicht verdammt sehen. Die Intellektuellen und Autoren fanden in Sartre, Hemingway und Faulkner neue Idole, wandten sich von Wiechert ab, der in die Schweiz zog und dort verstarb.
Der Protagonist des Romans, ein ehemaliger Marineoffizier, ist durch das Erleben des massenhaften Sterbens im Ersten Weltkrieg so ver- und zerstört, dass er seine gesellschaftlich ambitionierte Frau und seinen Sohn verlässt, nach Masuren fährt, und dort auf einem Inselchen in einem der zahlreichen Seen sich mit einer Blockhütte ein neues Zuhause aufbaut (wie David Henry Thoreau in „Walden“) und dort zusammen mit seinem ehemaligen Burschen Bildermann vom Fischen und Holzmachen lebt. Das Inselchen gehört einem altgedienten knorrigen General, mit dem Thomas von Orla in dessen naheliegendem Herrensitz Kontakt aufnimmt. In der zweiten Hälfte des Buchs, nachdem seine Frau gestorben ist, wird er zum Erzieher und Vorbild der Enkelin des Alten; zwischen ihr und ihm wird aus Zuneigung Liebe, aber es wächst auch die Kraft zum Verzicht allein auf Grund des großen Altersunterschieds. In einer Nebenhandlung nimmt Thomas Anteil am Leben eines anderen Einsiedlers, des Grafen Pernein, der auf seinem Gut lebt und experimentiert als einsamer Alchimist. Als er stirbt und Thomas zum Erben einsetzt, beginnt dieser im Labor des Verstorbenen mit dem Mikroskop und in Büchern zu forschen. Georg Lukács hat Wiecherts „altpreußischen Pietismus“ bemängelt. Ich kann den in dem folgenden Absatz nicht finden, sondern eher einen Panentheismus, wie ihn Hartmut Rosenau in seinem Buch „Die Theodizee“ umreißt:
„Langsam, von der Peripherie aus, begann er das Wunder der Schöpfung zu erkennen. Er nannte es mit diesem Namen, und der Name gewann einen immer höheren Klang für ihn. Aber er vermischte ihn nicht mit den Namen, die der Mensch dem Wunder gegeben hatte. Keine Dämonen und keine Götter drangen in den hellen Kreis, über dem die Linse stand. Er deutete das Unbegreifliche nicht, er benannte es nicht einmal, er verehrte es nur. Er lernte langsam, was ihm das Größte erschien: die Natur, ja, den Makrokosmos als etwas Zweckloses zu betrachten. Zwecke trübten das Licht und verwirrten die Linien. Auch so stand hinter allem noch immer das letzte Gesicht, aber es trug weder menschliche noch göttliche Züge. Es besaß weder Raum noch Zeit, noch gar eine sittliche Verklärung. Es war anders als der Erdgeist, und es ließ sich auch nicht beschwören. Das Beschworene würde wahrscheinlich mit Vernichtung strafen. Ein tiefes und ganz ruhiges Glück begann ihn langsam zu erfüllen ..."
Ganz am Anfang berichtet ein Gefängnispfarrer dem Protagonisten, der Rat bei ihm sucht, wie ein zum Tode Verurteilter ihm die Worte entgegenschleuderte: „Ein Segen, dass es drüben keine Pfarrer geben wird.“
Und gegen Ende zieht Thomas das Fazit: „Ein Größeres stand über allem, ein Unerkennbares, eben `Das Ganze‘. Sein Anblick machte fromm, aber es gab weder Kirche noch Altar für die Frömmigkeit. Kein Bildnis, kein Gleichnis, nicht einmal einen Namen. Denn nicht einmal die Sterne waren das Letzte, nicht einmal die Nebel sich gebärender Sterne, wieviel weniger also der Mensch oder Gott, um dessen Bild er haderte und den er benannte, wie er selbst gern gewesen wäre: wissend, mächtig und gut.“
Der verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat im Gespräch mit Günter Gaus 1966 bekannt: „Unsere Idealvorstellung war – damals gab es ein Buch von Ernst Wiechert, ‚Das einfache Leben‘; ich weiß, dass viele Leute damals ähnlich empfunden haben wie wir auch; dies wäre unser Ideal gewesen, ganz zurückgezogen zu leben von dem Getriebe der Welt.“
Das ist ein belletristischer Text, seine Begrifflichkeit ist nicht abgeklopft und erprobt. Mir erscheint es als Versuch, den Schöpfungsglauben (das letzte Gesicht) angesichts einer zweckfreien, also zufälligen, evolutionären Natur und einer katastrophalen Weltlage zu behaupten. Und ich könnte mir denken, dass Wiechert in Kriegs- und Katastrophenzeiten eine Chance hat, wieder an Ansehen zu gewinnen. Ist nicht sogar der Klimawandel nur ein berechtigtes Zurückschlagen der vom Menschen ausgebeuteten und missachteten Natur?
Der Protagonist des Romans, ein ehemaliger Marineoffizier, ist durch das Erleben des massenhaften Sterbens im Ersten Weltkrieg so ver- und zerstört, dass er seine gesellschaftlich ambitionierte Frau und seinen Sohn verlässt, nach Masuren fährt, und dort auf einem Inselchen in einem der zahlreichen Seen sich mit einer Blockhütte ein neues Zuhause aufbaut (wie David Henry Thoreau in „Walden“) und dort zusammen mit seinem ehemaligen Burschen Bildermann vom Fischen und Holzmachen lebt. Das Inselchen gehört einem altgedienten knorrigen General, mit dem Thomas von Orla in dessen naheliegendem Herrensitz Kontakt aufnimmt. In der zweiten Hälfte des Buchs, nachdem seine Frau gestorben ist, wird er zum Erzieher und Vorbild der Enkelin des Alten; zwischen ihr und ihm wird aus Zuneigung Liebe, aber es wächst auch die Kraft zum Verzicht allein auf Grund des großen Altersunterschieds. In einer Nebenhandlung nimmt Thomas Anteil am Leben eines anderen Einsiedlers, des Grafen Pernein, der auf seinem Gut lebt und experimentiert als einsamer Alchimist. Als er stirbt und Thomas zum Erben einsetzt, beginnt dieser im Labor des Verstorbenen mit dem Mikroskop und in Büchern zu forschen. Georg Lukács hat Wiecherts „altpreußischen Pietismus“ bemängelt. Ich kann den in dem folgenden Absatz nicht finden, sondern eher einen Panentheismus, wie ihn Hartmut Rosenau in seinem Buch „Die Theodizee“ umreißt:
„Langsam, von der Peripherie aus, begann er das Wunder der Schöpfung zu erkennen. Er nannte es mit diesem Namen, und der Name gewann einen immer höheren Klang für ihn. Aber er vermischte ihn nicht mit den Namen, die der Mensch dem Wunder gegeben hatte. Keine Dämonen und keine Götter drangen in den hellen Kreis, über dem die Linse stand. Er deutete das Unbegreifliche nicht, er benannte es nicht einmal, er verehrte es nur. Er lernte langsam, was ihm das Größte erschien: die Natur, ja, den Makrokosmos als etwas Zweckloses zu betrachten. Zwecke trübten das Licht und verwirrten die Linien. Auch so stand hinter allem noch immer das letzte Gesicht, aber es trug weder menschliche noch göttliche Züge. Es besaß weder Raum noch Zeit, noch gar eine sittliche Verklärung. Es war anders als der Erdgeist, und es ließ sich auch nicht beschwören. Das Beschworene würde wahrscheinlich mit Vernichtung strafen. Ein tiefes und ganz ruhiges Glück begann ihn langsam zu erfüllen ..."
Ganz am Anfang berichtet ein Gefängnispfarrer dem Protagonisten, der Rat bei ihm sucht, wie ein zum Tode Verurteilter ihm die Worte entgegenschleuderte: „Ein Segen, dass es drüben keine Pfarrer geben wird.“
Und gegen Ende zieht Thomas das Fazit: „Ein Größeres stand über allem, ein Unerkennbares, eben `Das Ganze‘. Sein Anblick machte fromm, aber es gab weder Kirche noch Altar für die Frömmigkeit. Kein Bildnis, kein Gleichnis, nicht einmal einen Namen. Denn nicht einmal die Sterne waren das Letzte, nicht einmal die Nebel sich gebärender Sterne, wieviel weniger also der Mensch oder Gott, um dessen Bild er haderte und den er benannte, wie er selbst gern gewesen wäre: wissend, mächtig und gut.“
Der verstorbene Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat im Gespräch mit Günter Gaus 1966 bekannt: „Unsere Idealvorstellung war – damals gab es ein Buch von Ernst Wiechert, ‚Das einfache Leben‘; ich weiß, dass viele Leute damals ähnlich empfunden haben wie wir auch; dies wäre unser Ideal gewesen, ganz zurückgezogen zu leben von dem Getriebe der Welt.“
Das ist ein belletristischer Text, seine Begrifflichkeit ist nicht abgeklopft und erprobt. Mir erscheint es als Versuch, den Schöpfungsglauben (das letzte Gesicht) angesichts einer zweckfreien, also zufälligen, evolutionären Natur und einer katastrophalen Weltlage zu behaupten. Und ich könnte mir denken, dass Wiechert in Kriegs- und Katastrophenzeiten eine Chance hat, wieder an Ansehen zu gewinnen. Ist nicht sogar der Klimawandel nur ein berechtigtes Zurückschlagen der vom Menschen ausgebeuteten und missachteten Natur?
Kommentare zu dieser Rezension
Eine tolle, wunderbar kluge Rezension, die ich sehr gern gelesen habe, verehrter Quoth. Ob ich das Buch lesen werde? Ich weiß es noch nicht. Obwohl es mich immer und ewig eher aufs Land, ins Einsame, Ruhige zieht, da ich doch ein wenig misanthropisch veranlagt bin, möchte ich die Stadt auch nicht missen.
Kann ich gut verstehen. Ich lebe ja auf dem Land, aber gelegentliche Stippvisiten im großstädtischen Gewühle (mitsamt Dealern, Junkies, Bettlern und Nutten) brauche ich auch, um es hier draußen wieder genießen zu können. Danke für den Kommentar!
Zurück zur Liste der Rezensionen von Quoth , zur Autorenseite von Quoth, zur Liste aller Buchbesprechungen