Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Donnerstag, 09. Januar 2020, 11:00
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The horror future we deserve

von  Dieter_Rotmund


Im Oktober 2019 wurde bekannt, dass der Streamingdienst Netflix anbietet, Serien in eineinhalbfacher Geschwindigkeit zu sehen. Was soll dieses groteske Angebot?
Auf cnet.com schrieb dazu ein Kolumnist: "Binge-watching Netflix at 1.5x speed is the horror future we deserve". Treffender kann man es nicht ausdrücken. Mir persönlich kommt da der lange gehegte Verdacht hoch, dass es Menschen gibt, die behaupten, sie hätten diesen oder jenen Film gesehen - aber in Wahrheit war es nur der Trailer. Im letzten Sommer beobachte ich einen Menschen, wie er sich in der Bahn Blade Runner auf dem Handy ansah.
Es geht offenbar gar nicht mehr darum, sich eine Geschichte in der ihr gebotenen Art, Länge und Geschwindigkeit erzählen zu lassen. Es geht offenbar nur noch darum, "mitreden zu können". Klar, man kann diesen oder jenen Streamingdienst abonniert und kennt sie alle, diese Serien, über die alle sprechen und diese oder jenen neusten Sternensagafilm hat man selbstverständlich auch schon gesehen, man gehe ja so gern ins Kino - tatsächlich war es aber nur der Trailer dazu und über die jüngste Staffel eines Mittelalterepos hat man nur eine kurze, vage Zusammenfassung gesehen. Es fehlt eigentlich nur noch eine Art Kurz-Letsplay zu Kinofilmen und Serien, hergestellt von einem dieser jugendlichen Kellergeistern, die seit Jahren kein Tageslicht gesehen haben, eine Meinung von diesen Hampelmännern bar jeglichen Sachverstands und Seherfahrung wird gleich mitgeliefert.
Derartige Lügen, um es mal deutlich zu sagen, bekommt man immer öfter aufgetischt. Ich will mit diesem Menschen, die solches von der Werbung gesteuertes Hörensagen in die Welt bringen, nichts zu tun haben. Das sind mir die lieber, die sagen, sie gingen nie ins Kino. Gibt es leider viel zu selten. Es gehört zum guten Ton, wie man so sagt, gerne ins Kino zu gehen. Auf hartnäckige Nachfrage ist es dann nur einer im Jahr, "... da hat mich eine Freundin mitgeschleppt", wird dann auch noch nonchalant ergänzt (als mache es diese Erweiterung besser!) und ein belangloses Blockbusterwerk war es zudem. Was soll man davon halten? Es ist verachtenswert. Wer jetzt denkt, ich würde mich für etwas besseres halten - der hat recht. Ich bin ein echter Cineast, die 1,5x-Trailer-Gucker sind es nicht. Viel wert ist es nicht, der bessere Cineast zu sein. Aber solange es noch echte Kinos mit Leinwänden und gepolsterten Sitzreihen gibt; Kinos, die einen Film in voller Länge und OmU oder in Originalfassung zeigen (inklusive des Abspanns), solange gehe ich ins Kino. Die Nachwelt bekommt dann "The horror future they deserve", mir doch egal.

P.S.:
Am Montagabend Le mystère Henri Pick (Frankreich/Belgien 2019) im Kino gesehen - herrlich.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Judas (09.01.20)
Gut geschrieben. Schöner Beitrag.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 10.01.20:
Danke.

Gestern abend Jeannette, l'enfance de Jeanne d'Arc (Frankreich 2017) im Kino gesehen - sehr kurios, aber auch sehr unkonventionell, deshalb hat's mir Spaß gemacht.
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