Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Mittwoch, 30. November 2011, 16:14
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Filmfestivals - Im Allgemeinen und eines im Besonderen

von  Dieter_Rotmund


Filmfestivals befinden sich meistens unterhalb der gesellschaftlichen Wahrnehmungsschwelle. Sie taugen nicht zum Smalltalk-Thema und finden sich kaum auf den vordersten Seiten der Nachrichten wieder. Selbst der Begriff der Berlinale, des größten deutschen und international in der ersten Liga spielenden Filmfestival ist vielen unbekannt. Obwohl gerade dieses Filmfestival jeden Februar immer wieder in den Medien sehr präsent ist. Immer wieder stehen dann blondhaarige TV-Schnaken mit einem Mikrofon an der Brust vor roten Teppichen und verbreiten Blabla zu angeblichen und tatsächlichen Stars. Es ist verständlich, dass Filmfestivals meistens nur diesen einen Weg in die Berichterstattung nehmen. Das liegt nicht nur an der Einfallslosigkeit der Redakteure, sondern auch daran, dass man kein Luxusdampfer auf ein Ruderboot laden kann. Die Faszination des Films im Kino lässt sich im Fernsehen nicht darstellen, in schriftlicher Form ist es wenigstens sehr schwierig (aber nicht unmöglich). Routinierte Filmfestivalbesucher wissen, dass dieses Rote-Teppich-Gedöns zum Geschäft gehört, weil es für eine gewisse Aufmerksamkeit sorgt. Sie wissen, dass es, was den Inhalt der Filme betrifft, irrelevant ist; sie wählen die Werke, die sie sehen wollen, nicht danach aus, ob einer der der Schöpfer anwesend und vielleicht auch noch über einen roten teppich gegangen ist.
Rote-Teppich-Gedöns gibt es auch beim „Festival des deutschen Filmes“, dass seit ein paar Jahren jeden Juni auf der Parkinsel in Ludwigshafen stattfindet. „Deutscher Film!“ werden jetzt die einen stöhnen, „Ludwigshafen!“ die anderen. Oberflächlich betrachtet, gab es seit Fritz Langs Metropolis (1927) keinen guten deutschen Film mehr. Selbst Metropolis „fiel zunächst beim Publikum durch“, wie man so sagt. Das lag mehr am Verleih als am Publikum, aber das ist eine andere Geschichte. Auf Metropolis folgte der antisemitische Jud Süß (kam beim Publikum sehr gut an!), nach dem Krieg dann kitschige Heimatfilme, dann bleierne Rainer-Fassbinder-Filme, dann Otto-Walkes-Blödelleien und nun dämliche Til-Schweiger-Streifen. Das ist das oberflächliche Bild, das derjenige hat, der beim Begriff „„Deutscher Film“ aufstöhnt. Allein um einige wenige der bei dieser Auffassung vielen Fehlstellen zwischen Fritz Lang und heute zu füllen, wäre ein vielteiliger Kolumnentext notwendig. Das „Festival des deutschen Filmes“ gibt jedes Jahr einen Einblick in die aktuelle deutsche Kinofilmproduktion. Die gezeigten Werke sind sorgfältig ausgewählt und der aufmerksame Besucher kann erkennen: Die Deutschen sind am besten, wenn sie Dramen machen. Keine Melo-Dramen, die werden in Ludwigshafen nicht gezeigt, sondern Filme, die Abgründe aufzeigen, die den Menschen nun mal ausmachen. Hans W. Geissendörfer, der Schöpfer der Lindenstraße, gab dem NDR kürzlich ein Interview. Dort fragte ihn eine der oben beschriebenen blonden Mikrofon-Schnaken, ob es denn im deutschen Film nicht derzeit etwas langweilig zuginge, mit immer den gleichen Schauspielern in immer dem gleichen Filmgenre. Herr Geissendörfer war nachsichtig mit der jungen Dame, die ganz offenbar deutsche Filme nur im Fernsehen sieht (und dort spielt jedes gefühlte zweite Mal Christine Neubauer mit). Ebenso offensichtlich und auch nachvollziehbar: In der Werbung ihres nächstgelegnen Multiplex-Kinos tritt der deutsche Film in fast nur einer Erscheinungsform auf. Geissendörfer widersprach zurecht dem Schauspieler-Einerlei und wies auf die vielen Filme hin, die immer wieder andere und neue deutsche Mimen zeigten, wenn man denn nur ein wenig aufmerksam sei. Was die wenigen Genres betrifft, die im (Multiplex-) Kino laufen, so sagte Geissendörfer, er stimme ihr zu, es seien im Programm fast nur Komödien und Filme, die dröge Gutmenschen-Themen behandeln würden. Seine „Lindenstraße“ mag zwar auch nicht das Gelbe vom Ei sein, aber der Mann sprach die Wahrheit. Wer sich mal ein anspruchsvolleres Werk als Mutter Beimer beim Spiegeleibraten ansehen will, sei Geissendörfer Schneeland von 2006 mit Julia Jentsch und Ulrich Mühe empfohlen.
Das „Festival des deutschen Filmes“ in Ludwigshafen ist eine Ausnahme, was den Festivalort betrifft. Seit Jahren zieht es alle Veranstaltungen in die Zentren der deutschen Großstädte, seien es nun Volksläufe über 3 Kilometer Länge oder Hausratversicherungsmessen. Das führte zu so bizarren Symbiosen, dass auf dem Neumarkt in Köln, dem wahrscheinlich Platz mit der schlechtesten Luftqualität entlang des Rheins und zudem Kulminationspunkt der Obdachlosen und Drogenabhängigen der Stadt, ein Beachvolleyball-Turnier, Sinnbild athletisch-vitaler Lebensfreude, ausgerichtet wurde. Es war, als hätte man in Teheran eine Synagoge errichtet und würde darin schwule Stripshows veranstalten. Das „Festival des deutschen Filmes“ ging einen anderen Weg: raus aus der Stadt, hin an den Rhein, unter Bäumen, ohne Autos und mit Kiesstrand und Sommerambiente. Kino in zwei Zelten, dazwischen Gastronomie und Diskussionen mit den Filmemachern. Es funktionierte gut, das Festival verzeichnete fast jedes Jahr neuen Besucherrekord. Das gerade in Ludwigshafen, die Stadt, die ansonsten nur für BASF, Billigmärkte und Dönerbuden steht. Auf dem Weg vom Bahnhof Ludwigshafen Mitte zum Festivalgelände kann man so eine trostlose Einkaufshallenwelt durchqueren, sie heißt „Walzmühle“ und ist Stein gewordenes Monument uniformer Kettenläden und Aufenthaltsort streunender, gelangweilter Jugendlicher. Wer aus dieser 1Euro-Welt heraustritt und am Ludwigshafener Ruderverein vorbei zur Parkinsel läuft, überschreitet während des „Festival des deutschen Filmes“ Bildungsschichtgrenzen. Das Publikum des Filmfestes besteht überwiegend aus älteren Pärchen, denen die 08/15-Ware in den Multiplexkinos zu anspruchslos geworden ist. Dieses Jahr war außerdem zu beobachten, dass das „Da-kann-man-in-Ruhe-draußen-sitzen“ gar nicht die Anziehung hatte, die man vermutet hätte. Es war nämlich gerade zur Festivalzeit ziemlich regnerisch. Die Leute kamen trotzdem; sie standen in langen Schlangen vor den Kinozelten an, egal bei welchem Wetter (übrigens steht man auf den ersten 100 Meter Schlange noch nicht im Regen). Fazit: Das „Festival des deutschen Filmes“ ist zwar kein Geheimtipp mehr, bleibt aber trotzdem mein Lieblings-Filmfest.

Anhang:
Unabhängig davon, wie man zu Filmfestivals und dem deutschen Film steht, möchte ich bei dieser Gelegenheit eine Empfehlung zum aktuellen, ganz normalen Kinoprogamm aussprechen, als zu dem, „was gerade so läuft“: Die Mühle und das Kreuz.
Ich möchte den Film nicht besprechen, das würde mich überfordern. Das Anschauen des Filmes indes hat mich nicht überfordert, es hat mich fasziniert. Endlich etwas unkonventionell gemacht und auch konsequent durchgezogen, handwerklich erstklassig und mit Rutger Hauer und Charlotte Rampling. „Das Ganze ist mit einer bestechenden Schärfe dargestellt und mit einer Ruhe, die man selten im Kino hat“ schrieb der Filmkritiker Michael Höfner über Die Mühle und das Kreuz.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Didi.Costaire (01.12.11)
Man cannes auch mal in der Provinz etwas auf die Beine stellen.

 Lala (01.12.11)
Hallo Dieter Rotmund,

das Filmfestival und das Ambiente mit den Zelten klingt interessant. Als Berliner, der auch mal William Hurt und Harvey Keitel auf dem roten Teppich „live“ im Gekreisch auf so einem roten Teppich erlebte, konstatiere ich bei Deinen Beschreibungen, dass es bei diesem Filmfestival intimer und sachlicher zuging. Damals, als der William und der Harvey an uns vorüber waren, dachte ich: Wie jetzt? Das ist der Kick? Das verstehe ich bis heute nicht. Andererseits muss ich schon sagen, dass ich den Kosslick für einen geeigneten Confrencier ohne totalen Geschmacksverlust halte. Der Typ hat Ironie. Übrigens als ich damals am Zoopalast wartete, war es noch von Haderen, der kurz danach geschasst wurde. Von Haderen fehlte sicherlich nicht das Näschen für Qualität, aber das Näschen für Vermarktung. Und da wären wir beim deutschen Film. Die Fünfziger Jahre beschreibst Du korrekt als Wüste. Müsste man sie als Zeitreisender von 1949 an durchschreiten, sie wäre erschreckender als die Negev aus Lawrence Of Arabia. Allerdings bin ich kein Spezialsit für die sechsziger und siebziger Jahre. Die großen Namen: Faßbender, Herzog, Wenders, Schlöndorff, haben mich in meiner Jugend nicht erreicht. Den Schauspieler Kinski fand ich interessant, Lamprecht manisch, Wenders hielt und halte ich für einen Fotokünstler und Schlöndorff für einen One-Hit Wonder und das nicht wegen Törless sondern der Blechtrommel. Den Film fand ich sehr gelungen, Übrigens kann ich dann hier auch mal vorab eine Lanze für Kempowski und die Verfilmungen brechen. Großartig. Weil da nichts großartig sein will.
Wo waren wir? Ach ja, deutscher Film. Komme zurück auf Metropolis - und zu Marlene Dietrich. Die, also Me und Ma, haben – und nicht zu unrecht – viel Platz im deutschen Filmmuseum zu Berlin bekommen. So stilprägend, bzw. technisch bahnbrechend bis hin zu Kultfilmen wie Blade Runner oder auch in Filmen wie Sky Captain and The World of Tomorrow – will sagen: ohne Metropolis? Nicht denkbar. Ich füge an: danke Art Deco und Danke zu PC/Konsolen-Spielspielfilmen wie BioShock. Danke Chrysler Building. Aber : Nach Metropolis von Fritz Lang ist durchaus beachtliches geschaffen worden. Z. B. so ein Film wie: http:[exturl=//www.mannbeisstfilm.de/kritik/Peter-Stein/Klassen-Feind/460.html] „Klassenfeind“[/exturl]. Manisch, konsequent, gemein und genial besetzt. Viel besser als Kings Speech. Wer Klassenfeind gesehen hat, kann über The Kings Speech, nur lachen.
Aber wichtiger ist mir, dass mit Filmen, Produktionen wie Karniggels, Boje-Buck, und Bully Herbigs Rat Pack, Till Schweigers Keinohrhasen, oder Levys „Alles auf Zucker“, die schwachsinnige deutsche U/E Schenkelklopf/Stirninfaltenleg Trennung durchbrochen haben, bzw. das angestrengte, wie es sinnbildlich im Wahn des Fitzcaraldo deutlich wird, ad acta gelegt haben. Besonderer Dank verdient da auch Dominik Graf, der mir damals als Fahnder Regisseur auffiel und mich darauf mit „Der Katze“ stark beeindruckt hat. Zur gleichen Zeit war natürlich auch Helmut Dietl bemerkenswert. Dominik Graf hat mit der aktuellen Serie: „Im Angesicht des Verbrechens“ eine kolossale Arbeit abgeliefert, die so dicht ist, wie ich das bei vielen hochgelobten TV-Serien vermisse. Womit wir bei dem angesagten Zeug: TV-Serien.- Leider ist die angesprochene Serie stiefmütterlich vom ÖR in den Untergang, weil ohne roten Teppich, vermarktet worden. Ich brech’ hier einfach mal ab.

 Lala (01.12.11)
Entschuldigung: dr Vorgänger heißt:  Moritz de Hadeln

 Lala (01.12.11)
Ich weiß, dass M. D. in Metropolis nicht mitgespielt hat. Den Raum im Filmuseum bekommt sie trotzdem.

 Dieter_Rotmund (02.12.11)
Lala, Deine Liste in allen Ehren, ich teile sie bis auf "Klassen Feind", der mir unbekannt ist. Aber Graf, Petzold, Krebitz, Hochhäusler, Haneke usw., die sind nicht an der von mir geschilderten Oberfläche, da habe ich für die Kolumne mal eine leicht polemische Position eingenommen...
Die Berlinale hat ein klasse Programm, die Macher sind indes arrogante Schnösel. Vor zwei Jahren ersuchte ich fristgerecht (Mitte Dezember!) um eine Presseakkredierung (kostet übrigens 60 Euro!), um für zwei seriöse regionale Zeitungen mit einer Auflage von insgesamt etwa 120.000 Exemplaren zu schreiben. Wurde abgelehnt, am Telefon mußte ich mir dann anhören, man sei gerade mit einer Zeitung in Japan in Kontakt, die eine Millionenauflage hätte. Ich habe das Gespräch dann rasch beendet...
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