Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Mittwoch, 01. Februar 2012, 12:47
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Kodak

von  Dieter_Rotmund


...pathetische Formulierungen wie „eine Ära ist vorbei“ oder „eine Epoche“ sei vorüber werde ich nicht verwenden. Der Insolvenzantrag von Eastman Kodak, Rochester, New York, ist laut meiner - im wirtschaftlichen Dingen mutmaßlich kompetenten - FAZ nur ein dieser windigen Finanzmanöver und kein Vorbote des Untergangs der 130 Jahre alten alten Firma.
Ich rede nicht gerne darüber; über Kodak und so. Ich meine: Die Produkte, nicht die Firma an sich. Man wird doch nur belächelt. Einerseits offenbart man ein gewisses Mindestalter; viele Ausbilder im Bereich der Fotografie bieten den Laborbereich nicht mehr an, bestenfalls nur noch als zusätzliche Option, nicht als Pflicht. Die jüngsten Fotografen, die ihre Grundlagen mit sogenannten Film-Film und im Labor erwarben, sind mindestens Mitte 30. Die analoge Hobby-Fotografie hatte schon zu ihren Lebzeiten eine Attitüde von alten Männern, die die schlüpfrigen Aufnahmen ihrer Nichten lieber zuhause selbst entwickelten als sie in ein Labor zu geben.
Eines hat sich jedoch nicht geändert: Im sogenannten Consumer-Bereich, also der Gelegenheitsknipser, wird weiterhin mehr Masse als Klasse geschaffen. Es werden viele Bilddateien erzeugt, ohne Rücksicht auf deren Qualität. Allein das vage Erkennen von bekannten Personen auf diesen Bilder reicht schon aus, um sie für vorzeigbar zu halten. „Früher“ lief man oft in folgende Einladungsfallen: Von wegen lecker Bier, Schnittchen und Klatsch und Tratsch; stattdessen bekam man 500 Dias vom letzten Urlaub des gastgebenden Pärchens gezeigt. Alle dezent überbelichtet, wie Consumerkameras nun mal gern voreingestellt sind und viele davon während der Mittagszeit aufgenommen, wo alles von der hochstehenden Sonne totgeleuchtet ist, mit tiefen Schatten in den Augenhöhlen der Abgebildeten. Wenn man vorsichtig vorschlug, doch bitte mit einigen wenigen kleinen Rücksichtnahmen auf eine etwas bessere Qualität zu achten und dann nur die 50 besten Bilder zu zeigen, wurde das als persönlicher Affront aufgefaßt, als Beleidigung. Wobei die allerwenigsten Familienpapis das Rückrad hatten und haben, die Sache sofort auszumachen, z.B. auf der Straße. Wer so etwas Unverschämtes vorschlug und Glück hatte, wurde nicht mehr zu diesen Folterabenden eingeladen. Wenn die Ehefrau des Knipsers am Strand liegend abgebildet war, lag mir oft die Frage auf der Zunge, wann den Greenpeace gekommen sei und angefangen hätte, sie mit Wasser zu überschütten. So mies die Dias aber auch waren - ein flauer No-Namefilm in glaslosen Rahmen in einem ratternden Projektors eines bekannten Rasierapparateherstellers (an diesen Stellen wurde gespart, nicht aber daran, die häßlichste Schrankwand, die man für Geld bekommen konnte, ins Ehebeetschlafzimmer zustellen), so schäbig das auch im Grunde war, es hatte doch noch mehr Charme als der an den Wohnzimmerfernseher angeschlossene Computer, der 5000 verwaschene Digitalbilder mit den scheußlichsten 4999 Überblendungsmöglichkeiten zeigte. Aber auch diese Zeiten sind vorüber, der Digitalknipser von heute stellt mit seinen Bildern seine Festplatte voll, die Fotografien werden nie wieder angesehen und mit dem Tod des Computers, in dem die Festplatte installiert war, weggeschmissen. Menschen, die etwas Öffentlichkeitsarbeit für ihren Verein oder ihre Gruppe betreiben wollen, können ein Lied davon singen: Zur Veranstaltung wird wie wild geknipst. Um Fotos gebeten, und seien sie auch noch so anspruchslos, kommen vage Zusagen, man müsse das Material erst sichten. Nachdem man in den folgenden Tagen und Wochen noch weitere drei Mal nachgehakt hat, kommen dann fadenscheinige Ausreden, warum man keine Bilder schicken könne. Der Digitalknipser ist mit der Reflexion seiner Ergebnisse quantitativ und qualitativ überfordert. Die Ergebnisse werden zweitrangig, es zählt nur der Ruf. das Hörensagen, der Soundso hätte ganz viele tolle Bilder gemacht.
Im Grunde war es schon zu Analog-Zeiten nicht viel anders, nur weniger grotesk. Zweimal war ich - etwa Anfang Zwanzig - auf Gran Ganaria, um dort als Assistent mit Fotograf, Stylistin, manchmal einem schwulen Friseur und einem Grüppchen Models (männlich wie weiblich) wie am Fließband Kleider abzufotografieren. Für Kataloge. Auf der einen Seite, der sogenannten Objektseite, die Models, die Stylistin und ich, auf der anderen Seite der Fotograf, der schreiend (ab 300mm Brennweite mußte er ziemlich weit wegstehen) um Aufmerksamkeit heischte. Ich war nämlich nur hin und wieder bei ihm, um die Filme in den Gehäusen zu wechseln. Ab und zu Touristen, die fragten, ob wir „einen Film drehen würden“, oder dieselben Touristen, die, in einem Bus mit stark getönten Scheiben sitzend, uns mit ihren Knipskameras aus dem fahrenden Fahrzeug heraus fotografierten.
Die Sonne war unserer Verbündeter; zwischen 11 und 15 Uhr fotografierten wir nicht, das führte nur zu miserablen Ergebnissen, die der Kunde nicht akzeptiert hätte. Zu Recht. Wenn ich davon zuhause erzählte, wurde das nur als „Beweis“ gewertet, dass ich auf Gran Ganaria im Grunde nur Urlaub gemacht hätte. Dass ich, dass wir, keinen einzigen freien Tag hatten und pünktlich morgens um 8 Uhr die ersten am Frühstücksbuffet waren (was übrigens von den morgenmuffeligen Hotelangestellten sukzessive unterlaufen wurde, so dass wir am Ende bestenfalls ab 8:30 Uhr etwas bekamen) und dass am gemieteten Kleinbus oft die Schiebetür abfiel und dass wir nur deswegen nur jeweils zwei Wochen auf der Atlantikinseln weilten, weil man mit vier zusätzlichen großen Metallkisten voll mit den Kleidern des Auftragebers schon an der Grenze des mit normalen Linienflügen Transportierbaren angekommen waren (und wir uns natürlich darum kümmern mußten), das alles glaubte mir keiner so recht.
Übrigens war „zu meiner Zeit“ der Kodak Ektachrome in der Modefotografie gar nicht so sehr gefragt, zumindest im Kleinbildformat (Konfektion 135, 24x36mm). Der Kodak Ektachrome galt als ein wenig zu „kalt“, wir und viele andere Modefotografenteams benutzten den „wärmeren“ Fujichrome . Zur Erläuterung: Filme mit der Endung -chrome waren Dia-, also Positivfilme. Eine Abhandlung zum Thema Farbtemperatur spare ich mir jetzt. Bei der Produktfotografie im Studio nahmen wir, soweit Planfilme gefordert waren, jedoch Produkte der Firma Kodak. Planfilme sind (er gibt sie noch) keine Filme mit Landkarten darauf, sondern nicht gerollte, eben plane Film, die nur eine einzige Aufnahme erlaubten. Dafür waren sie noch größer als der Mittelformatfilm, der - nach meiner zugegebenermaßen nur oberflächlichen Recherche - völlig verschwunden ist. Und ja, es gab auch einen Kodachrome, der allerdings nicht in den üblichen E-6 Diafilmentwicklungsprozess kam. Immerhin wurde er, der Kodachrome sogar besungen, von einem Paul Simon, Popmusikkennern wird es als 50% des Duos "Simon&Garfunkel" vielleicht bekannt sein.
Andererseits, um auf die Analogfotografie als Ganzes wieder zurückzukommen, weil man als rückwärtsgewandter Nostalgiker empfunden wird. Die analoge Fotografie ist, ernst genommen, eine Fotografie des sorgfältigen und vorausschauenden Handwerks. Wir arbeiteten in dem Geist, dass alles dafür getan wurde, dass das Foto schon im Moment des Auslösens nahezu perfekt war. Die Möglichkeiten, im Labor noch Einfluß auf das Endergebnis zu nehme, waren nämlich begrenzt und übrigens machte es auch keinen Spaß, aus schlampig fotografierten Filmen noch halbwegs vernünftige Bilder zu machen, die dann doch nur ein lauer Kompromiß waren. Zweistufen-Filmentwicklung (z.B. Emofin, mein Lieblingsentwickler), Herstellung eines Kontaktabzuges, sorgfältiges Begutachten des Kontaktabzuges, Auswählen mittels Negativnummer, Format, Papier, Fixierbadtest, Trockenschrank, um nur grob ein paar Stationen zu nennen. Ich will sie gar nicht nennen, man wird nur müde von den Digitalknipsern belächelt, die sich dann für wahnsinnig fortschrittlich halten, weil sie stundenlang vor ihrem Computer sitzen, um ihre mies fotografierten Bilder aufzuhübschen. Als würde man nicht auch ansonsten, ganz ohne Fotografie, sowieso schon viel zu viel Zeit dort verbringen! Glücklich war im Labor derjenige, zumindest war ich es, der die Negative bei mittlerer Gradation (erkläre ich jetzt ebenfalls nicht, das führt zu weit) inklusive des (im Negativ) hellen, im Positiv also dunklen Negativrandes vergrößern konnte, dann stimmte schon a priori fast alles. Es gibt diesen Negativrand inzwischen als Photoshop-Werkzeugsfunktion. Das ist von frustrierender Erbärmlichkeit.
Ich habe Anfang dieser Woche bei Fotohändler meines Vertrauens angerufen: Kodak-Filme und Kodak-Papier sind weiterhin erhältlich, Panikkäufe wurden nicht beobachtet. Ich selbst hatte jedoch eine leichte Panikattacke: Schallplatten, Schallplattenspieler und deren Ersatzteile wird man noch eine ganze Weile kaufen können; Kinos, die was auf sich halten, werden ihre 35mm-Projektoren nicht wegschmeißen, sondern weiterhin 35mm-Filme zeigen. Aber ein Fotolabor ohne Kodak-Chemikalien, -Fotofilme und -Papier ist doch eine erschreckende Vorstellung, jedenfalls für mich. Die Sachen waren und sind immer ein wenig teurer als die Konkurrenz, aber waren und sind aber auch immer ein wenig besser. Ich würde sie vermissen.
Übrigens ist die Firma Eastman Kodak der Erfinder des sogenannten Safety Film, als Schichtträger aus dem Kunststoff Zelluloseacetat gemacht, für die lichtempfindliche fotografische Emulsion, die darauf befindet. Der Safety Film oder Sicherheitsfilm löste beim (Kino-)Film schon vor über 60 Jahren das leicht entflammbare und schlecht haltbare Zelluloid ab. Schlichtweg unverständlich, wie selbst heute noch Journalisten, bzw. solche, die sich dafür halten, bescheuerte Umschreibungen im Zusammenhang mit heutigen Filmproduktionen, wie z.B. „auf Zelluloid bannen“, verwenden können.

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