Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Donnerstag, 17. Mai 2012, 01:12
(bisher 4.557x aufgerufen)

Zu Himmelfahrt: Herthas Höllenfahrt(en)

von  Lala


Cool ist wahrscheinlich das Wort, das sich am wenigsten mit der Hertha verbinden lässt. Hertha ist alles andere, aber nicht cool. Wenn kultig sein auch immer irgendwie cool bedeutet, dann ist Hertha auch kein Kult. Trotz eines Zuschauerschnitts von 50.000. Wobei die der Hertha Unwohlgesonnenen stets behaupten, dass die, die zur Hertha gehen, nur die Chance nutzen, wenigstens eine Bundesligamannschaft mal live zu erleben. Aber so einfach ist es nicht.
Aber wenn Hertha nicht cool und Hertha kein Kult ist, was macht dann den Reiz aus? Christian Ulmen schrieb vor etlichen Jahren im Tagesspiegel eine Kolumne mit dem Titel „Hertha lieben lernen“. Ulmen hatte gut erkannt, dass es dieser Club seinen Fans sehr schwer macht, eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen.
Auch mein Verhältnis zur Hertha begann mit einem Rückschlag. Dem Abstieg aus der ersten Liga im Jahre 1980 und einem alten Trainer mit dem rattenscharfen Namen Fiffi Kronsbein. Es lief die Sportschau, Hertha war abgestiegen und die Schalte ging nochmal ins Olympiastadion. Da stand Kronsbein. Ein alter Mann, alleine in einem großen und gähnend leeren Stadion. Und er heulte; heulte weil seine Hertha gerade abgestiegen war. Und ich? Ich war gerade nach Berlin verschleppt worden und mir ging‘s auch nicht gut. Drin geblieben statt der Hertha war Bayer 05 Uerdingen. Wegen der um zwei Tore besseren Tordifferenz. Damals schien alles falsch zu laufen und ich weiß nicht mehr, ob ich mich deswegen mit der Hertha oder die Hertha mit mir solidarisiert hatte? Wie auch immer, es sollte alles noch viel schlimmer kommen, aber zum Glück nicht für mich.

Aber, so stellte ich mit zehn Jahren fest, nachdem ich Hertha Überzeugungstäter und Zweitligaspielbesucher geworden war, dass die Hertha schon vor meiner Zeit nichts ausgelassen hatte, um sich zu blamieren oder aus lichten Höhen brutal abzustürzen. So hatte sie sich 1963 in die Bundesliga Startsaison geschummelt und sich 1970 verkauft, damit Bielefeld die Klasse hält. Ich las Bücher über den Fußballskandal und musste feststellen, dass neben der Hertha nur Schalke 04 einen ähnlich ruhmreichen wie unappetitlichen und mafiösen Stallgeruch hatte.
Die Gelsenkirchener Knappen, die eine Zeit lang mit der Hertha durch ebenso tiefe Tränentäler und Korruptionsskandale marschierten, schienen mir auch personaltechnisch ähnlich masochistisch veranlagt zu sein. Während die Hertha damals aus einer muffigen Kneipe namens Holst am Zoo von einem noch muffigeren Präsidenten namens Holst geführt wurde, regierte in Gelsenkirchen ein nackter Bäderkönig und Trainergenies wie Neururer gaben den Zampano im Parkstadion. Letzterer musste natürlich auch von der Hertha einmal ausprobiert werden – natürlich in einer dieser unvergesslichen Abstiegs- oder Höllenfahrtsaisons der alten Dame.
Aber immerhin hatte man als Hertha Fan einen Verein mit einem richtigen Namen. Das blieb einem wenigstens erhalten. Auch dann noch, als man 1986 erleben musste, wie der Verein vom SpVgg Erkenschwick vermöbelt wurde. Nein, das war nicht Zweite Liga, sondern Amateur Oberliga. OK, vierzehn Jahre später, im Jahr 2000, haute derselbe Verein, dieselbe Hertha Chelsea und Mailand in der Champions League weg, war dann 2009 vom zwanzigsten bis fünfundzwanzigsten Spieltag sogar an der Tabellenspitze der Bundesliga, verfehlte knapp den Titel, nur um 2010 dann den eigentlich für die Ewigkeit aufgestellten Bundesliga-Negativrekord von Tasmania 98 noch zu unterbieten.
Es ließen sich noch mehr Himmel- und Höllenfahrten dieses Vereins nacherzählen. Aber auch all das, vielleicht außer dem Namen dieses merkwürdigen Vereins, ist weder cool noch kultig.
Der Verein wirkt auf mich zunehmend wie aus der Zeit, aus den achtziger Jahren gefallen. Man spielt in einem Olympiastadion, ist für alle Fußballfans außerhalb der eigenen Stadtmauern, total egal und fällt eher durch Unsportlichkeiten und Betrügereien auf.
Während Hamburg heute ganz modern meine Perle singt, Nina Hagen die Eisernen rockt und selbst die Schalker in hochmodernen Fußballtempeln das Veltins bis an den Sitzplatz gezapft bekommen, sitzt man bei der Hertha in einer Nazi Schüssel und ganz weit weg vom Fußballfeld. Bei Hertha gibt es was auf die Ohren, bevor es was auf die Socken gibt. Z. B. eine Hymne über die Blauen Jungs. Die klingt dann auch wie ein von Göring eingespielter Gefangenen Chor aus Nabucco. Danach ertönt ein auf modern gepimpter Atzensong über Schulle (Schultheiß Bier) und die Hertha. Wem bis dahin noch nicht schlecht geworden ist, bekommt Frank Zander und sein Lied „Nur nach Hause“ noch gratis obendrauf.
Wie man angesichts dieses Grauens auf die Idee kommen kann, nicht nach Hause zu wollen, bleibt mir ein ewiges Rätsel. Die Hertha ist ein chronischer aber hoffnungsloser Fall für jeden Imageberater.
Und dieses Jahr war es wieder mal soweit, dass Hertha in nur einer Saison das Lied des Fußballs, das Ewige hin und her zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, im großen Stile dargeboten hat. Mit Theaterdonner im Umfeld a la mehrfachen Trainerentlassungen und wunderbaren Koloraturen der Mannschaft auf dem Platz.
So gelang es zum Beispiel, anderes als es die Vize-Bayern vermochten, den BVB bei dessen Rekordsaison ausgerechnet in Dortmund zu schlagen. Aber auch zu Hause gegen die Schlechtesten der Schlechten, gegen die abgestiegenen Kaiserslauterer zu verlieren. Trotz allem aber doch noch in die Relegation zu kommen – sogar als Favorit! – nur aber, um sich dann von Fortuna Düsseldorf einseifen zu lassen. Beschämenderweise auch noch so, dass die dafür keinen Elfmeter gebraucht haben.*
Aber auch dieser Abgang wäre Hertha unlike, wenn er nicht noch mit einem handfesten Skandal, Todesangst und reichlich Feuerwerk auf und neben dem Platz geendet hätte. Ganz große Oper eben! Aber auch wahnsinnig anstrengend.
Aber mal ehrlich: Wer will eine Geschichte hören, die immer nur von unbesiegbaren Superheroes und Forever Number One Vereinen handelt? Ich nicht. Aber da sehe ich langsam schwarz für die Bundesliga mit Augs und Frei und Burg und Fürth, mit 04 und 05, mit fad und mit öd und Helden aller Orten. Schaut Euch um. Überall Vereine mit multifunktionalen Spielstätten und mit so hinreißenden Namen wie Maschmeyer- oder Sparkassen-Arena. Oh, Gott! Da hat selbst die Speer und Breker Arena mehr Würde.
Aber vom Namen ab: die Vereine sehen alle gleich aus. Alle haben Fußballstadien ohne Tartanbahnen. Gab‘s früher nur in Ausnahmefällen, in England und heute nur noch bei der Hertha. Gut, manche haben ein vollautomatisches Dach. Andere nicht. Beim Manta aus den Achtzigern ging die Antenne auch von innen automatisch. Ansonsten? Alle austauschbar. Ob Borussen- oder Allianz Arena? Ob Eisern oder Bayern oder Pauli? Das sind Geschmacksrichtungen geworden. Banane oder Erdbeere? Wen kümmert das noch? Worüber soll ich mich da aufregen? Über Kirsch-Banane? Worüber soll ich jubeln oder weinen? Und damit meine ich nicht die einstudierten Standard Heulsusen oder Aggro Choreos der Ultras zum Abstieg ihres Vereins. Nein! Fiffi Kronsbein wo bist du?
Die Abläufe sind mir zu standardisiert und vorhersehbar geworden. Die Bundesliga hat ein Corporate Identity und die Ultras aller Vereine prämieren jede Woche die beste Choreographie – und ich hatte immer gedacht, die wären zum Fußball gucken gekommen. Das ist alles nur noch schwul.
Das war früher anders, als die Bayern noch das Imperium, Mordor, schlicht: das Böse waren; Uli Hoeneß Darth Vader und den Oberschurken verkörperte, bzw. Darth Vader noch mit Uli Hoeneß verwechselt werden konnte. Früher gab es in der Bundesliga Gut und Böse, Himmel und Hölle. Früher gab es noch einen Anlass für die Toten Hosen sich gegenüber Bayern zu echauffieren. Und die Bayern ärgerten sich sogar noch. Heute ist Fortuna so rot und weiß und vom Fußballgott oder dem DFB begünstigt wie es die Bayern mal waren.
Heute? Heute verkauft Hoeneß hauptberuflich Wurst. Und Darth Vader verkümmerte in den letzten Jahren zum faden Hanswurst. Heute, heute lagen meine Sympathien bei den beiden letzten Aufeinandertreffen der Dortmunder und Bayern natürlich bei den Underdogs. Also bei den Bayern. Aber d.h. natürlich, dass es mir im Grunde genommen scheißegal war, ob sich der Uli am Ende geärgert hat oder nicht – und das will was heißen!
Aber Hertha? Hertha ist deswegen immer noch nicht cool. Oder gar Kult. Hertha ist Spandau und nicht Prenzlauer Berg. Und das zum Glück. OK: Spandau auf LSD und ick freu mir trotzdem auf die nächste Himmelfahrt mit diesem Scheißverein!


*Anm: Immerhin brauchten die Fortunen sage und schreibe sechszehn Elfmeter, um den dritten Platz in der zweiten Liga zu erreichen – armes St. Pauli, armes Paderborn. Von den etlichen Roten Karten für die Gegner der Fortunen mal ganz abgesehen.
Wer noch einmal was Abfälliges über Bayern und deren Dusel Elfmetern sagt oder über sogenannte Scheißvereine singt, sollte zuvorderst an Fortuna und deren Schwalbentrainer Maier mal nachdenken. So als kleine aber echte Kopfnuss für zwischendurch.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Didi.Costaire (17.05.12)
Ich dachte mir schon immer, dass die Bundesliga Hertha BSC nicht braucht, genauso wenig wie weiland Bayer Uerdingen. (Auch auf die Gefahr hin, dass Fiffi sich im Grabe umdreht.)
Trotzdem verlief die Schlussphase des Relegationsspiels in Düsseldorf völlig irregulär.
Meine Vorschläge: Die Bundesliga spielt in der kommenden Saison mit siebzehn Vereinen. Die Zweitligapartien zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC werden nicht ausgetragen und für beide Clubs mit null Punkten gewertet. In Zukunft gibt es wieder klare Abstiegsregelungen ohne Relegationsspiele.

 Dieter_Rotmund (17.05.12)
Für die, die nicht die Sportseiten unserer Zeitungen lesen: Lala meint mit "Hertha" den Berliner Sportverein "Hertha BSC", offiziell Hertha, Berliner Sport-Club e. V., einen ca. 25000 Mitglieder starken Verein, in dem Fußball und Tischtennis gespielt und geboxt wird. Neben vielen anderen (Fußball-)Mannschaften hatte dieser Verein bis vor kurzem ein Team, das in der obersten Liga des Fußballs, der Fußball-Bundesliga, mitspielte.

Schön die Anspielungen auf Arno Breker und Albert Speer. Aber ob die von unseren jüngeren Lesern hier noch jemand kennt?

 Lala (18.05.12)
@Didi
Die BuLi braucht keinen, aber jeder Verein die BuLi. Ansonsten stimme ich Dir voll zu.Relegation ist Müll und nützt eher dem Bundesligisten und ist schin daher nur als unfair zu betrachten - bzw. als widerliche Geldmacherei seitens des Ausrichters, des DFBs.

@Dieter_Rotmund
Ich bin natürlich davon ausgegangen, dass die Fußballabteilung der Hertha den Literaten hier natürlich bekannt ist und geläufiger ist als Herta Müller. Seis drum. Und wenn ich's gewusst hätt', dass der Richter, der heute im Kinderspielgruppengericht des DFB sein Hämmerchen schwingen darf, auch gesagt hat, dass er Tartanbahnen liebt, ich hätte noch hinzugefügt, dass das Oly vielmehr DFB like ist, als die modernen Fußballarenen.

@Luja
Ja, davon gehe ich aus, auch wenn ich nach dem Skandalspiel in Deppendorf einen Zwangsabstieg der Beiden Kontrahenten in die Vierte Liga absolut begrüßen würde - auch wenn ich als Hertha Fan natürlich nicht begeistert wäre ;)
Falls es aber zu Begegnungen in der zweiten Liga kommt, gehe ich von maximal Zweien aus. Angesichts der betriebswirtschaftlichen Bilanz der Hertha muss ich davon ausgehen, dass es auch in der Zweiten nur gegen den Abstieg gehen wird. Der neue Hauptstadt Club ist dann, ab jetzt, Union - der auch viel besser geignet ist, als DFB kompatibler Mickey Maus Club analog zu den Eisbären für die Bundesliga vermarktet zu werden. Die Eisernen haben eine bessere Aussenwirkung als Hertha. Ähnlich 1860 und FCB, wobei Union eindeutig der FCB ist, weil die Sympathien in der Stadt begrenzt aber im Ausland und in Prenzelberg hoch sind. Nun denn, wenn also es so kommen soll, dass die Hertha in Regensburg spielt, hätte ich nicht übel Lust diese schöne Stadt ein weiteres Mal zu besuchen. Das letzte Mal war ich Student, hatte Wagner entdeckt und neun Stunden auf den Ohren, weil ich mit irgendwelchen RE Zügen und Umsteigarien nach Regensburg gezockelt bin und dort dann 18 h begeistert besoffen war. Also wenn ich daherunter komme, dann würde ich mich freuen dem LuJa mal zuprosten zu können.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram