Gospelabend

Satire zum Thema Andere Kulturen

von  Strobelix

In meiner ureigensten Naivität war ich der Meinung ein Gospel-Konzert wäre ein unspektakulärer Bestandteil des Münchner Kulturlebens.
Umso überraschender war meine Erfahrung bei einem Gospel-Konzert mit Joan Orleans im Herkulessaal der Residenz.
Die musikalische Gestaltung des Abends hatte mir als Gospel-Fan extrem gut gefallen. Frustrierend war leider das anscheinend überraschend „begospelte“ Münchner Kultur-Abo-Publikum. Ich meine also die Leute, die schon durch ihre Kleidung den Eindruck erweckten, dass sie der Meinung wären, sie gingen zu einer Neuinszenierung der "Jungfrau von Orleans" und nicht zu einem Gospelabend mit Joan Orleans.
Diese Besucher waren stark geprägt von dem Motto: „Ich habe zwar keine eigene Meinung, aber es ist so praktisch, wenn ich die Karten immer zugeschickt bekomme.“ Oder anders formuliert: „Es zählt nicht was mir gefällt, sondern ich muss ja hingehen, damit ich kulturell mitreden kann.“
Dieses Publikum wurde aufgeschreckt vom brutalen Konzertbeginn mit lauter Musik, sowie dem Kontrastprogramm einer schwarzen Sängerin in einem weißen Kleid - wahrscheinlich auch keine Jungfrau – dazu ein „Neger-Chor“ im Hintergrund, bestehend aus Farbigen in blutroten Gewändern. Diese Farbenvielfalt wurde noch unterstrichen durch discothekenähnliche Beleuchtungseffekte.
In diese zerrissene emotionale Situation, in der rund 50 Prozent des Publikums fieberhaft damit beschäftigt sind herauszufinden, ob sie überhaupt in der richtigen Veranstaltung sind, platzt - quasi ohne
Wahlmöglichkeit- die, auf diese verunsicherten Menschen aggressiv wirkende, Aufforderung zum Mitklatschen, die sich dann auch noch in ein von allen mitzusingendes "Ha - le - luh - ja!" steigert. Das war manchen dann doch definitiv zu viel!
Das hatte natürlich zur Folge, dass die irregeführten Besucher im Laufe der Veranstaltung, entsprechend des persönlichen Geizgrades, das Konzert verließen. Die Hardliner liefen bereits vor der Pause aus dem voll besetzten Saal. Wer in der Pause noch als toleranter, aufgeschlossener Kulturinnovationsanhänger wahrgenommen werden wollte, betrat erst nach der Pause den Saal nicht mehr. Die geizigsten Irrläufer gingen erst, nachdem sie mit Hilfe des Programms das drittletzte Lied eindeutig identifiziert hatten.
Aber, siehe da, nachdem die oben charakterisierten 50 Prozent den Herkulessaal in zuletzt dammbruchartiger Manier zum selbstbewussten Ausdruck ihres über Stunden angestauten Missfallens verlassen hatten, kam bei den verbliebenen Zuschauern unaufhaltsam wachsende Gospelabend-Stimmung auf. Mitklatschen und Mitsingen war plötzlich doch wieder Normalität und führte zu einem versöhnlich unintellektuellen, aber emotional mitreißenden Konzertabschluss.


Anmerkung von Strobelix:

Ist das eine Besonderheit des Münchner Konzert- und Theaterpublikums oder gibt es so etwas auch in anderen Städten Deutschlands?

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