Andersartigkeit: tragische Totalität

Erzählung zum Thema Nihilismus

von  theatralisch

Exkurs:

Ausflüchte mögen derartige Lückenfüller sein, die man lediglich dann zur Sprache bringt, wenn man den roten Faden verloren hat und auch sonst recht verworren scheint. Jeder ist sich der Tatsache bewusst, dass Bücher, obgleich uns die Dicke des ein oder anderen, vom Autor gewollt, in dem Glauben lassen soll, das unvermeidliche Ende möge vom Anfang noch unendlich weit entfernt liegen, oftmals die Umwertung der geltenden Werte vornehmen wollen. Dieser gummiartige Effekt gräbt die bereits gierig vorherrschende Antithese aus, deren Ausmaß man sich im Vornherein zwar bewusst sein mag, wohl aber nicht der plötzlich hereinbrechenden Wendung. Ein retardierendes Moment scheint bewusst eingefügt, um dem Unwissenden zuvor bereitgelegtes Wissen vorerst nochmals zunichte zu machen und dem besonders Unwissenden sämtliche Kompetenzen abzusprechen. Dieser augenscheinlich nichtigen These sollte entgegengewirkt werden und zwar vom Autor selbst, der ursprünglich den Weg eingeschlagen hatte, ohne steinige,  wüstenartige Seuchenreflexe, einem Leitbild zu folgen und sich dessen Expression anzueignen. Die einleuchtende Prägnanz sollte fortan weiterbestehen und dem Lauf einer Handlung nicht auch noch ihren letzten Schwung nehmen. 


Drang zum Universalwissen


Geistige Umnachtung drohte dem jungen Burschen mit dem roten Schopf auf seinen dünngliedrigen Fingern zu lasten und folgt man dem gegenwärtigen Drohsignal kann man ihm schlussendlich jene abgedroschene Anekdote zuordnen, insofern man einen Rückblick vornehmen wollte:
Alles sollte seinen Ursprung im Unverständnis der Andersartigkeit finden, auf deren Existenz Pius schon als kleiner Junge mit Widerstand reagierte. Man wollte ihm eine ganz spezielle Freude machen. Die Mutter, meine Urgroßmutter Agnetha, lud alle Jungen der Nachbarschaft zu seinem Geburtstag ein. Der Knabe zählte gerade einmal neun Lenze und hatte sich bereits den Dickkopf eines närrischen alten Mannes zu eigen gemacht. Man wollte ihm, so erzählte man mir im Nachhinein, in seiner sonstigen tristen Eigensinnigkeit, eine herzzerreißende Freude bereiten, die ganz und gar ein wunderbares Bild darbot, als man den festlichen Raum betrat. Alles war über und über mit bunten Papierschlangen geschmückt und zahlreiche Köstlichkeiten waren auf einer langen Tafel aufgereiht. Es war wirklich ein herrliches Schauspiel. Jeder einzelne Junge erfreute sich am lustigen Treiben und erwartete nun nur mehr das Erscheinen des Geburtstagskindes, das jeden Moment zur Tür hereinspähen musste. Der Junge kam, schlich auf leisen Sohlen durch die Stube und blickte kurz und sichtlich verdutzt in die illustre Gesellschaft, die sich da, wohl ganz zu seiner Empörung und Ablehnung, in seiner Privatsphäre, wohlgemerkt gewünschten und ersehnten Privatsphäre, breitgemacht hatte. Selbst das köstliche Gebäck ließ seinem trotzigem Gesicht kein Lächeln entlocken, nein, nichtmals erahnen konnte man, ob dieser abstruse Junge nun Gefallen an dem Geschehen finden könnte oder jeden Moment wütend mit Granaten und Munition die Feier stürmen könnte. Die Erwartungen an den Jungen unterlagen einem einzigen fortwährenden Trugschluss, dessen Aufgabe stetig in der Erfüllung des Gegenteils bestand. Man wollte schon alle Hoffnung aufgeben und dem Jungen lediglich Torheit und undankbares Verhalten unterstellen, da machte sich ein schiefes Grinsen auf seinem rotgefleckten Gesicht breit, welchem man wohl vorschnell eine andere Bedeutung zusprechen wollte. Wohl zu voreilig, da Pius’ Blickwinkel nun etwas ganz anderes erfasste. Kurz gesagt, richtete er in eben jenem Moment seine beschränkte Aufmerksamkeit auf den Berg Geschenke, den man ihm mit aller Mühe aufgetürmt hatte. Insbesondere hatte er es auf eine handbemalte Eisenbahn abgesehen. Und ja, man wollte ihm diesen Glücksmoment nicht vergönnen und auch seine Mutter hatte gewisse Vorstellungen davon, welches Geschenk ein Jungenherz zum Glühen bringen könnte. Jeder der Gäste starrte gebannt auf den xbeinigen Jungen, der ein ziemlich groteskes Bild abgeben mochte, wie er sich der Menge darbot, in seinem zerschlissenen, abgetragenen Sakko, das er manchmal selbst zum Schlafen nicht ablegen wollte. So sah man in das Gesicht des Jungen, während seine Mutter die Eisenbahn an sich nahm, um diese Pius überreichen zu können. Man hätte als Außenstehender beinahe der Auffassung sein können, die Bahn hätte für einen Augenblick seine Teilnahme erregt, doch schon im Nächsten stellte er sie unbeachtet beiseite.         


Exkurs im Exkurs:
 
Der Leser hätte der Handlung ihren letzten Schwung abgesprochen, wäre man nicht fortgefahren, und dies zwar mit dem Rückblick auf Pius' Kindereien, deren Begrifflichkeit einem augenscheinlichen Fehlverhalten zugrunde liegt.


Ob Exkurs oder Revolte...? [ff]


Anmerkung von theatralisch:

Das Spiel einer einsamen Seele mit sich selbst beschreibt die Geburt der Tragödie wohl am besten.

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Kommentare zu diesem Text

Locklin (48)
(03.10.07)
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 theatralisch meinte dazu am 03.10.07:
Ich schätze, dies war einer der Versuche, etwas Längeres zu schreiben.
Dünnes Eis ist brenzlich, das ist klar, aber warum solltest du deswegen weniger trinken? hehe
Vermutlich sollten wir wohl eher alle ein wenig tiefer ins Glas schauen. Tschaka.
Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr allzu gut an den Plot erinnern. Weiß nur, dass es um Pius ging und das von Anfang an. Ein junger Mann, ich schätze, es war sein Enkel, beschreibt die Abenteuer seines hitzigen Großvaters. So oder so ähnlich sollte es gewesen sein. Irgendwann wurde mir der Faden dann zu dick für das Ör und ich hörte auf, meinen Pius-Drang weiterzuverfolgen.
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