Feuerstätten

Satire zum Thema Werbung

von  Bellis

Der Landkreis, den ich verwalte, besitzt seit einigen Monaten ein großes neues Krematorium. Es steht, verkehrsgünstig, unweit der Autobahn am Rande eines Gewerbegebiets. Weil ich neugierig bin (und weil ich diese Informationen natürlich für meinen Job brauche!), google ich nach dieser Einrichtung: Tatsächlich, das Krematorium besitzt eine Website!
Auf der Website (ansprechend in flammenden Rot-Orange-Tönen gestaltet) werden viele Fotos des Hauses gezeigt.
Modern ist das Gebäude, fast steril in seiner sachlichen Betonarchitektur. Jedoch wurde es, außen und noch mehr innen, aufwändig mit Wandmalereien und Skulpturen dekoriert. Die sind wirklich kunstvoll und wurden wohl auch von einem Künstler extra angefertigt. Sie thematisieren den Weg eines Verstorbenen ins Jenseits. Sein Reisegefährt ist eine Barke, deren Motiv sich als Relief in Bronzeplatten und als von der Decke hängende, beinahe schwebende Plastik wiederholt. Mythisch-mystisch, aber nicht gruselig – das gefällt mir gut, am liebsten würde ich mir das Gebäude mal live anschauen. Ob man mir das gestattet? Und ob man dort auch bestattet? Man verzeihe mir den Wortwitz – aber hier in der Verwaltung hieß es wirklich, dass zum Firmengelände des Krematoriums auch ein betriebseigener Friedhof gehört. Fotos von diesem finde ich leider nicht. Aber wenn der auch so sachlich gestaltet ist, wie der Hallenbau, passt er sich sicher gut in den Charakter des Gewerbegebiets ein. Warum auch nicht? Totengräber ist auch ein Gewerbe. Lerne ich zumindest von der Website.
"Vom Krematorium zum ÄSCHARIUM® – eine Metamorphose der Feuerbestattung" – ist dort zu lesen – allerdings in einer anderen Formulierung, denn die Firmenbezeichnung sowie auch alle Texte der Homepage sind ausdrücklich urheberrechtlich geschützt – deshalb verbuche ich meine Bezeichnung auch als meine Erfindung und verweise ebenfalls auf´s Urheberrecht und darum sind die hier in Gänsefüßchen eingerahmten kursiven Passagen auch keine Zitate, sondern lediglich ein als „wörtliche Rede“ gekennzeichneter Text – „Das ÄSCHARIUM® ist das Signet einer Firmengruppe im Feuerbestattungswesen. Obwohl Feuerbestattungen immer noch zu einem Tabu-Thema gehören, gewinnen sie zunehmend an Bedeutung. Das Anliegen der ÄSCHARIUM®-Gruppe ist, behutsam und transparent über ihre Arbeit zu informieren und dadurch die Scheu gegenüber diesem Thema abzubauen.“ Das finde ich gut, man will ja schließlich Bescheid wissen.
„Die ÄSCHARIUM®-Gruppe verfügt derzeit über drei Betriebstätten...“ Feuerstätten, aha, wie kultig... „mit insgesamt sechs Einäscherungslinien...“ Linien?! Ich bin verwirrt über diese Formulierung. Das hört sich so technisch an, nach Fließband oder Fahrplan oder walk the line...
„Durch die Vergabe von Chipkarten an Beerdigungsunternehmen können diese jederzeit (auch außerhalb der Geschäftszeit) Einbettungen in unserer Kühleinrichtung vornehmen.“ Ah! Vorratshaltung durch Einkellerung... Das ist wirklich umsichtig und erinnert mich an einen  Messebesuch...
„Von uns werden sowohl Einzelleistungen als auch der komplette Service, inklusive Überführung, Trauerfeier, Einäscherung und Urnenbeisetzung, offeriert. Das Angebot ist dabei so abwechslungsreich wie die Nachfrage, denn unsere Dienstleistungen orientieren sich an Kundenwünschen...“ Wow. Mich würde wirklich interessieren, bis zu welcher kommerziellen Spaßgrenze die ein individuell gestaltetes Ritual mitmachen würden. Die Fotos der Website zeigen jedenfalls eine Belegschaft, die offenbar, je nach Situation, Montur und Mimik zu wechseln weiß. Denn während auf einigen Bildern eine Reihe schwarz gekleideter, blau beschlipster Männer professionell bedrückt in die Kamera schaut, lachen mich auf anderen fröhliche Menschen in grünen T-Shirts an – Betriebsfeier? Brigadekegeln?
„Unsere fachliche Kompetenz lässt uns auch die differenziertesten Wünsche unserer Kunden erfüllen - flexibel, ökonomisch, vertrauenswürdig und zeitnah.“ Boah, „zeitnah“! Trotz Kühlschrank! Fehlen nur noch die Slogans „vorsorglich“,  „grundsätzlich“ und „nachhaltig“ –aber deren Einsatz erklärt sich von selbst.
Mehr erfährt man leider auf der Website nicht, dazu müsste man dann wohl doch zu einem persönlichen Termin ins ÄSCHARIUM® fahren. Mich spricht der Internetauftritt der Firma dennoch sehr an und ich bedaure es, meine Beisetzung in solch einem geschmackvollen Ambiente nicht erleben zu können.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (16.01.20)
Nicht schlecht, gerne gelesen, auch wenn man den Mittelteil noch etwas verdichten müsste. Am Erzähler, dem Verwaltungsangestellten, ist ein Journalist verloren gegangen ...
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