Modernes Bestatten

Short Story zum Thema Fortschritt

von  Bellis

Vor einiger Zeit besuchte ich mit zwei Kolleginnen eine Messe für behördentechnische Computersysteme, also Programme, mit denen Amtshandlungen komfortabler und nicht zuletzt bürgerfreundlicher, weil schneller, billiger und übersichtlicher, gemacht werden können. Neben allerlei kartographischen Programmen zur Verwaltung von Bauplänen und Grundbüchern fand sich dort auch der Stand einer Firma, die ein Programm entwickelt hatte, mit dessen Hilfe Friedhofsverwaltungen oder Grünflächenämter die Belegung von Begräbnisstätten koordinieren können.
Ein sehr aufgeregter junger Mann im traditionell schwarzen Anzug führte uns das System vor: Das webbasierende Kataster enthält alle Daten der Friedhöfe einer Kommune, wie Auslastung, Grabadressen und Beerdigungstermine. Eingepflegt werden diese Daten von den kommunalen bzw. regionalen Bestattungsinstituten: Wenn also Herr M. gestorben ist (und dieses Beispiel spielte der junge Administrator mit uns im professionell salbungsvollen Tonfall durch) und Frau M. von Schmerz überwältigt und überfordert den Bestatter ihres Vertrauens aufsucht, erhält das Institut durch Nutzung des Friedhofskatasters die Chance, einen umfangreichen Service anzubieten: Der Bestatter erhält via Standleitung und Passwort eine Übersicht der verfügbaren Begräbnisplätze und freien Termine zur Nutzung der Friedhofskapelle. Frau M. hat aber nicht nur die Wahl zwischen mehreren verfügbaren Grabstätten auf verschiedenen Friedhöfen – nein, sie kann auch sofort einen verbindlichen Termin für die Trauerfeier festsetzen und damit die Familie informieren. Weiterhin kann sie die Art des Begräbnisses wählen (Erdbestattung oder Urnenbeisetzung) sowie ein Musikstück für die Feier, den Trauerredner, den Blumenschmuck sowie eine passende Urne oder einen Sarg (geordnet nach Holz- und Preisklasse) für Herrn M. aussuchen. Mit Hilfe komfortabler Drop-Down-Menüs entfällt beim Eintragen in das Kataster langes Tippen, welches den tröstenden Blickkontakt zwischen Frau M. und dem Bestatter stören könnte. Mit wenigen Klicks lässt sich schnell und verbindlich für Frau M. (nein, für Herrn M.!) ein fester Platz auf dem Friedhof buchen. Ist das nicht fortschrittlich? Ob man Frühbucherrabatte bekommt, wenn man sich rechtzeitig ein Plätzchen im Grünen sichert, habe ich nicht zu fragen gewagt.

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Kommentare zu diesem Text

Elias† (63)
(20.02.07)
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 Bellis meinte dazu am 21.02.07:
Uuuaaah! Meinen Todestag möchte ich nicht wissen! :o/
Aber eine nette Grabstätte kannste Dir ja auch ohne festen Termin erstmal reservieren. Meine Oma hat das gemacht - gleich neben ihrem Mann wurde ein Plätzchen freigehalten, das sie immer hübsch bepflanzt und sauber geharkt hat. "Ihre" Seite des Grabsteins blieb auch extra frei... DAS ist wirklich gruselig, findest Du nicht?
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