Ein schwieriger Patient: "Sie haben die unglaubwürdige Kühnheit, sich mit dem Arzt zu verwechseln!"

Dialog zum Thema Qual(en)

von  theatralisch

Der Erfolg kommt mir immer wieder mit sämtlichen Gegenfragen:

„Sind Sie gewillt, den Erfolg mit einer anderen, eventuell  liebenden, Person zu teilen?“

„Nein.“

„Sind Sie fähig, auch ohne Erfolg den Tag einigermaßen zufrieden abklingen zu lassen?“

„Nein.“

„Was mögen Sie lieber: Den Mond oder die Sonne?“

„Den Mond.“

„Warum mögen Sie den Mond lieber als die Sonne?“

„Ich bin nicht mystisch, sondern eben der Nacht und dem Nicht-gesehen-werden verbunden.“

„Mögen Sie es, wenn man Sie auf ihren Gemütszustand anspricht?“

„Hätte ich Interesse daran, am Leben anderer teilzuhaben, dann ja, doch ich bin voller Wut und Trauer. Eine Frage bezüglich meines Gemütszustandes würde ohnehin in zurückgezogener Verlegenheit und unglücklichen Fragen aufgrund des Sich-nie-äußern-wollens wegen meines Befindens enden.“

„Haben Sie schon einmal den Wunsch, nicht mehr leben zu wollen, geäußert?“

„Mein Leben IST der Wunsch und das darauf Hinarbeiten auf den baldigen Tod.“

„Sie haben niemanden, dem Sie sich anvertrauen können?“

„Ich habe jemanden, mit dem ich spreche, doch ich vertraue nicht, ich zerschlage mir lieber den Kopf und sterbe früh genug, um nicht vertrauen zu müssen.“

„Warum wollen Sie nicht vertrauen?“

„Ich verspüre schon jetzt den Schmerz, wenn es in die Brüche geht, wenn mir der Schmerz des Verlassenwerdens in die Knochen kriecht und ich mich jeden Abend in den Schlaf weinen muss.“

„Weinen Sie sich denn jetzt nicht ohnehin schon in den Schlaf?“

„Ja, ich weine mich in den Schlaf, aber der Schmerz ist nur begrenzt vorhanden, und, Sie wissen ja, was man nicht hat, das kann man auch nicht verlieren.“

„Wie meinen Sie das genau?“

„Ich habe Angst, riesengroße geballte Angst, zu lieben und andere wirklich an meinem Leben teilhaben zu lassen. Sie könnten mich brechen und meine gegen mich selbst gerichtete Wut bestätigen.“

„Ich stelle keine Fragen mehr, doch ich kann Ihnen sagen, dass Sie nicht leben. Nein, sie machen nichts von alledem, das andere als ihren Lebensinhalt bezeichnen würden. Sie sitzen ausschließlich, um auf das Schlimmste zu warten, doch wie sollte das Schlimmste überhaupt eintreten können, wenn Sie nichts, das Sie eventuell abstürzen lassen könnte, in Ihr Leben lassen. Sie warten ja förmlich auf den Tod, wie Sie gesagt haben, doch das ist nichts, was man, noch dazu in Ihrem Alter, erstreben sollte. Sie müssen sich Perspektiven und Gelassenheit schaffen, nur so können Sie unnötige, schmerzende Tiefppunkte vermeiden, wobei Sie, ich vermute, vieles auf sich beziehen, das eigentlich nur das alltägliche Leben darstellt.“

„Das alltägliche Leben schmerzt wie ein Benzinüberguss und ein im Anschluss dazu beigefügtes brennendes Streichholz. Wüsste ich, warum mich das Leben so fertig macht, dann würde ich...“

„Ihnen wird dazu nichts einfallen. Sie kennen kein anderes Leben und auch keine Alternative zum derzeitigen Denken und, wie Sie es vermutlich ausdrücken würden, Vegetieren. Sie haben keine Möglichkeit, sich aus der bestehenden Niedergeschlagenheit zu lösen, wenn sie nicht gewillt sind, Fortschritte, die auch einen Rückfall bedeuten könnten, in Kauf zu nehmen.
Noch entfliehen Sie der fortgeschrittenen Einsamkeit, der einzige Fortschritt in Ihrem Leben, doch was gedenken Sie zu tun, wenn Sie dieses Zimmer, das Ihr Lebenlang Ihr Zuhause war, verlassen müssen. Laufen Sie dann sogleich Amok, ohne Sie zu irgendetwas anstiften zu wollen, aber ich frage mich, warum Sie das so unendlich lange aushalten wollen. Sehen Sie nicht, was diese Eigensinnigkeit, keine Ratschläge annehmen zu wollen, ausschließlich zu denken, diese Gedanken aber nur für sich zu behalten, anrichtet? Sie leben im Mörtel und wenn Sie Glück haben, dann entkommen Sie der zähflüssigen Masse noch, bevor sie einen endgültigen Absturz erleiden. Endgültig bedeutet, dass Sie irgendwann einfach nicht mehr dazu in der Lage sein werden, irgendeine Tätigkeit zu vollbringen. Dann werden Sie Ihr Zimmer wirklich nicht mehr verlassen können, denn eine unbehandelte Depression bleibt auch eine unbehandelte Depression. Mitnichten bin ich für den Absolutismus, jedoch bleibt Ihnen irgendwann nun einmal nichts mehr erspart.“

„Um ehrlich zu sein, will ich nicht arbeiten. Wenn ich versuche, anderen Einblick in mein Leben zu gewähren oder mich zu irgendeiner Sache, die mich normalerweise nicht interessieren würde, zu äußern, dann bleibe ich ordentlich auf der Strecke. Mein Kopf macht das einfach nicht mit, unabhängig davon, in welcher Gefühlslage ich mich befinde.“

„Und das ist der Knackpunkt, das große Aber: Sie befinden sich eben nur noch in der einen Gefühlslage und das nennt man Depression. Es gibt derzeit in ihrer Verfassung wahrlich keinen Grund an sich zu zweifeln, wenn Sie, wie Sie behaupten, immer wieder versuchen, etwas aus Ihrem Leben zu machen, doch ich verspreche Ihnen, sofern Sie es dabei belassen, Ihre vernichtende Niederlage.“

„Also sowas wie Match.“

„Ja, sowas wie Match.“


Anmerkung von theatralisch:

Wenn ich die Hand zum Gruß erhebe, ist es das gleichzeitige Aufgreifen des Gedankens, diese Hand im Kampf einzusetzen, diese Hand gegen dich zu erheben. Dann bin ich kurz davor, Gedanken handeln zu lassen. [...]

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

markkkk (28)
(09.08.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 theatralisch meinte dazu am 09.08.07:
Vieles bedarf einer Fortsetzung, auch jedes Ende, das einmal eine Fortsetzung war. Heißt endgültig absolut? Meint es, dass man nun nicht mehr weitererzählen darf, nur weil "sie" (die Geschichte) zu Ende ist?

Also, nichts ist end-gültig. Ende und Fortsetzung stehen sozusagen in ständiger Relation zueinander.

Ja, das war dann allerdings meine Intention, den Menschen zwar sprechen zu lassen, aber eben ohne das Empfinden auf den Leser zu übertragen. Der Mann im Speziellen fühlt vielleicht, das weiß man ja als nicht-Integrierter nicht.
markkkk (28) antwortete darauf am 09.08.07:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
markkkk (28) schrieb daraufhin am 09.08.07:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 theatralisch äußerte darauf am 09.08.07:
Nur weil das *grins* fehlt, muss es nicht zwangsläufig heißen, dass ich es ernst genommen habe.
Ich stehe im Allgemeinen nicht wirklich auf smileys.
Du musst nichts berücksichtigen, schreibe einfach das, was du willst.
(Antwort korrigiert am 09.08.2007)
markkkk (28) ergänzte dazu am 09.08.07:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 theatralisch meinte dazu am 09.08.07:
Mag sein, dass du richtig liegst. Es scheint fast schon ignorant dem Gesprächspartner gegenüber, ihn nicht augenscheinlich an seiner Stimmung teilhaben zu lassen. Ungewissheit mag in diesen Fällen schon recht gemein sein. Blabla.:)
PerpetuumMobile (22)
(06.09.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 theatralisch meinte dazu am 06.09.07:
Oh, to hell!
Das ist wohl eine der komplexesten Materien, die das erbarmungsvolle Leben zu bieten hat.
Aus diesem, keinesfalls als autobiographische Notiz seiner(=Autor) spitzen Feder entstammend, Dialog lassen sich einige Diskrepanzen herausfiltern, die sich wohl mehr oder minder auf den Leser übertragen haben. Dies geschah augenscheinlich in einer eigentümlichen Manier, die man hierzulande als Fehlschluss interpretiert. Deine Barmherzigkeit für eine Person, die aber dennoch, trotz fehlgeschlagener sozialer Interaktion, ihren rechten Platz im Leben gefunden sowie eingenommen hat, scheint mir hier vollkommen inadäquat.
Vielleicht ist dir "nicht therapierbar" als Diagnose ein Begriff und gegebenenfalls ließe ein "nicht therapierbar" in diesem Fall darauf schließen, dass es, ohne den Menschen in irgendeiner Art und Weise zu nahe zu treten, nicht bedingungslos verachtenswert sein muss, sich selbst zu verachten. Nein, Spaß beiseite. Die Disharmonie entsteht lediglich dann, wenn der Mensch damit anfängt, bestimmte Dinge, die eigene Person betreffend, zu nahe an sich heranzulassen. Sofern er von Anfang an gelernt hat, sein primäres Denken ausschließlich auf sich zu beschränken und seine fest umrissenen Vorsätze nicht dadurch zerplatzen lässt, indem er durch unablässiges Menschentun wieder auf die falsche Fährte gerät. Nicht zu vergessen sollte er sich im äquilibrieren üben.
Man muss gezielt vor Augen haben, sozusagen als Doktrin, warum man sich auf dieser Erde befindet und ob man das in reinster Ausprägung will, dann weiß man letztlich auch, was man zu tun hat, um sich das (Mensch-)Sein nicht unersprießlich zu erschweren. Alle Verfahrenheiten müssen als beseitigt gelten und jedes rabiate Fehlurteil muss bereinigt werden. Der Mensch muss demzufolge frei sein und seine Anarchie beibehalten, solange er, ohne die Würde eines anderen zu verletzen, auf dieser Erde verweilen will.
Ansonsten hat er Selbstmord zu begehen. Und das wäre doch glatter Suizid. *zwinker*
Ferner stellt in manchen Fällen die Präsenz einer positiven oder negativen Fähigkeit keine Bedeutsamkeit mehr dar. Ich weiß ehrlich gesagt schon, wie du gerade jetzt darauf kommst, aber nicht, warum das hier eine imposante Rolle spielen soll. Das tut es jedenfalls nicht und ich finde, wenn wir schon davon sprechen, die omnipräsente Stärke eines Menschen sollte darin liegen, sich über alles Desolate zu stellen und somit eine Ausgewogenheit oder eine Art Symmetrie der Interaktion zwischen Mensch und Übermensch herzustellen. Der ,hyperanthropos' sollte den Sieg erringen, sofern das irdische Wesen die Differnenzierung verstanden hat.
Nun, eigentlich wollte ich demungeachtet zum Ausdruck bringen, dass dieser Text vom Leser vermutlich auf die Stärken und Schwächen eines Individuums reduziert werden könnte, das Dogma aber wesentlich weitreichender und wissensdurstiger ausgelegt wurde. Dies geschah im Zweifel des Autors und demzufolge mit dem Ziel des Zweifels für den Leser.

Eine geruhsame Nacht wünsche ich dir.

Isabella
(Antwort korrigiert am 06.09.2007)
(Antwort korrigiert am 06.09.2007)
PerpetuumMobile (22) meinte dazu am 07.09.07:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 theatralisch meinte dazu am 07.09.07:
Du hast dich hiermit im positiven Sinne unermesslich distanziert.
Gut, die Gegenbemerkung muss dessenungeachtet auf meine Rückkehr warten.

Ein Widerruf: Bisweilen betrachte ich die Ideologie als Gratwanderung inmitten einer kolossalen Deponie, die Weitsichtigkeit und Ignoranz nicht mehr separiert. Ein jeder darf und schlussendlich soll niemand mehr.

"Zunächst ist es tatsächlich nicht unbedingt negativ sich in bestimmten Bereichen selbst Verachtung entgegen zu bringen..."

Das kann ich mit Bedauern nicht sanktionieren, da bereits die Wortbedeutung von "Verachtung" genügt, um die These der defizitären Veranlagung zu untermauern.

Des Weiteren klingt es so, als hätte man hier die Begriffserklärung des Wortes "äquilibrieren" wiedergegeben, aber nichtsdestotrotz hast du Recht behalten.

Nun, die Frage ist, inwiefern sich der Mensch selbst beeinflussen kann und ich teile die Ansicht, dass das Unterfangen mitnichten fehlschlägt.
Präzise: Die Maschine und das Selbst agieren in einem Heer. Die Maschine regiert jedoch nicht über das Selbst, denn widrigenfalls hätte das irdische Produkt (Gottes Werk) nicht mehr länger die Selbstreflexion sowie die Steuerung über sein eigenes Tun und Denken.

Reden wir über die Prädestination, denn auch hier finden wir daraus resultierend Neuerung am Menschen vor.
Schweifen wir weiter zur Löschungsresistenz, die den Menschen manches Mal außer Gefecht setzen kann.
Es gibt vieles und alles lebt und schwingt in und um uns mit, als wären wir eine nichtige Stimmgabel.

Vielleicht ist die Gemessenheit des menschlichen Wesens signifikanter als du denkst.

Letztendlich kann ich nur repräsentieren und nicht Gegenrede erstatten.

Cheerio,
Isabella

P.S.: Verfechter des eigenen Selbst scheren sich im Grunde genommen recht selten um die Hypothesen anderer. Ich partizipiere am Blutvergießen meiner selbst.
(Antwort korrigiert am 07.09.2007)

 Ingmar (07.09.07)
„Ich habe Angst, riesengroße geballte Angst, zu lieben und andere wirklich an meinem Leben teilhaben zu lassen. Sie könnten mich brechen und meine gegen mich selbst gerichtete Wut bestätigen.“

ja. traurig ist das. aber wahr. sie könnten. und tun es zuweilen. aber jeder andere weg führt nirgendwohin. na ja, ausser vielleicht zum einen oder anderen guten text.

lg,
ingmar

 theatralisch meinte dazu am 07.09.07:
Hm. Würde das nicht konstatieren, doch will ich auch nichts entgegnen.
Letztlich wäre mir das Repertoire hierfür einfach zu schematisch.(siehe Kommentar zuvor)

Demungeachtet, Kenntnisnahme für den Seelenfrieden geleistet.

Beste Grüße,
Isabella
Locklin (48)
(15.09.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 theatralisch meinte dazu am 16.09.07:
Und hier grüßt Isabella.

Hierbei handelt es sich im Grunde um gar nichts, zumindest um nichts Spezifisches.
But definitely maybe.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram