Maskaron - Auszug Kapitel 13

Roman zum Thema Gesellschaftskritik

von  autoralexanderschwarz

Kapitel 13

„Es tut mir leid, wenn ich Sie gewissermaßen überfalle, aber wie Sie wissen, habe ich niemand anderen, mit dem ich sprechen kann."

Der Therapeut betrachtete ihn mit mehreren prüfenden Blicken und man sah ihm an, dass er mit sich selbst kämpfte.

„Worum geht es denn? Ich habe gerade sehr viel zu tun."

„Kann ich nicht reinkommen? Ich werde auch versuchen mich möglichst kurzzufassen und ich werde dieses Mal auch alle Ihre Fragen beantworten. Bitte, ich brauche Ihren Rat."

Der Therapeut überlegte noch einen kurzen Moment, traf einen Entschluss und trat beiseite. um den späten Besucher einzulassen.

„Dann kommen Sie herein."

Er folgte dem alten Mann, dessen Haare in den Jahren der Therapie erst grau, später weiß geworden waren und der für ihn fast so etwas wie ein Vater war. Alles kam nun darauf an, wie er reagierte und er betete innerlich, dass er ihn nicht töten musste, nachdem er alles erzählt hatte. Zu seiner Überraschung bogen sie nicht in die kleine Praxis mit dem gemütlichen Sofa ab, sondern gingen geradeaus durch, in die Privatwohnung des Therapeuten.

„Möchten Sie einen Tee oder Kaffee?", rief ihm dieser über die Schulter hinweg zu und er nickte zuerst, dann, als er begriff, dass er sich entscheiden musste, sagte er „Tee".

So viele Gedanken waren in seinem Kopf und er würde sie ordnen müssen, um mit ihnen zu leben.

Dann saßen sie auch schon an einem kleinen braunen Couchtisch  und er blickte verträumt in die Dampfschwaden, die aus seiner Tasse aufstiegen. Es war ein gemütlicher kleiner Raum, angefüllt mit vielen Pflanzen und Bildern, so dass es zwar wohnlich, aber nicht überladen wirkte.

„Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?"

Sein Blick fand die Augen des Therapeuten, der es sich ihm gegenüber in einem dieser alten Ohrensessel gemütlich gemacht hatte.

„Nur zu, keine falsche Scham, fragen Sie nur!"

„Auf ihrem Schreibtisch haben Sie doch ein gerahmtes Bild, mit einer Frau und zwei kleinen Kindern und jetzt sitze ich hier in Ihrer Wohnung und nichts erinnert hier an eine Familie. Wie kommt das?"

Der Therapeut überlegte eine Weile, dann lachte er still in sich hinein, bevor er antwortete:

„Ich habe keine Familie. Nicht in diesem Sinne. Ich hatte einmal eine Frau, aber nie Kinder. Das Foto auf meinem Schreibtisch war in dem Rahmen, als ich ihn gekauft habe, es gefiel mir. Außerdem wirkt es vorteilhaft auf meine Patienten, wenn sie denken, dass ich ein Privatleben habe, welches das ihre übersteigt."

Sie betrachteten das Foto eine Weile schweigend.

„Aber nun zu Ihnen. Sie sagten eben an der Tür, Sie müssten mit mir sprechen und ich glaube doch nicht, dass der Grund ihres späten Besuches etwas mit meinem Privatleben zu tun hat. Also, wie kann ich Ihnen helfen?"

Er rutschte ein wenig unruhig auf seinem Sessel hin und her. Nun war der Moment gekommen, der Klarheit bringen würde, nun würde sich entscheiden, wie ihr Verhältnis weitergehen würde und ob es überhaupt Bestand haben konnte.

„Herr Doktor . . ."

„Ich bin kein Doktor, ich bin Ihr Therapeut."

„Entschuldigen Sie, Herr Therapeut. Kann ich Ihnen vertrauen, ich meine, kann ich Ihnen ein Geheimnis anvertrauen und mich darauf verlassen, dass Sie es nicht weitergeben. Ich meine, unterliegen Sie der Schweigepflicht?"

Der Therapeut nickte.

„Selbstverständlich. Ich bin Ihr Therapeut und nichts von dem, was Sie mir sagen, verlässt diesen Raum."

„Und wenn das, was ich Ihnen sage, zur Klärung eines Verbrechens beitragen würde, wenn Sie es weitergäben?"

„Um was für ein Verbrechen handelt es sich denn", fragte der Therapeut in einem väterlichen Tonfall, ohne aber die vorausgegangene Frage zu beantworten.

Ein Lächeln war auf sein Gesicht getreten, verschwand aber dort sofort wieder, als es nicht auf sein Gegenüber übersprang

„Es geht um Mord."

Es wurde sehr still in dem kleinen Wohnzimmer, so als hingen die letzten Worte zwischen ihnen und blockierten jegliche weitere Unterhaltung. Ihm war es, als wäre es kälter geworden.

Der Blick des Therapeuten war auf einmal anders, lauernd, aber auch Spuren von Angst schienen in den blauen Pupillen zu schwimmen.

„Wie blau diese Augen doch sind", dachte er und fragte sich, wie sie wohl im Moment des Todes blicken würden.

„Nein", sagte der Therapeut, er schrie es fast und riss ihn so aus seinen Gedanken.

„Ich kann keinen Mord decken. Wenn Sie ihr Gewissen erleichtern wollen und wenn es tatsächlich Sie sind, der diesen Mord begangen hat, dann lassen Sie es. Ich bin für so etwas nicht ausgebildet. Sie bringen mich in den ältesten Konflikt meines Berufes. Egal was ich mache, wäre falsch und ich kann eine solche Schuld nicht bei mir tragen."

Er schwieg eine Weile und setzte dann hinzu:

„Außerdem müssen Sie jetzt gehen, es ist spät. Kommen Sie am nächsten Mittwoch zu unserer normalen Sitzung."

Er antwortete nicht direkt, dachte nach, fischte den Teebeutel aus seiner Tasse, presste ihn auf einem bereitliegenden Teelöffel aus und legte ihn auf die Untertasse.

Er wusste, dass die Entscheidung schwerwiegend und dass er einen Schritt zu weit gegangen war um jetzt noch umzukehren, so schmerzhaft es auch war, denn dort saß der einzige Mann, zu dem er jemals Vertrauen gefasst hatte, doch er hatte ihn bereits verloren, das wusste er auch.

„Das kann ich nicht akzeptieren", sagte er leise und legte fast beiläufig die Dienstwaffe des Polizisten auf den Couchtisch, die er bisher in seiner Jacke verborgen getragen hatte.

Und dann lauter:

„Das kann ich nicht akzeptieren."

Er senkte schuldbewusst die Stimme:

„Ich möchte nicht, dass Sie sich vor mir fürchten, aber ich habe niemanden sonst, zu dem ich gehen kann und ich muss darauf bestehen mit Ihnen zu sprechen."

Der Therapeut, der sich bereits halb erhoben hatte, um ihn zur Tür zu geleiten, ließ sich mit einem Seufzer zurück auf seinen Sessel sinken.

„Ich werde Ihnen jetzt von meinen Problemen erzählen, ich werde Ihnen die ganze Wahrheit sagen und dann",

er schwieg kurz.

„Ich werde Ihnen alles erzählen.

                                                                        *

„Wissen Sie noch, wie Sie zu mir sagten, ich müsse über mich hinauswachsen, ich müsse Kräfte mobilisieren, von denen ich nicht einmal wüsste, dass sie existieren? Sie hatten recht, sie hatten viel mehr recht, als Sie es damals ahnten und ich war zu beschränkt in meinem Denken um zu begreifen, wie recht Sie hatten, denn obwohl diese Aussage wahrscheinlich auf jeden Patienten zutrifft, der seine kleinen Probleme vor Ihnen ausbreitet, traf sie bei mir genauer, vollkommener zu, denn ich bin über mich hinausgewachsen, habe mich derart verändert, dass ich voller Scham auf die kleine Kreatur blicke, die ich einmal gewesen bin. Aber es war nicht nur ihr Rat, der mir die Augen geöffnet hat, es war auch der steinerne Engel, der Engel oben in der Kirchenfassade, von dem ich Ihnen nie erzählt habe. Sagen Sie, haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?"

Er blickte den Therapeuten ernst an, der inzwischen bleich geworden war und unbewusst mit dem Bügel seiner Brille spielte.

Dieser brauchte erst einige Momente, bis er aus der passiven Rolle des Zuhörers fand, den Schock überwand und antwortete:

„Nein, und ich bin froh, dass ich niemals in eine solche Situation gekommen bin, in der ich die Schuld am Tod eines anderen auf mich nehmen muss, ich..."

„Dann wissen Sie gar nichts", fuhr er ihm ins Wort,

„dann können Sie es nicht begreifen. So viele Jahre habe ich die Menschen bewundert, konnte nicht verstehen, wie ihr Zusammenleben funktioniert, ihre Hingabe für den Beruf, ihre Freizeitgestaltung, das Meistern des Lebens mit nichts als einem Lächeln auf den Lippen. Wie lange wollte ich so sein wie sie, dabei wusste ich nichts von ihnen, habe nur das gesehen, was jeder sieht und es nicht verstanden.

Betrachten Sie doch einfach mal sich selbst. Da sitzen Sie in Ihrem Wohnzimmer und trinken Tee mit einem Mörder."

Er nahm einen Schluck aus der dampfenden Tasse.

„Sehen Sie, ich habe Sie indirekt bedroht, als ich die Waffe auf Ihren Tisch legte und wenn Sie die Geschichte weiterdenken, dann darf ich Sie nicht am Leben lassen, da Sie mich umgehend, noch bevor ich die Treppe hinuntergestiegen bin, bei der Polizei denunzieren würden. Habe ich nicht recht? Innerlich haben Sie Angst, Sie begreifen es nicht, erschaudern vor diesem schrecklichen Wandel, den Ihr Leben einfach so in den letzten zehn Minuten genommen hat, doch trotzdem sitzen Sie ruhig da, betrachten mich, hören mir zu und würden Ihre Hände nicht zittern, könnte man denken, dass Sie geradezu gelassen sind. Verstehen Sie, was ich meine? Sie tragen eine Maske und genau das ist es, worum es mir geht. Sie kerkern ihr Innerstes tief in sich ein, ersticken Ihre Emotionen. Wäre es nicht natürlicher aufzuspringen, mich zu beschimpfen, das Schicksal zu verfluchen, zu weinen, zu flehen. Ich will nur, dass Sie mich verstehen, verstehen Sie, was ich mit Maske meine?"

Deutlicher und deutlicher war die Angst in das Gesicht des Therapeuten getreten und es konnte nur die jahrelange Praxis und Routine des Zuhörens sein, die es ihm gestattete, wenn auch ruckartig, mit dem Kopf zu nicken.

„Ich denke, man könnte sagen, wenn man es vereinfacht ausdrückt, schließlich bin ich nicht so gebildet wie Sie, dass mir diese Maske fehlt. Wäre ich in Ihrer Situation, ich weiß nicht wie ich mich verhalten würde, so ruhig wie Sie wäre ich nicht. Ich glaube, mein Fehler in all den Jahren war es, dass ich so sein wollte wie die anderen, ohne überhaupt zu begreifen, worauf der Unterschied beruht und es hat lange gedauert, bis ich erkannte, dass es eine Schwäche ist, nach der ich strebte. Ich kann ja ehrlich zu Ihnen sein. Ich habe einen Menschen getötet, ich weiß nicht warum, ich bin einfach einem Impuls gefolgt, den ich bis heute nicht verstehe, aber mein Mord war wie ein Tor zur Erkenntnis. Vielleicht hat seine Maskerade auch dazu beigetragen, dass ich es überhaupt verstanden habe, ich..., das wissen Sie ja noch gar nicht, ich habe einen Clown getötet und im Moment des Todes habe ich in seine Augen geblickt, nein, ich habe tiefer geblickt, ich habe in seine Seele geschaut, die sich in den Augen spiegelt, wenn man im Moment des Todes nur genau genug hinsieht.

Verstehen Sie die Tragweite? Ich habe gesehen, dass er so ist wie ich, dass er es nur versteckt. Ich habe mich in diesem Moment wie Gott gefühlt, das klingt wahnsinnig, ich weiß, aber es gibt keine bessere Beschreibung für diesen Moment der Erkenntnis, ich habe gesehen, dass man im Tod keine Maske trägt, dass alles abfällt, was nicht rein und ehrlich ist."

Er schwieg eine Weile, um das Gesagte wirken zu lassen. 

„Haben Sie wirklich verstanden, was ich Ihnen hier erzähle?"

Und wieder nickte der bebrillte Mann, der so wirkte, als würde er in seinem Ohrensessel versinken.

„Ich habe diesen Zustand erforscht, könnte man sagen, oder, anders ausgedrückt, ich habe weiter getötet und mein Leben ist besser geworden, ich habe Ihnen die Fortschritte ja mitgeteilt. Ich glaube, ich kann die Menschen jetzt besser verstehen, auch wenn ich sie wegen ihrer Lügen verachte. Dies ist also nun alles Historie, es ist geschehen und Sie fragen sich bestimmt, warum ich Ihnen dies alles erzähle, wo ich das Wesen meines Handelns ja bereits selbst begriffen habe, doch es gibt ein Problem, auf das ich nun zu sprechen komme, wegen dem ich hier bin. Ich habe Ihnen doch von der jungen Frau erzählt, mit der ich mich getroffen habe. Sie ist ein so wundervoller Mensch, ehrlich, um es abzukürzen, so sehr ich mich auch gegen diesen Gedanken wehre, ich glaube, ich liebe sie, obwohl ich wenig von ihr weiß. Und nun mein Dilemma. Ich habe ihre Schwester getötet, natürlich ohne zu wissen, dass es ihre Schwester ist, aber es ändert nichts an der Tatsache meiner Tat. Nun leidet sie darunter, ihr Gesicht ist voll Schmerz, ja ihr Schmerz erscheint mir so stark, dass das, was ich liebe, dahinter verschwindet und auf einmal waren da diese Zweifel. Sagen Sie, Herr Doktor, ich meine Herr Therapeut, bin ich wahnsinnig? Ist es möglich, dass ich in den Augen der Sterbenden genau das sah, was ich dort suchte, allein weil ich es suchte? Kann es sein, dass ich mich selbst betrogen habe, einzig und allein, um meine Andersartigkeit zu legitimieren?"


Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Maskaron ist im Rindlisbacher-Verlag erschienen

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