Gefangen - Auszug - Das Gabelfrühstück

Text zum Thema Flucht/ Vertreibung

von  autoralexanderschwarz

Das Gabelfrühstück

Als P. hinunter in das Dorf rannte, um für sich und den Vater das tägliche Gabelfrühstück am Gasthof abzuholen, fielen ihm schon aus einigen Metern Entfernung die zwei großen, schwarzen Limousinen auf, die direkt am Marktplatz geparkt standen. Nun war P. von Natur aus immer ein sehr neugieriger Mensch gewesen und obwohl der strenge Vater nichts unversucht gelassen hatte, um diese schändliche Neugier auf die Welt zu unterbinden, - denn was außer Schwierigkeiten konnte es einem schon einbringen - hatte doch ein Rest dieser Erregung in ihm versteckt überlebt und er fragte sich, wer wohl diese Würdenträger waren, die den weiten Weg aus der Stadt auf sich genommen hatten. Aufregend glänzten die  großen Automobile in der Sonne und vorne, neben der Antenne waren kleine Fähnchen mit einem fremden Wappen angebracht, die im Wind flatterten. Gerne hätte er noch ein wenig bei den Fahrzeugen verweilt, so etwas Aufregendes sah man schließlich nicht alle Tage bei ihnen im Dorf, doch er entsann sich der Strenge in den Worten des Vaters, als er ihn zum Gasthof geschickt hatte, eine Strenge, die immer häufiger zu Tage trat, seit die liebe Mutter während der Schwangerschaft eingeschlafen, aber nicht mehr aufgewacht war. So schenkte er den funkelnden Karossen nur noch einen letzten wehmütigen Blick und trat dann durch die altertümlichen Schwingtüren in den Gasthof hinein.

Die Stube war an jenem Mittag gut gefüllt, kein Tisch war mehr frei und sogar in den Zwischenräumen standen viele Dorfbewohner, so dass sich Klara, das junge Bauersmädchen, dass seit einigen Wochen die Bedienung übernommen hatte, mit den Speisen und Getränken ständig zwischen den vielen Menschen hindurchzwängen musste, so dass man Angst bekam, dass ihr das große Tablett entglitt. Schnell bemerkte P. auch den Grund der Überfüllung, denn recht weit hinten, in einer Nische –es waren die besten Plätze- , saßen einige fremde Herren zu Tisch und waren in eine lautstarke Diskussion vertieft, der alle anderen lauschten, so dass es nur ihre Stimmen waren, die durch den Raum klangen, ab und zu untermalt, durch das unterdrückte Räuspern eines Bauern, oder ein Stiefelscharren.

„Tiere sind sie doch nur", sagte gerade einer der Herren, dessen Wichtigkeit noch einmal durch einen großen schwarzen Zylinder unterstrichen wurde, den er selbst zum Essen nicht abgenommen hatte. Ein gewaltiger Schnauzer entsprang über seinen sprechenden Lippen, so wie P. ihn bisher nur bei dem Zirkusdirektor gesehen hatte, der einmal im Jahr mit seiner bunten Truppe ihr Dorf besuchte. Doch es war nicht der gleiche Bart. Zwar erinnerten sie in der Form aneinander, doch der Bart des Zirkusdirektors hatte immer etwas Lustiges, Schmunzelndes gehabt, während ihm dieser Bart eher hochnäsig, vielleicht sogar grausam vorkam. Vorsichtig zwängte sich P. zwischen den Dorfbewohner hindurch, wobei er sich Mühe gab möglichst leise aufzutreten, um das Gespräch, das bestimmt von besonderer Wichtigkeit war, nicht zu stören. Mühsam war es, dieses Schieben und Drängen und es war ihm sehr unangenehm sich durch die Menge nach vorne zu kämpfen, doch er musste ja das Gabelfrühstück holen und der Vater, das wusste er, würde über jede Verzögerung aufs Äußerste erzürnt reagieren. Schließlich hatte er die Theke erreicht und wartete noch ungeduldig einige Minuten auf Klara, bis sie ihn entdeckte und auf ihn zutrat.

„Hallo Klara", flüsterte P. und weil die Situation eine längeres Gespräch verbot,
sagte er nur noch schnell: „Zwei mal die Ochsenschwanzsuppe."

Obwohl er sich Mühe gegeben hatte möglichst leise und nur in die Richtung von Klara zu sprechen, schien dies den Fremden, in deren Diskussion sich gerade eine Pause eingeschlichen hatte, nicht unbemerkt geblieben zu sein. Denn von ihrem Tisch klang ein entrüstetes Räuspern hinüber, das den Unmut des Mannes mit dem Zylinder fast fühlbar machte.

Nun war es an P. zu schweigen und er schluckte eine Entschuldigung hinunter, die ihm bestimmt nicht zustand und die diese Situation vielleicht noch verschlimmert hätte.

„Tiere sind sie", sagte der Mann mit dem Zylinder und kratzte besonders laut mit der Gabel über seinen Teller, so dass es ein unangenehmes Geräusch gab, das in den Ohren schmerzte. Doch zum Glück hatte Klara verstanden und es bedurfte keiner weiteren Worte und nach einigen Momenten bemerkte er bei einem Seitenblick beruhigt, das die Fremden nun wieder aßen und auch der Mann mit dem Zylinder seine Aufmerksamkeit vollständig einem Kloß zuwandte, den er mit sicheren Schnitten sezierte. Gerade wollte er bereits den gefüllten Topf entgegennehmen, als ihm einfiel, dass der Vater sich einen Schuss Rotwein in der Suppe gewünscht hatte.

„Wenn es denn schon Ochsenschwanzsuppe gibt, dann wollen wir sie auch zünftig genießen." ,hatte er gesagt und nun hatte er, P, abgelenkt durch den Unmut des Zylinderträgers vergessen diesen Sonderwunsch zu äußern. Wie es den Vater ärgern würde, wenn er es nicht einmal fertig brachte diesen an sich harmlosen Wunsch zu erfüllen und obwohl eigentlich der Respekt vor den fremden Herren jedes weitere Wort verbot, war er doch bereits einmal negativ aufgefallen, beugte er sich noch einmal zu Klara nach vorne, die das Unheil kommen sah und wie außer sich mit den Händen durch die Luft fuhr, und flüsterte so leise als möglich:

„Bitte einen Schuss Rotwein."

„Tiere", schrie da mit einem Mal der fremde Mann mit dem schwarzen Zylinder und ehe es sich P. versah, war dieser von seinem Platz aufgesprungen und stürmte auf P. zu, wobei ihm die Dorfbewohner eine breite Gasse bildeten und ehrfurchtsvoll zurückwichen.

„Junger Mann", rief der Fremde und es lag alle nur mögliche Verachtung in diesen zwei Worten. Dabei packte er seinen Arm und drückte ihn so fest zusammen, das P. die Tränen in die Augen schossen.

„Hast Du irgendetwas zu deiner Entschuldigung zu sagen, du Hund?", fragte er P. und es war eine gemeine Frage, weil er ihn dabei noch fester in den Arm kniff und P. wusste, das jede falsche Antwort unangenehme Konsequenzen haben würde.

„Nein", antwortete also P. und der unangenehme Druck der fremden Hand lockerte sich ein wenig.

„Das will ich dir aber auch geraten haben", sagte der Mann und ließ ganz von P. ab. Gerade wollte er sich schon abwenden und zurück zu seinen Bekannten gehen, die das Schauspiel aus der Sitznische verfolgten, – einer hatte sich sogar einen kleinen Zwicker auf die Nase gesetzt- da hielt er auf einmal in der Bewegung inne und wandte sich noch einmal nach P. um. „Das wäre doch interessant", murmelte er leise zu sich und dann lauter und befehlend zu P:

„Kommst Du schon!", so wie man mit einem Hund spricht, der zu stark an der Leine gezogen hat und als P. noch einen Moment zögerte, weil er diese Aufforderung nicht richtig zu deuten wusste, griff der Andere ihn erneut am Arm, genau an der Stelle, die noch vom ersten Mal schmerzte und zog ihn durch die Bauern hindurch hinüber zu dem Tisch in der Ecke.

Ein Stuhl wurde über die Bauernrücken hindurchgereicht und ehe es sich P. versah, saß er bei den Herren an ihrem reichlich gedeckten Tisch.

Es waren fünf Herren, die dort gemeinsam am Tisch gespeist hatten. Allesamt sahen sie amtlich und sehr gelehrt aus und trugen auch alle dunkle, farblich aufeinander abgestimmte Anzüge, von denen sich die Freizeithose von P, die er eigentlich sehr gerne trug, wie die Bekleidung eines Bettlers abhob.

„Das ist der Störenfried", sagte der Mann mit dem Schnauzer und konnte sich nicht zurückhalten P. bei diesen Worten noch einmal zornig anzublicken.

„Und er hat nichts zu seiner Entschuldigung zu sagen."

Nun sahen alle vorwurfsvoll zu P. hinüber, der nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte und so nur einige Male unterwürfig nickte, um die vermeintliche Richtigkeit des Gesagten zu bestätigen.

„Nun sollte man ihn  eigentlich bestrafen", sagte der Mann mit dem Schnauzer,

„und eine gute Tracht Prügel würde ihm wohl auch zum Vorteil gereichen, doch aufgrund unseres Disputes, will ich ihm wohl noch einmal verzeihen und ihn sogar belohnen, so verwerflich das pädagogisch wohl auch ist."

„Hörst Du, ich will dich belohnen", sagte er laut zu P, so als hätte dieser nicht verstanden.

Und um seinen Vorschlag den anderen Herren gegenüber noch einmal zu verdeutlichen, setzte er hinzu: „Ich werde ihn zum Forschungsobjekt machen."

Was immer dies bedeutete, schien es doch eine große Ehre zu sein, denn mit einem Mal blickten all die Herren, die ihn bisher nur mit Geringschätzung betrachtet hatten, durchaus freundlich in seine Richtung und einige der Bauern überwanden ihre Schüchternheit, traten aus dem Pulk nach vorne, um ihm verschämt und wohl auch mit einigem Neid zu gratulieren.

P. nutzte die entstandene Pause des Wohlwollens, um all die fremden Herren mit vorsichtigen, unaufdringlichen Blicken zu betrachten und er fühlte schon ein wenig Stolz, dass er nun in einer solch illustren Runde saß. Allesamt besaßen sie edle Gehstöcke, die am Ende der Bank aneinander lehnten und gleichsam hatten alle blinkende, goldene Manschettenknöpfe, die im Kerzenlicht funkelten. Allesamt schienen sie ausgelassen und stießen immer wieder ihre Gläser aneinander, nur einer von ihnen, wahrscheinlich der älteste mit in Weisheit ergrautem Bart, durch den er kunstfertig die Suppe löffelte, warf ihm, als er sich unbeobachtet fühlte einen langen, warnenden Blick zu.

*
P. saß noch eine Weile bei den fremden Herren, die sich aber weder vorstellten, noch seinen Namen erfahren wollten. Die anfängliche Freude über die Anerkennung, die ihm zu Teil geworden war, war schnell verflogen, denn er blieb nur Betrachter, niemand richtete das Wort an ihn und auch einige Bauern schienen erkannt zu haben, dass sie ihm zu voreilig, vielleicht auch zu herzlich gratuliert hatten und versuchten dies mit geringschätzigen Blicken wieder wett zu machen. Zudem stand noch immer der Topf mit der Ochsenschwanzsuppe auf der Theke und der Vater wartete auf die Mahlzeit. Nun hatte er aber auch nicht den Mut seinen  Platz einfach so zu verlassen und es musste ja auch einen Sinn gehabt haben, dass ihn der Schnauzerträger an den Tisch gezerrt hatte, aber er getraute sich auch nicht, das Wort an einen der Herren zu richten. Irgendwann überwog aber dann sein Pflichtgefühl dem Vater gegenüber und er erhob sich langsam und vorsichtig, dann als es niemanden auffiel und ihn keiner hielt, rascher und bewusster. Schließlich stand er auf und ging mit schnellen Schritten hinüber zur Theke. Nun schienen sie es allerdings bemerkt zu haben und sofort erhob sich der Mann mit dem Schnauzer und folgte ihm, wobei er einige drohende Gesten in seine Richtung machte. Diesmal war sein Gesicht noch zorniger als beim ersten Mal und P, der sich ja beeilen musste und bereits schmerzhaft mit der Hand des anderen Bekanntschaft gemacht hatte, griff so schnell er konnte nach dem Topf mit der Suppe und drängte sich dann durch die Bauern hindurch, nach draußen auf die Straße. Als er über die Schulter blickte, sah er, dass er noch immer verfolgt wurde. Wütend stieß der fremde Herr die unbeteiligten Bauern beiseite, die im Weg standen, wodurch diese, in Angst versetzt nur noch öfter und verzweifelter in seinen Weg traten. Dieser Umstand verhalf P. zur Flucht, denn er glich aus, dass P, der den gefüllten Topf vor sich hertrug ja nicht rennen konnte ohne die gute Suppe zu verschütten. Bald hatte er im Schnellschritt die Wegbiege erreicht, hinter welcher der Pfad hoch zu ihrem Hof führte und als er diesem einige Meter gefolgt war, sah er bereits den Vater, der in der offenen Tür stand und ihn mit zornigen Bewegungen dazu animierte noch schneller zu gehen, um die gerechte Strafe entgegenzunehmen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (19.03.20)
Gerne gelesen, aber Suppe als Gabelfrühstück? Na, ich weiss nicht...
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