Die Elfenbeinhöhlen - In den Niederungen des politischen Betriebs (Anfang)
Text
von autoralexanderschwarz
spontaner Entschluss
Für eine lange Weile hatten wir uns vom Politischen abgewandt,
verschämt, so wie sich enttäuschte Liebhaber abwenden,
in ganz anderen Sphären schwebend dachten wir,
dass ja ohnehin längst alles gesagt ist:
jetzt erst erschrecken wir zutiefst,
wenn wir die Nachrichten sehen.
Flüsse treten da über die Ufer,
blaue Balken wachsen in den Himmel
und Deutschlands Kinder starren nur noch auf ihre Smartphones.
In der Straßenbahn
kann man manchmal
eine Nadel
fallen hören.
Ansonsten ist es überall sehr laut.
Die meisten sprechen nur noch in Parolen,
die man auch aus vollem Hals schreien kann.
Andere antworten dann darauf mit Floskeln
und leeren, leeren Metaphern.
Ab und zu entstehen Neologismen.
Wir schauen uns um
und wir mögen nicht
was wir sehen.
Während sich um uns herum alles radikalisiert,
wollen wir uns endlich engagieren:
wir bieten dem hohlen Wahnsinn die Stirn
und weil anscheinend hier niemand mehr
unsere Sprache spricht,
gründen wir nun endlich unsere eigene Partei:
Wir finden einen Hügel, der noch frei ist,
und eine anliegende Wildblumenwiese
erklären wir stolz
zu unserer neuen Parteizentrale.
Der erste Schritt ist getan,
wir klopfen uns auf die Schulter
und versprechen:
1. Wir werden niemanden belügen.
2. Unsere Metaphern bleiben auch hier unten schön;
3. und wenn die erste leere Floskel
aus uns'ren kalten Mündern bricht:
dann wollen wir kapitulieren.
Wir strukturieren uns als politischer Rekonvaleszent,
wir genesen und
wir brauchen keine Mauern,
wir brauchen endlich ein Manifest,
das man auch singen kann.
Ungewitter
Wir haben es ja schon geahnt,
doch ein Blick auf den eigens eingerichteten
Social-Media-Kanal
bestätigt
die schlimmsten
Befürchtungen:
Wir sind ganz allein.
Wir haben ja gar keine Freunde.
Traurig schütteln wir den Kopf.
„Man bräuchte“, flüstert der Steuermann,
„man bräuchte ein wenig Werbung!“
Wir erstarren,
weil wir in dem Flüstern
den ersten großen Widerspruch bemerken,
der sich ganz heimlich
an die Parteizentrale
herangeschlichen hat.
Niemand von uns konnte ihn aufhalten.
Sofort ändern wir die Geschäftsordnung,
wir diskutieren, zögern:
doch dann darf der große Widerspruch schließlich sprechen.
„Ihr könnt euch ja nicht anbiedern“, sagt der große Widerspruch,
„nicht ohne euch selbst zu verraten.“
Wir nicken,
weil das die Ehrlichkeit gebietet
und auch wenn wir eine pazifistische Partei sind,
hätten wir ihm am liebsten
einen Faustschlag gegeben.
„Das Falsche zu tun und es mit dem Richtigen zu begründen“,
ruft der große Widerspruch,
„das wäre euer erster schmutziger Kompromiss.“
Eine ganze Weile sind wir betreten,
schweigen, bis wir schließlich
den großen Widerspruch aus dem Saal tragen lassen.
Wenn wir schon als Polizeistaat dastehen,
dann wollen wir wenigstens
unsere Muskeln
ein wenig
spielen
lassen.
Dann ernennen wir den Steuermann
zum Ersten Parteisekretär,
drängen ihn vor uns her,
bis zur ersten großen Rede.
Erste große Rede
„Diese erste große Rede wird 'ne kleine Rede sein“,
sagt der Steuermann,
„weil wir uns ganz klar gegen den politischen Diskurs stellen:
alle halten ja momentan nur große und bedeutsame Reden
und darum soll“, ruft der Steuermann,
„unsere erste Rede eine kleine und zudem bedeutungslose Rede sein.“
Wir applaudieren erst einmal nicht,
Jubel ist uns ohnehin verdächtig,
wir denken über das Gesagte nach,
sind uns nicht sicher:
Man kann diese Rede nicht singen.
Das ist unser Widerspruch.
„Die erste Zeile“, sagt der Steuermann auf Nachfrage,
„ist an der Melodie der deutschen Nationalhymne orientiert.“
Erst überzeugt uns das,
dann wirkt es uns zu patriotisch.
„Man kann ja gar kein Land lieben“,
ruft jemand aus den hinteren Reihen,
„nur Menschen kann man lieben,
nur Menschen.“
Dann lassen wir auch ihn aus dem Saal tragen.
Wir rekapitulieren:
Der große Widerspruch hat uns ein wenig aus der Bahn geworfen:
Ihn werden wir überwinden müssen,
wenn wir auf dem politischen Parkett
mit den Anderen tanzen wollen,
denn wenn wir auf den Ball wollen,
müssen wir uns wohl auch die Füße schmutzig machen.
„Wir sind ja noch eine junge Partei“,
sage ich zum Steuermann,
„doch unser Problem, das ist schon ziemlich alt.“
Beim Spindoctor
Zum Aufwärmen
spielen wir ein Spiel, bei dem man verliert,
wenn man die Wahrheit sagt.
Man darf aber auch nicht lügen.
Mit großer Akribie üben wir uns darin
mit Worten herumzudrucksen.
„Warum gibt es so viel Elend in der Welt?“, frage ich den Steuermann zum Test:
„Man kann das so und so sehen“, antwortet er nachdenklich,
während die anderen zuhören
und ergänzt dann: „Auf die eine oder andere Art.“
„Nein“, ruft der Spindoctor und schlägt dabei auf den Tisch:
„So wird das wohl nichts mit der politischen Karriere.“
„Aber ich habe doch nichts gesagt“, antwortet der Steuermann
und wirkt dabei sehr betroffen.
„Nun ja“, sagt der Spindoctor und blickt sich im Seminarraum um:
„Sie haben vielleicht nichts gesagt, aber was hätten Sie denn stattdessen tun können?“
„Uns selbst loben“, ruft ein junger Mann,
der sichtbar froh ist, dass er drangenommen wurde,
„den politischen Gegner attackieren“, ruft eine ältere Dame.
„Das Elend in der Welt ist natürlich die Schuld des politischen Gegners“, ruft der Spindoctor,
und lächelt der alten Dame zu,
„und der einzige Vorwurf, den wir uns machen können, ist der,
dass wir nicht noch entschiedener dagegen gekämpft haben.“
Wir sind irritiert.
Die anderen Seminarteilnehmer klopfen auf den Tisch.
„Und was brauchen wir dann?“, ruft der Spindoctor
und hält sich die Hand ans Ohr,
„dann“, rufen sie im Chor,
„dann brauchen wir leere Metaphern.“
„Wer“, ruft der Spindoctor mit bebender Stimme,
„wer geht zum Krug bis er bricht?“
„Der Brunnen“, rufen die Seminarteilnehmer,
„das“, raune ich dem Steuermann zu,
„das beleidigt doch nur unsere Intelligenz.“
Dann halten wir es nicht mehr aus,
wir empören uns:
Nur weil uns ein großer Widerspruch begegnet,
müssen wir noch lange keinen Speichel lecken.
Nur weil wir keine Freunde haben,
brauchen wir nicht diese.
Wir verlassen den Raum und lassen uns unsere Teilnahmegebühr erstatten.
Für so etwas geben wir zukünftig kein Geld mehr aus.
Seltsame Zyklen
Wir lehnen im Freien an der Mauer
und weil wir ohnehin
irgendwann sterben werden,
rauchen wir eine Zigarette.
Wir rekapitulieren:
Wir sind das falsch angegangen.
Wenn wir eine Bewegung sein wollen,
dann müssen wir wie die Graswurzel
von ganz unten nach ganz oben wachsen.
„Achtung“, flüstert der Steuermann,
„das war schon fast eine leere Metapher.“
„Wir müssen“, fahre ich fort,
„bis ganz hinunter in die Elfenbeinhöhlen kriechen,
um dann von dort unten
wie ein Gott
aus der Unterwelt emporzusteigen.
Das wird nicht schwer sein“, ergänze ich,
„andere haben ja schon vor uns diesen Weg beschritten.“
Wir verlassen uns auf die antiken Mythen
und bauen einen langen Bohrer,
der nach einiger Arbeit fast
bis in den Erdkern reicht.
Von dort aus werden wir durch die Institutionen marschieren.