Das lange Warten

Prosagedicht zum Thema Alter

von  ManMan

Durch die tiefen Fenster fällt ein trübes Licht
in die Bismarckstube dieser Residenz.
Herr H. erzählt.

Von frisch geschniegelten, geputzten Jungen
in kurzen Hosen rechts auf dem Podest
am Bahndamm und die Mädchen links
in langen Kleidern und die Haare aufgesteckt.
Warten auf den Kaiser Wilhelm
schon seit Stunden und die Sonne brennt.

Lehrer Panke hat die Aufsicht.
Er ermahnt die Jungen, still zu stehen
und die Mädchen, Disziplin zu wahren.
Jeden Augenblick kann er ja kommen,
schon seit Stunden und die Sonne brennt.

Nur die kleine Frieda hielt nicht durch
liegt jetzt bei der Pfarrersfrau und schämt sich
man braucht eben Rückgrat, sagte Lehrer Panke
ist es doch der Kaiser, der da kommt
und auf den wir alle warten
schon seit Stunden und die Sonne brennt.

Dann ein Grollen und ein Zischen
immer näher, immer lauter
bis die große Lok heranfaucht.
Lehrer Panke gibt die Order
stramm zu stehen und zu winken
mit den Fähnchen, die sie alle tragen
schon seit Stunden und die Sonne brennt.

Drei Waggons donnern vorbei und
Männer stehen am Fenster
winken kurz zurück und
einer schwenkt die Mütze
doch der Kaiser, heißt es
sei gerade müde und er ruhe.
So sagt Lehrer Panke und
wie er das sagt, klingt es enttäuscht
nach Stunden Wartens in der heißen Sonne.

Soweit Herr H. Er schweigt.
Ich rufe eine Schwester.
Hundert Jahre hat Herr H. es
morgen ausgehalten.
Morgen kommt ein langer Tag
erklärt die Schwester
darum muss Herr H. jetzt ruhen.

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Kommentare zu diesem Text

Caterina (46)
(24.08.08)
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 ManMan meinte dazu am 25.08.08:
Was soll ich öfter machen? Wir haben doch keinen Wilhelm mehr. LG Manfred

 Isaban (24.08.08)
Die Bilder fließen wunderbar ineinander und ins Ganze.
Klasse, wie sich die brennende Sonne wiederholt und sich alles auf diese Weise rundet.

Liebe Grüße,
Sabine
(Kommentar korrigiert am 24.08.2008)

 ManMan antwortete darauf am 25.08.08:
Vielen Dank für diesen runden Kommentar und natürlich auch für die vielen Empfehlungen. Ich bin ganz überwältigt. Ich hatte dieses Gedicht für nicht besonders gehalten und einige Tage mit seiner Veröffentlichung gezögert. LG Manfred
Caty (71)
(24.08.08)
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 ManMan schrieb daraufhin am 25.08.08:
Ich will niemanden entblößen, das sollen sie gefälligst selbermachen. Danke für den Kommentar. LG Manfred
julejuchhu (46)
(24.08.08)
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 ManMan äußerte darauf am 25.08.08:
Der Personenkult. Eben der ist das Problem. Unter anderen. Vielen Dank. Manfred

 Didi.Costaire (24.08.08)
Sehr schön, lieber Manfred, wie du die Obrigkeitshörigkeit breiter Bevölkerungsschichten in ihrer Sinnlosigkeit enttarnst. Gut verdichtet (nur in der Mitte der zweiten Strophe ist vielleicht ein und zuviel)
lg, didi

 ManMan ergänzte dazu am 25.08.08:
Vielen Dank für dein Lob. Auch für die Anregung, der ich allerdings nicht folge.
LG Manfred
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