Weil Dr. L. in einer anderen Welt ist,
hat mir die Witwe seine Bücher angeboten.
Die kleine Frau mit weißen Haaren
zieht die Augenbrauen hoch und sieht
mich fragend an: „Er hatte auch so eine
Leidenschaft wie Sie, nicht wahr, Sie lesen
doch so gerne alte Bücher, Shakespeare
beispielsweise oder Schiller meinetwegen.“
Ich nicke höflich. Dabei hasse ich die Alte.
Als ihr Mann noch lebte, nahm sie ihm
den Raum zum Leben und zum Lesen.
Kein Platz für neue Bücher, hieß es stets.
Und er war schwach, der alte Doktor.
Drei Regale, dunkelbraunes Holz.
„Sie können nehmen, was Sie brauchen.“ Wieland, Vergil, Platon und Nietzsche.
„Was Sie nicht gebrauchen können,
lasse ich entsorgen“. Shakespeare, Marlowe,
Schopenhauer, Marx, Cervantes, Goethe, Schiller.
„Moderne Bücher sind wohl nicht darunter.“ Leibniz, Dostojewski, Puschkin, Herder, Brecht.
„Was hier steht, habe ich auch gelesen, sagte er“. Heidegger, Kant, Homer, Aischylos und die Bibel.[
Das Wissen eine Menschen.
Braucht er noch Bücher, wo er jetzt ist?
Die Witwe will sich unbedingt erleichtern.
„Wenn Sie kein Buch wollen, so rufe ich
das Antiquariat!“ Ich hätte sie erwürgen sollen!
Jedoch nahm ich das Telefon und flötete:
„Wir wollten doch den Keller ausbauen,
nicht wahr, mein Schatz?“
Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.
Kommentare zu diesem Text
cooori (20)
(08.08.12)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.