Es ist nicht mehr Kastanienzeit

Prosagedicht zum Thema Alter

von  ManMan

Die Schwalben sind schon lange fort geflogen,
die südlicheren Tage sind vorbei.

Die kahlen Äste ragen trotzig in den trüben Himmel
und wenn die Sonne durchbricht, scheint sie grell und kalt.

Wer jetzt spaziert durch die Alleen,
der vertreibt mit jedem Schritt den Tag.

Er sieht den Mehltau auf den abgestorbenen Sträuchern,
sieht Vögel letzte rote Beeren picken,

sieht schwarz markiert von unbekannter Hand
das alte Trafohäuschen

unten am Bahndamm, wo die Brombeersträucher wuchern
über einen Sommer, der vergessen scheint.

Und dennoch geht er unbeirrbar seines Weges,
manchmal nimmt er sinnend

eine Kastanie zur Hand, während der Abendzug vorbeirauscht.
Dann wirft er sie verächtlich ins Gebüsch.

Es ist nicht mehr Kastanienzeit.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (03.11.17)
Man möchte durch die Alleen mitspazieren. Schöne Bilder.
LG
Ekki
Sätzer (77)
(03.11.17)
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 tulpenrot (03.11.17)
Es ist ein melancholischer Text. Kastanien haben etwas Besonderes an sich, ihre dunkele warme Färbung, ihre Geschmeidigkeit, ihr Laub ... Dazu die Brombeeren und der Bahndamm - all das sind Dinge, mit denen ich vieles verbinden kann.
Vielleicht hab ich den Text deswegen gern gelesen oder auch, weil er streckenweise einen Rhythmus hat.
Vom Handwerklichen her dachte ich aber auch, es wäre gut wenn alle Zeilen möglichst immer mit einer unbetonten Silbe beginnen könnten, vielleicht an dieser Stelle so:

sieht schwarz markiert von unbekannter Hand
das alte Trafohäuschen dort

am Bahndamm, wo die Brombeersträucher wuchern
den Sommer über, der vergessen scheint.

Wäre das auch in deinem Sinne?

Viele Grüße
tulpenrot

 ManMan meinte dazu am 03.11.17:
Danke für die Empfehlung und für die Gedanken, die du dir gemacht hast! Das ist mir wertvoll. Allerdings bin ich anderer Meinung. Die Verse sind mit Absicht nicht so "glatt", sondern bleiben ein wenig holprig wie der beschriebene Weg, der ja auch eine Metapher für das Leben ist. Und was die Brombeersträucher angeht: sie überwuchern den Sommer, sind schier unausrottbar, tragen einerseits Früchte, an denen wir uns erfreuen, haben anderseits Dornen, an denen wir uns stechen. Das treibt den Sommer aus unserer Erinnerung, sie wird überwuchert. Deshalb bleibt der Text so. Aber nochmals vielen Dank!

 tulpenrot antwortete darauf am 03.11.17:
Ich hab es mir schon gedacht, dass du so antworten würdest ... ... und da solche Antworten häufig vorkommen, hatte ich eigentlich einmal beschlossen, überhaupt keine Textarbeit mehr zu machen... Manchmal werde ich rückfällig. Entschuldige.

Dass das "über" auch zum "wuchern" gehören soll, das erklärt natürlich jedenfalls diese Stelle.
Dass das Holpern absichtlich sein würde, hab ich zwar vermutet, aber dennoch dran gewerkelt.
Ich machs nie wieder. Versprochen und verteile nur noch Sternchen.
Viele Grüße
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