Pennerglück

Kurzgeschichte zum Thema Abgrund

von  Didi.Costaire

Der Kronkorken trudelt auf dem Weg vor ihm aus und reflektiert matt die ersten Strahlen eines sonnig scheinenden und zugleich grauen Tages, als er die braune Flasche an den Hals lenkt. Ein wenig Flüssigkeit verfängt sich in seinem Vollbart und bildet an Oberlippe und Kinn weiße Wölkchen. Frank stößt nicht nur einen Seufzer aus.

Er starrt nach vorne, ohne hinzugucken. Den Raben, der auf einem Denkmal sitzt, ignoriert er genauso wie das Grün ringsherum oder seine Rückenschmerzen. Nicht einmal den seltsam trüben Schimmer der gelben und roten Blätter, die sich über den feuchten Rasen ergießen, bemerkt er.

Mit einem Fastlächeln registriert er hingegen das knackende Geräusch beim Aufdrehen des Verschlusses eines Flachmannes. Er leert das Fläschchen nahezu bis zur Neige, bevor es in der letzten heilen Tasche seines Mantels verschwindet.

Gleich nach der Schule hatte Frank begonnen, in der Aktien- und Hypothekenbank zu lernen, die nur durch ein paar Sträucher und eine Straße von seiner hölzernen Bank getrennt ist.

Frank öffnet die zweite Bierflasche mit seinem verhornten Fingernagel und nimmt einen tiefen Schluck. Ein Teil der Kohlensäure bahnt sich postwendend den Weg zurück.

Zuerst waren sie eher behelfsmäßig untergebracht, doch dann florierten die Geschäfte und es wurde neu gebaut, gleich nebenan. Es entstand ein regelrechter Palast voller Glas und Chrom und Gold.

Frank hustet, zieht anschließend etwas Gelb-Grünes aus der Tiefe seiner Luftröhre hoch und verzieht sein Gesicht. Er spuckt auf den Boden und spült nach, was eine weichere Zeichnung seiner Züge zur Folge hat.

Es war eine gute Zeit damals. Doch nach und nach vermehrten sich die Geldautomaten und die Anzahl der Kassierer schrumpfte. Zu seinem vierzigsten Geburtstag bedeutete man ihm, dass er nicht mehr in das junge, moderne Profil eines aufstrebenden Geldinstitutes passte.

Nur wenige Wochen später kehrte er zurück und sitzt nun fast täglich vor den Toren, die ihm einst den Eintritt in eine Welt aus Prosperität und Perspektiven versprachen.

Aus dem Hintergrund kommt Uwe angewankt, Unmengen von Staub aufwirbelnd. Der Mann mit den langen Haaren, dem humpelnden Gang und dem überwiegend bräunlichen Beinkleid, das die linke Wade unverhüllt lässt, gestikuliert wild und zeigt in Franks Richtung. Da dieser beharrlich in seine Flasche guckt, brüllt Uwe: „Kollege, hinter dir!“

Frank dreht sich um. Nun öffnen sich auch Mund und Augen des Ex-Bankers weit. Was er sieht kann er kaum glauben, obwohl selbst in seiner so eigen gewordene Welt Unkenrufe zu hören waren. Dort, wo jahrzehntelang die Aktien- und Hypothekenbank residierte, befindet sich nur noch ein riesiger Schuttberg. Lediglich ein paar Kinder spielen Bankräuber und Gendarm. Franks Herz schlägt höher.

„Darauf musst du einen ausgeben“, sagt Uwe, der inzwischen neben Frank Platz genommen hat. Ohne eine Antwort abzuwarten, bedient er sich aus der an der Erde liegenden Plastiktüte.

Erst Minuten später bemerkt er das entspannt lächelnde Antlitz seines ehemaligen Saufkumpans.

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Kommentare zu diesem Text

Spocki (57)
(17.10.08)
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 Didi.Costaire meinte dazu am 21.10.08:
Tränen lügen nicht. Da habe ich ja Mauern eingerissen...
Danke und LG, Didi

 süßerMacho (17.10.08)
Gefällt mir gut. Schöne Bilder z.B. schnon der erste Satz, auch wenn ich ihn zweimal lesen musste. Lachen musst ich bei dem Gegensatz von Bankautomaten und Kassier. Passt aktuellen Finanzkrise und ist nicht plump gemacht, wie nach dem Motto "Die bösen, bösen Banken, haben unser Geld verbrannt". Bei dem Titel denkt man nicht gleich an so eine Situation, passt aber meiner Meinung nach trotzdem.
LG
(Kommentar korrigiert am 17.10.2008)
(Kommentar korrigiert am 17.10.2008)

 Didi.Costaire antwortete darauf am 21.10.08:
Danke, ich freue mich, wenn der Text unterhalten und zum Nachdenken angeregt hat. lg, didi

 Isaban (17.10.08)
Dem Genre gemäß würde der Leser in das Geschehen gestoßen Hier jedoch klebt er vom ersten Wort an praktisch neben Frank auf der Bank und lernt ihn kennen. Die Einleitung, bzw. Bekanntmachung des Lesers mit dem Protagonisten zieht sich fast durch den ganzen Text, ergeht sich zudem in Rückblenden und zeichnet den Hauptdarsteller beinahe zu tief - was zwar der Erzählung nicht schadet, aber nicht unbedingt ein Genremerkmal für eine Kurzgeschichte ist.

Dafür bleibt das Ende erfrischend offen, so dass der Leser selbst entscheiden kann, ob die Bank einer Abrissfirma, einem Bombenanschlag oder sonstwas zum Opfer fiel, ebenso wie nicht ganz deutlich gesagt wird, ob Frank seinem höher schlagenden Herzen (und seinen Lebensumständen) zum Opfer fiel oder ob er einfach nur wieder mit der Welt zufrieden ist, jetzt wo der Urheber seines Absturzes in sich zusammengefallen ist.

Der Titel lässt einen darüber nachsinnen, ob der Protagonist zum Schluss so glücklich ist, weil sein Alkoholpegel durch die kleine Glasflasche erreicht ist, ob er zufrieden ist, weil die Bank jetzt genau so abgerissen ist wie er, ob er einfach zufrieden ist, dass das Haus, das ihn so ins Unglück stürzte nun dem Erdboden gleich gemacht wurde, oder ob er sein Leben mit der Aktien- und Hypothekenbank aushauchte - eine gelungen hervorgerufene Ambivalenz.

Eigentlich widerliche Textstellen werden hier mit Humor und kleinen Wortspielereien dargestellt, was dem ganzen ein wenig Larmoyanz nimmt, aber auch die Gefahr birgt, dem Leser eine (abfällige) Wertung vorzugeben und das beschriebene Milieu der Lächerlichkeit preis zu geben, eine Gratwanderung, die hier noch recht gut gelang.

Der Spannungsbogen wird nur sehr langsam aufgebaut. In der Beschreibung sind einige Längen zu erkennen, Sätze, die sich war in schönen Bildern, Farben und jeder Menge Adjektiven ergehen, aber nicht unbedingt zum Spannungsaufbau oder zum Aufbau der Handlungsfäden gebraucht werden.

Die hübschen Landschafts- und Herbststimmungsbeschreibungen sind gewiss als Kontrast zum Pennerleben gedacht, erzielen aber nicht wirklich diese Wirkung. Wenn sie beabsichtigt ist, müssten diese Stellen entweder verstärkt werden, oder aber auf das wirklich Wesentliche beschränkt.

Es sind noch ein paar kleinere inhaltliche Unstimmigkeiten vorhanden, wie zum Beispiel die Staubunmengen, die Uwe an so einem trüben (und somit gewiss nicht staubtrockenen) Tag aufwirbelt. Ein an sich schönes Wortspiel (Assoziation: Asche zu Asche, Staub zu Staub, Bänker zu Bank), das aber eigentlich besser zu einem heißen Hochsommertag gepasst hätte.

Idee und Umsetzung lassen sich angenehm und flüssig lesen, Bilder und Inhalt lassen sich gut und leicht erfassen, aber ein klein wenig Ausfeilen könnte nicht schaden.

Liebe Grüße,
Sabine
(Kommentar korrigiert am 17.10.2008)

 Didi.Costaire schrieb daraufhin am 01.01.09:
Liebe Sabine,
nun ist das Jahr 2008 zu Ende und damit auch die Laufzeit deines Projektes, und ich habe noch immer nicht damit begonnen, die Geschichte auszufeilen...
Wenn ich es täte, würde ich als Genre wahrscheinlich von "Kurzgeschichte" in "Erzählung" abändern.
Es ist sicherlich wahr, dass dem Text eine gewisse Behäbigkeit innewohnt. Das war in der ersten Fassung, die ich einigen "willigen Opfern" vorgelesen habe, allerdings noch viel schlimmer, glaub mir. Ich habe mich danach immerhin, wenn auch schweren Herzens, von einigen wort- und bildgewaltigen Endlos-Schachtelsätzen, die einige hübsch anzusehende Damen in den sanftschlummernden Tiefschlaf trieben, so dass ich beinahe geneigt gewesen wäre, meine im Erste-Hilfe-Kurs erworbenen und jüngst aufgefrischten Kenntnisse der Mund-zu-Mund-Beatmung, die vielleicht für eine höchstvitale Wiederbelebung gesorgt hätten, in der Praxis anzuwenden, getrennt. ))
Die von dir ebenfalls monierten "Staubmengen" sehe ich eher symbolisch: Die Bank wurde in Schutt und Asche gelegt - auf welche Art auch immer. Wenn das anders rüberkommt und dadurch unlogisch wirkt, ist es wahrscheinlich eine Schwäche des Textes.
Danke auf jeden Fall für deinen ausführlichen Kommentar und die gelungene Darlegung verschiedenster Interpretationsmöglichkeiten.
Liebe Grüße, Dirk
wupperzeit (58)
(22.10.08)
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 Didi.Costaire äußerte darauf am 01.01.09:
Lieber Andreas,

auch dir herzlichen Dank für den ausführlichen Kommentar.

Besonders herausheben möchte ich dabei den von dir unter Rubrik 8 aufgeführten Leitgedanken, der mir gut gefällt und Ideen auf den Punkt bringt, die auch mir beim Schreiben durch den Kopf ging.

Das mit den Adjektiven habe ich zwar ebenfalls gelernt; dennoch flutschen sie mir immer und immer wieder raus. Ich versuche mich zu bessern.

Liebe Grüße. Ein erfreuliches 2009
wünscht dir
Dirk
elvis1951 (59)
(01.11.08)
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 Didi.Costaire ergänzte dazu am 01.01.09:
Lieber Klaus, danke für deinen Kommentar, verbunden mit besten Wünschen für das Neue Jahr, inklusive komfortableren Sitzgelegenheiten und besseren Tropfen! lg, didi
boesefee (20)
(05.11.08)
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 Didi.Costaire meinte dazu am 01.01.09:
Liebe boesefee,

ich danke für deinen ausführlichen Kommentar und wünsche auch dir eine schönes, erfolgreiches, kreatives und erfreuliches Neues Jahr.

Das Ende der Geschichte soll nicht zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass die Bank abgebrannt ist, sondern ganz unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten eröffnen (Isaban hat dazu ihr Brainstorming ausführlich dargelegt, das meinen Gedanken sehr nahe kommt).

lg, didi
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