Zeichen der Verdammnis

Kurzgeschichte zum Thema Gut und Böse

von  tastifix

Ein halbes Jahr war es nun her, dass Marleens Eltern gestorben waren. Ein gutes Verhältnis hatten die Tochter und sie nie zueinander gehabt. Ihre Charaktere waren zu unterschiedlich gewesen und Marleens leicht aufbrausendes Temperament hatte die Beziehung noch zusätzlich erschwert.

Dennoch ließ die junge Frau sogar heute, an dem Tag ihrer Hochzeit, der Gedanke an die Verstorbenen nicht los:
„Lass mich in Ruhe. Ich will nicht mehr!“
Sie stöhnte leise, aber es klang keinesfalls wie ein Seufzer der Trauer.

Gleich würden ihr die Brautjungfern den Schleier bringen und sie sich dann als eine wunderschöne Braut ihrem Zukünftigen und der Verwandtschaft präsentieren. In Gerd hatte sie den Mann ihrer Träume gefunden.
„Mit ihm werde ich glücklich sein!“

Es klopfte. Froh öffnete Marleen die Tür. Im selben Moment verdunkelte sich draußen die Sonne und der Raum lag in einem unheimlichen, dämmrigen Licht. Mit einem Schreckenslaut wich Marleen ein paar Schritte zurück.

Vor ihr standen mitnichten ihre Freundinnen, um ihr beim Ankleiden zu helfen, sondern eine in eine bodenlange, tiefschwarze Kutte gehüllte Frau. Die schwarze Maske vor ihrem Gesicht gab allein einen schmalen Schlitz für die Augen frei.

In der Hand hielt sie einen kostbaren strahlendweißen Brautschleier, der über und über mit winzigen Perlen bestickt war. Sie streckte ihn der jungen Frau entgegen:
„Nimm, dies ist dein Lohn!“

Marleen blickte in jene Augen, hörte die etwas rauhe, dunkle Stimme. Die Erinnerung drückte sie nieder. Sie erblich.
„Neiin, das kann nicht sein. Weiche von mir!“
Fassungslos und schwankend vor Entsetzen stierte sie die Gestalt an:
„M...Mutter!!“

Die Geistgestalt antwortete drohend mit grollender Stimme:
„Nimm jetzt diesen Schleier!“
Marleens Flehen war nur noch ein Hauch:
„Hab` Erbarmen!“
„Es gibt keine Gnade!“

Die Mutter murmelte ein paar Worte. Im nächsten Moment erstarrte Marleen und war zu keiner Bewegung mehr fähig. Barsch steckte ihr die Mutter den Schleier aufs Haar. Es donnerte ohrenbetäubend, grelle Blitze erhellten das Zimmer. Die Gestalt der Mutter verflüchtigte sich.


Ein grauenhaftes Schreien ließ den Bräutigam und die Verwandtschaft, die im Festsaal auf die Braut warteten, erschreckt zusammenfahren:
„W...Was war das!?? - Marleen!!“

Von Panik erfasst, hetzte Gerd, gefolgt von einigen der Anwesenden, in die obere Etage zum Zimmer seiner Zukünftigen. Die Türe stand weit offen. Rauchschwaden schlugen ihm entgegen und es bot sich ihm ein entsetzlicher Anblick.

Der einst strahlend weiße Schleier glühte rot wie Blut. Die Perlen hatten sich in Dolche verwandelt, die sich unbarmherzig tiefer und tiefer in Marleens Schädel bohrten. Um ihren Körper züngelten die Flammen, erfassten ihre Beine, fraßen sich aufwärts und berührten bereits das vom Schmerz grässlich verzerrte Gesicht.

Aber es war noch nicht genug des Grauens. Von den Wänden hallte das unheimliche Echo einer hohlen Stimme:
„Ich bin der Geist ihrer Mutter. Damals habt ihr euch nach der Ursache unseres Todes gefragt. Es blieb bis heute ein Geheimnis. Doch nun sollt ihr die Wahrheit erfahren. Marleen war es, die uns aus wahnsinnigem Hass ertränkt hat. Nun ist die Tat gesühnt und wir werden unseren Frieden finden!“

Es wurde totenstill, so still, dass man den odem des Verbrechens spüren konnte. Keiner der Anwesenden rührte sich. Erschüttert hoffte Gerd, dass alles nur ein furchtbarer Albtraum war. Aber die Flucht vor der Wahrheit war ihm nicht vergönnt.
„Dieses Wesen dort habe ich über alles geliebt. Eine Mörderin!“

Mit gebrochenem Herzen musste er nun mit an sehen, wie Marleens Körper langsam verkohlte und zu einem kleinen Haufen Asche zerfiel. Noch einmal meldete sich der Geist der gequälten Verstorbenen:
„Marleen: Sei verflucht in alle Ewigkeit!“

Ein giftig grüne Lichtkugel umhüllte die Asche und schwebte für einen Augenblick an der Zimmerdecke entlang. Dabei verblasste ihr Schein mehr und mehr. Schließlich verlor sie sich im langsam zurückkehrenden Tageslicht.

Draußen schien wieder die Sonne.

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