Kleine Sonne

Roman zum Thema Dunkelheit

von  Mutter

Plötzlich wurde es im Raum merklich heller, und als sie sich umsahen, konnten sie eine Lichtquelle dicht unter der Decke sehen. Sie wurde langsam größer und dichter, bis der ganze Raum wie durch helles Tageslicht erhellt wurde.
Savena unterdrückte einen Fluch und sprang auf, aber das Licht schien damit zufrieden, unter der Decke zu hängen. Es ging nichts Bedrohliches von ihm aus. Im Gegenteil, das Licht war wieder etwas schwächer geworden und hatte einen warmen, goldenen Ton angenommen.
‚Es ist uns gefolgt‘, sagte Arram fasziniert. Wieder nickte Savena, und sah wie gebannt auf das, was ihr Vertrauter hätte werden sollen. Genau wie die drei Menschen schien das Wesen abzuwarten.
Einer plötzlichen Eingebung folgend hob Savena ihre Hand und sofort bewegte sich die leuchtende Kugel darauf zu. Einen Augenblick später hatte es ihre Hand erreicht, und Savena zuckte etwas zusammen, als sie den Kontakt spürte, aber ihre Haut wurde nicht versengt. Sie konnte lediglich eine angenehme Wärme spüren.
Mit einem Lächeln hob sie die Hand, und der Ball aus Licht schwebte darum herum, etwas schneller werdend. Sie riss die Hand ganz nach oben, und der Ball schoss zur Decke, wirbelte in einer Spirale tiefer und umkreiste wieder ihre Hand. Sie hatte das Gefühl, mit einem Haustier, einem übermütigen Hündchen, zu spielen. Lachend machte sie eine ausholende Handbewegung und ihr Vertrauter schoss durch den Raum, von den Wänden zurückgeworfen, und sie musste den Impuls unterdrücken, sich zu ducken, als es über sie hinweg schoss. Wieder bei ihnen, begann es, leicht zu pulsieren, dabei kleine Wellen warmen Lichtes abgebend.
‚Es hat funktioniert. Wir haben meinen Vertrauten beschworen‘, rief Savena lachend und drehte sich zu den anderen um. Beide schauten gebannt auf das Wesen. Diesmal war es Arram, der nur stumm nicken konnte.
Kelima umarmte Savena und kurz darauf fiel auch Arram mit in die Umarmung ein. Die drei standen in einem engen Kreis, die Arme umeinander, und wurden von oben durch sanftes Licht beschienen.
‚Hast du schon einen Namen?‘ fragte Kelima und Savena wollte schon den Kopf schütteln, als sie plötzlich zögerte. Dann sagte sie: ‚Ingiano. Kleine Sonne.‘
Kelima lachte und rief, mit dem Blick nach oben: ‚Ich mag dich, Ingiano.‘
Wie zur Antwort tanzte der Vertraute an der Decke, und Savena konnte eine Welle der Zufriedenheit spüren, die von ihm ausging. Sie bezweifelte, dass sie sich jemals direkt mit ihrem Vertrauten unterhalten können würde, so, wie das ihr Vater mit Agrip tat, aber vielleicht konnte sie eine Art geistigen Rapport mit Ingiano aufbauen, der es ihnen ermöglichte, zu kommunizieren.
‚Ich hatte gehofft, unseren verschiedenen Charakterzüge ließen sich in deinem Vertrauten wiederfinden, aber ich weiß nicht, ob sich überhaupt so etwas wie Charakter in ihm finden lässt‘, sagte Arram etwas enttäuscht und sah zur Decke auf.
Savena lächelte und sagte: ‚Falls er schlechte Eigenschaften hat, sind es jedenfalls deine.‘
‚Ja, vielleicht ist er nicht stubenrein‘, warf Kelima ein.
Savena sah Arram mit hochgezogenen Augenbrauen an. ‚Gibt es da etwas, was ich wissen sollte, falls ich dich noch einmal mit zu meinen Eltern nehme?‘
Kelima lachte und Arram versuchte, sie beide mit Stößen einzudecken.
‚Lasst uns gehen, es wird langsam spät‘, sagte Kelima, als sie sich alle wieder etwas beruhigt hatten.
Draußen vor der Tür blieb Savena kurz stehen und versuchte Ingiano gedanklich mitzuteilen, dass er auf die Geisterebene wechseln sollte. Er reagierte nicht sofort, und sie musste Verschiedenes ausprobieren, bis er verstand.
Das Licht, an das sie sich bereits gewöhnt hatte, verschwand plötzlich und sie blinzelte.

Kurz darauf verabschiedeten sich die drei und Savena machte sich mit Bragos wieder auf den Heimweg. Sie überlegte, ob sie ihm von Ingiano erzählen sollte, aber es missfiel ihr, den Vertrauten zu rufen, um ihn vorzuführen. So sagte sie lieber nichts, auch wenn sie sich fast auf die Zunge beißen musste.

Sie hatten fast das Ende des Handwerkerviertels erreicht und liefen gerade parallel zur Kupfergasse, als sich plötzlich mehrere Männer aus dem Schatten vor ihnen lösten. Bragos streckte sofort den Arm aus, um Savena zurückzuhalten, und sie blieben beide stehen.
Die Dochte von mehreren Lampen wurden hochgedreht und kurz darauf konnte Savena drei Männer erkennen, unterschiedlichen Alters, aber alle in abgewetzter und speckiger Kleidung, die sich langsam auf sie zu bewegten. Sie stellten die Lampen auf die Straße und begannen, sich aufzufächern, um die gesamte Straße abzudecken. Dahinter sah sie die schlanken Gestalten von zwei weiteren Personen, und als diese die abgestellten Lampen passierten, konnte sie zwei von den drei Jungen erkennen, die gestern Steo verfolgt hatten.
Der größere von beiden war der gewesen, den sie von Steo herunterzerren musste. Er hatte sein halblanges, blondes Haar in einen unordentlichen Zopf gebunden.
‚Was soll das? Was wollt ihr?‘ fragte sie ungehalten.
Der Blonde grinste und ermutigte die drei Männer vorzurücken, während er zu ihnen trat.
‚Kümmert euch um den Kerl, wir nehmen uns das Mädchen vor‘, sagte er.
Bragos machte einen weiteren Schritt nach vorne, aber Savena war klar, dass er gegen die drei keine Chance haben würde. Entschlossen machte sie eine kleine Handbewegung, und ihre magische Energie griff nach dem Blonden. Sie konnte seinen Körper spüren, jede Einzelheit. Sie konnte fühlen, wie sein Blut durch die Adern strömte, wie sein Herz schlug und sie überlegte, wie einfach es sein würde, sein Herz zum Stillstand zu bringen. Es gab so viele Möglichkeiten, den menschlichen Körper lahmzulegen, und sie alle erforderten nur so wenig. Eine verstopfte Ader, ein Blutgerinnsel, und sein Grinsen würde ihm im Gesicht gefrieren.

Stattdessen ließ sie ihre Magie an anderer Stelle ansetzen, an seinem Rückrat. Sie unterbrach die Verbindung zu seinen Beinen, und schickte stattdessen andere Signale wieder nach oben, in sein Gehirn.
Mit einem Schmerzensschrei brach der Blonde zusammen - er konnte seine Beine nicht mehr spüren, und ruderte wild mit den Armen. Mit einem kleinen Gefühl der Genugtuung beobachtete sie seine Schmerzen, und die Wirkung, die sie auf die angeheuerten Schläger hatten. Verunsichert hatten sie sich zunächst umgedreht, um sich daraufhin wieder etwas zurückzuziehen. Sie verstanden nicht ganz, was vor sich ging, und warfen immer wieder kurze Blicke auf Savena, die sich verfluchte, ihren Umhang nicht wieder angezogen zu haben.
Plötzlich wurde ihre magische Verbindung zu dem Blonden gekappt und etwas irritiert wandte sie sich ihm wieder zu. Mit einem verbissenem Grinsen war er wieder aufgestanden, und jeder weitere Versuch, wieder die Kontrolle über ihn, über seinen Körper, zu bekommen, blockte er gekonnt ab. Sein Gefährte hatte sich bestürzt abgewandt, als er sah, dass der Blonde seine Magie benutzte, und auch Savena wurde davon überrumpelt. Sie hätte in ihren Tagen in der Akademie niemals in Erwägung gezogen, Magie zu benutzen. Zu sehr hatte sie die ehernen Gesetze verinnerlicht, die das verbaten und einen sofortigen Verweis von der Akademie nach sich gezogen hätten.
Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Blonden gelenkt, der einen Schritt auf sie zu gemacht, und einen Spruch in ihre Richtung geworfen hatte. Bevor sie noch überlegen konnte, was er getan hatte, oder wie sie sich wehren konnte, erschien plötzlich Ingiano vor ihr in der Luft, und schien die Energie des Spruches in sich aufzunehmen. Sein Licht wurde nur ein wenig heller, etwas weißer, und dann war die Energie des Zaubers verschwunden. Savena spürte nur an der aufgeheizten Luft, das es ein Feuerzauber gewesen sein musste.
Unmäßige Wut über die Tat des Jungen erfasste sie. Er setzte alles, was er besaß, aufs Spiel, um persönliche Rache wegen eines Akademiestreits zu nehmen. Er war offenbar bereit, sowohl Bragos als auch sie zu verletzen, wenn nicht zu töten, und alles für eine derart sinnlose Streiterei. Sie spürte Ingiano, spürte seinen Drang, und ohne Nachzudenken gab sie ihm nach. Später konnte sie nicht sagen, ob sie gewusst hatte, was passieren würde, aber sie hatte den Verdacht, dass sie zumindest eine leise Ahnung gehabt haben müsse.
Ingiano schoss zwischen den Schlägern auf den Blonden zu, und dabei veränderte sich sein Licht. Es wurde immer dunkler, bis fast nichts mehr davon übrig war, und wie ein Docht, dem der Sauerstoff entzogen wurde, verglimmte er. Plötzlich eine Kugel aus tiefem Schwarz, schien auch die Umgebung alle Farbe verloren zu haben, und nur noch in Schattierungen aus Grau zu bestehen. Savena fiel all das in dem Moment auf, indem Ingiano den Blonden berührte, ein Moment, den sie später immer wieder vor Augen sehen würde.
Nach einem Bruchteil eines Herzschlages, in dem überhaupt nichts passierte, war Ingiano durch den Jungen hindurch, und es wurde wieder hell. Die Farbe kehrte zurück, und Savena konnte den Blonden lautlos zusammensinken sehen. Ein Großteil seines Brustkorbes fehlte, war einfach verschwunden, und auf eine groteske Art drehte er sich um die eigene Achse, bevor er zu Boden fiel. Es war, als hätte Ingiano einfach einen Teil von ihm ausgelöscht. Als hätte dieser Teil seines Körpers nie existiert.
Mit einer Mischung aus Schuld und Horror starrte Savena auf das, was vom Blonden noch übrig war, und nachdem die Schläger gesehen hatten, was mit ihrem Auftraggeber passiert war, verschwanden die drei lautlos in einer Seitengasse. Savena sah auf, und bemerkte Bragos, der sie ohne jeden Ausdruck anstarrte. Dann machte er einen Schritt auf sie zu und stützte sie. Dankbar lehnte sich Savena an und dachte zum ersten Mal an ihren Vertrauten. Beunruhigt sah sie sich um, aber Ingiano war verschwunden. Sie dachte daran, was aus dem kleinen goldenen Ball geworden war, und fühlte Übelkeit in sich aufsteigen
Sie erinnerte sich später nicht mehr daran, wie sie nach Hause gekommen war, nur, dass jemand sie ins Bett gelegt hatte, und sie bald eingeschlafen war, nur um immer wieder von ihren Träumen aufgeweckt zu werden.
Träume, in denen sie sah, wie ihre Eltern kleine Tiere misshandelten, wie sie ihnen die Beine ausrissen, und lachten, wenn sie sahen, dass Savena sie heulend bat aufzuhören.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(09.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 09.05.09:
Wie meinen? :)
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