Vertraute

Roman zum Thema Vertrauen

von  Mutter

‚Das meinst du nicht ernst‘, sagte ihr Vater mit einer Mischung aus Ärger und Unglauben, und schickte sich an, um den Tisch auf sie zuzukommen.
Savena lehnte sich herausfordernd mit beiden Händen auf eine Stuhllehne und streckte Kopf und Schultern leicht nach vorne. ‚Und warum nicht? Nur weil es noch niemand gemacht hat, heißt das nicht, dass es unmöglich ist‘, sagte sie.
Ihre Mutter hatte sich langsam an den großen, glatt polierten Eichentisch gesetzt, der die ansonsten spartanische Halle dominierte. ‚Savena, es ist nicht so, dass es nicht geht. Es würde schon funktionieren, aber das Risiko ist einfach zu groß. Das ist der Grund.‘
Ihr Vater war ein paar Schritte von ihr entfernt stehen geblieben, und schien immer noch unschlüssig, ob er näher herankommen sollte, als ihre Mutter ihm mit dem Kopf bedeutete, sich ebenfalls einen der Stühle zu nehmen.
‚Savena, komm setz‘ dich‘, sagte sie, und bot ihr einen Stuhl an.
Widerwillig fügte sich Savena. Nachdem sie sich gesetzt hatte, sah sie ihre Eltern misstrauisch an. Sie hatte sich das anders vorgestellt, hatte gedacht, sie würden von der Idee ihrer Tochter begeistert sein. Stattdessen waren sie entsetzt gewesen. Die Freude über ihre bestandene Prüfung, ihr absolutes Hochgefühl, war wie weggewischt.

Savena besah sich ihre beiden Eltern, die so gut zusammen passten, so gut ineinander griffen. Zu oft in ihrem Leben hatte sie das Gefühl gehabt, das gute Verständnis ihrer Eltern ließ zu wenig Raum für sie selbst. Das war der Grund, warum sie sich immer Geschwister gewünscht hatte.
‚Savena, bitte hör mir zu‘, sagte ihr Vater und legte seine Hand auf ihre. Die Reaktion, die Hand wegzuziehen unterdrückend, zwang sie sich, ihm zuzuhören.
‚Einen Vertrauten zu beschwören ist dein erster Akt als anerkannte Magierin, und ein Schritt, der dein ganzes weiteres Leben beeinflussen kann. Ein Vertrauter ist ein Spiegelbild deiner selbst, und oft noch viel mehr.‘
Ihre Mutter nickte und fügte hinzu: ‚Es ist ein Akt der Beschwörung, der sehr intim ist. Es gibt einen Grund dafür, warum dabei niemand zugegen ist. Wenn es anders wäre, glaubst du nicht, dass neue Magier dabei betreut würden?‘
‚In dem Moment, in dem du einen Teil von dir selbst in den Vertrauten gibst, bist du svollkommen wehrlos, und jemand, der dich dabei beobachten würde, würde sehr viel über dich und deine Magie erfahren ...‘, übernahm ihr Vater.
Nach einem kurzen Kopfnicken ihrer Mutter fuhr er fort: ‚... und wenn eine weitere Person daran beteiligt ist, dann gewinnt sie einen Gutteil Macht über deinen Vertrauten. Und Kontrolle über deinen Vertrauten bedeutet auch Kontrolle über dich.‘
Seine Stimme hatte sich bei den letzten Worten gesenkt, und er sah ihr tief in die Augen. Wäre der Anlass ein anderer gewesen, wäre Savena vermutlich in Gelächter ausgebrochen, bei so viel Dramatik. Stattdessen sagte sie: ‚Aber ich vertraue Arram und Kelima. Sie sind meine besten Freunde, sind so etwas wie Geschwister für mich. Sie würden mich niemals verraten, oder enttäuschen‘, entgegnete sie entrüstet.
‚Das spielt keine Rolle, Schatz. Es geht weniger darum, was sie willentlich tun würden, sondern darum, zu was man sie zwingen kann, was sie preisgeben könnten. Du wärst nicht sicher, wenn sie Teil deines Vertrauten würden.‘
‚Aber es würde ein mächtiger Vertrauter werden, unvergleichlich mächtig‘, warf ihre Großmutter ein, die unbemerkt den Raum betreten hatte.
Savenas Mutter seufzte und nickte mit dem Kopf. ‚Ja, aber das Risiko bleibt das Gleiche. Es ist zu gefährlich.‘
Taffy war an Savena herangetreten und strich ihr sanft über das lange Haar. ‚Warum willst du es tun?‘
Die Frage überraschte beide Eltern, die es bis jetzt versäumt hatten, sie zu stellen, und mit einem dankbaren Blick auf ihre Großmutter sagte Savena: ‚Ich will etwas mit ihnen teilen. Noch ein paar Wochen, und ich bin auf dem Weg in die Ostlande, und die Götter wissen, wie lange es dauert, bis ich sie wiedersehe. Ich wollte gerne etwas von ihnen mitnehmen, bei mir haben. Um mich an sie zu erinnern‘, fügte sie fast bittend hinzu und sah dabei zu Taffy auf.
Die alte Frau nickte. ‚Ich kann das gut verstehen, aber was deine Eltern sagen, ist nicht von der Hand zu weisen. Es gibt viele Risiken, und darüber solltest du dir im Klaren sein. Aber letztendlich bist du eine ausgebildete Magierin, und nur du alleine triffst diese Entscheidung. Und lebst mit den Konsequenzen.‘
Savena nickte und sah die Diskussion damit als beendet an, aber ihr Vater wollte noch etwas sagen, als Taffy zu ihm trat und ihm fest die Hand auf die Schulter legte und ihm zuvorkam. ‚Erinnerst du dich daran, als du deinen Vertrauten beschwören wolltest? Du kamst nach hause, und erzähltest mir von einem Kampfdämon, schrecklich im Aussehen und fürchterlich im Kampf. Außer dir hat das keiner für eine gute Idee gehalten, aber ich habe niemals vorgehabt, dir irgendwas zu verbieten. Dafür warst du schon zu alt.‘
Savena musste lachen, als sie das hörte und an Agrip, den Vertrauten ihres Vaters dachte. Er besaß die Form eines alten Mannes, mit dem ihr Vater Schach spielte, und obwohl er ein brillanter Ratgeber und kluger Kopf war, hätte er nicht weiter entfernt von dem Vertrauten sein können, den Taffy gerade beschrieben hatte.
‚Was ist passiert?‘ fragte sie lachend.
‚Was passiert ist? Ich habe ihn daran erinnert, was für eine Art Magier er ist. Habe ihm die Frage gestellt, was er in zehn Jahren wohl mit einem solchen Vertrauten machen würde, und dann hat er sich zwei Tage in sein Zimmer eingeschlossen, schwer überlegt, und hat dann Agrip beschworen.‘
Ihr Vater sah Taffy mit finsterem Gesicht an, und jetzt musste auch seine Frau lachen. ‚Ich würde gerne sehen, wie du dich von einem solchen Vertrauten im Konzil beraten lässt. Spuckend und schnaubend, die anderen Mitglieder zum Kampf herausfordernd.‘
‚Genug‘, rief ihr Vater und sprang auf. ‚Es reicht. Ich sehe einen kleinen Unterschied zwischen dieser Geschichte, und einem geteilten Vertrauten.‘ Dabei funkelte er seine Frau an, die sofort aufhörte, zu lachen.
‚Er hat Recht, Savena. Bitte überleg‘ dir den Schritt gut, und nimm‘ dir Zeit für die Überlegung. Versprich mir das‘, sagte sie, wieder ernst.
Savena nickte und stand auf. ‚Ich muss jetzt gehen. Ich sehe euch heute Abend.‘
Sie verabschiedete sich von ihrer Großmutter mit einem Kuss und machte sich auf den Weg nach unten.

Am Eingangsportal wartete schon Bragos auf sie, öffnete ihr die Tür und folgte ihr dann in die Straßen von Avuto.
Für eine ganze Weile bewegten sie sich auf den breiten, gut gepflasterten Straßen des Konzil-Viertels, aber Savenas Weg führte sie tiefer in die Stadt hinunter, und bald wurden die Straßen dreckiger und enger, die Leute ungepflegter, und die Blicke abschätzender.
Eigentlich brauchte sie Bragos Schutz seit diesem Morgen nicht mehr - die Leute machten einen weiten Bogen um sie, sobald sie das Rot-Schwarz ihres Umhanges sahen, das sie als Magierin auszeichnete.
Aber seit sie denken konnte, hatte der schlanke Mann sie begleitet, wann immer sie einen Fuß vor die Tür gesetzt hatte. Obwohl sie jahrelang mit ihrem Vater gestritten hatte, und immer wieder versucht hatte, den wachsamen Augen Bragos zu entkommen, hatte sie längst eingesehen, dass es einfacher war, dem Wunsch ihres Vaters nachzukommen.
Bragos war inzwischen zu so etwas wie einem Onkel für sie geworden - zu lange hatte er sie begleitet, als dass sie ihn immer noch als einfachen Bediensteten sehen konnte. Ihr Vater hatte damals darauf verzichtet, ein Mitglied der Söldner-Gilde zu verpflichten, sondern hatte den Sohn eines Dieners mit der Aufgabe betraut. Als Folge war Bragos immer für Savena da gewesen, wurde niemals durch einen Fremden ersetzt, und sie hatte ihn dafür ihrerseits mit ihrem Vertrauen belohnt.
‚Als perfekter Diener solltest du eigentlich stumm sein. Und viel massiger. Ein muskulöser Stummer, seiner Herrin bis in den Tod ergeben‘, sagte sie lachend und drehte sich um.
Bragos lächelte ebenfalls, sah sich aber weiter aufmerksam nach allen Seiten um. Sie waren schon oft im Hafenviertel gewesen, seit Arram hier Quartier bezogen hatte, aber der Leibwächter sah darin offenbar keinen Grund, sich zu entspannen.
‚Vor was kannst du mich schützen, vor dem ich mich nicht selbst bewahren könnte?‘ fragte sie weiter.
Bragos zuckte mit den Achseln. ‚Obwohl Ihr jetzt Eure Magie anwenden dürft, heißt das nicht, das Ihr vor allen Gefahren gefeit seid.‘ Er fuhr sich mit einer Hand durch die dichten, drahtigen Haare, die ihn jünger aussehen ließen, als er tatsächlich war.
‚Das meinte ich damit auch nicht. Niemand könnte das jemals sein, nicht einmal ein Mitglied der Dynastie. Aber wenn jemand mich ausrauben würde, mich anfassen wollte, könntest du jemals so effektiv mit ihnen fertig werden wie eine ausgebildete Magierin?‘
‚Wohl nicht. Jeder Magier kann einen Angreifer vermutlich auf sehr variantenreiche und blutige Weise umbringen, aber die Frage ist: Würdet Ihr das tun?‘ Zum ersten Mal seit Beginn ihres Gespräches sah er ihr in die Augen, nur, um sich gleich darauf wieder wachsam umzusehen.
Savena überlegte einen Moment. Als sie nichts sagte, fuhr Bragos fort: ‚Nur weil Ihr mit Eurem Schwert umzugehen gelernt habt, heißt das nicht, dass Ihr im Kampf bereit seid, es zu benutzen. Menschen zu verletzen, oder gar zu töten, braucht Übung. Übung, die Ihr hoffentlich nicht brauchen werdet.‘
Savena antwortete wieder nicht sofort. Bragos kannte nur einen kleinen Teil ihres Lebens, wusste nichts davon, wie ihr Studium ausgesehen hatte. Zu verletzen und Schmerzen zuzufügen war ebenso Teil ihrer Ausbildung gewesen wie sie wieder zu heilen.
Savena sah sich um, besah sich die düsteren Gestalten, die sie beide mit wachsamen Augen kurz taxierten, und dann woanders hinsahen. Sie fragte sich, wie viele Blicke davon alleine Bragos mit seinem finsteren Ausdruck und seinen funkelnden Augen abwendete, und ob es nicht doch jemanden gab, der testen wollen würde, ob sich die junge Magierin alleine wehren konnte, so tief im Hafenviertel.

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Kommentare zu diesem Text

AnnaKarenina (31)
(28.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 28.05.09:
Zu den Empfindungen anderer Leser - siehe drüben, äh,
Desdemona (39)
(25.10.09)
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 Mutter antwortete darauf am 27.10.09:
Oh Gott, Deine Kommentare klingen, als sei es das reinste Martyrium, sie zu lesen ... :D
Dann bist Du auf jeden zu bewundern ... ;)

Im Ernst: Danke für die Mühe und die Kommentare.

M.
Desdemona (39) schrieb daraufhin am 28.10.09:
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 Mutter äußerte darauf am 28.10.09:
Ja, im Netz schon ...
Bei Büchern eher selten. ;)

Ist schon okay - ich hab's nicht missverstanden - nur etwas überspitzt. :)
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