Licht im Dunkel

Roman zum Thema Licht

von  Mutter

Als alle neun Kreise leuchteten, konnte sie sich ein wenig entspannen. Es war viel einfacher, die Mauern nur gleichzeitig aufrecht zu halten, nachdem sie sie einmal errichtet hatte.
Sie konnte die geistige Präsenz der anderen beiden neben sich spüren, eingeschlossen mit ihr in den inneren Kreis, und obwohl sie ihre Gedanken nicht lesen konnte, wurde ihr viel von ihren Stimmungen übermittelt.
Kelima war deutlich ruhiger geworden, und im Gegenzug begann Arrams Gelassenheit zu bröckeln. Sie konnte gespannte Erwartung fühlen, und eine gewisse Eifrigkeit.
Ihr Geist wandte sich von den beiden ab, immer noch direkt mit ihnen verbunden, und sie richtete ihre Aufmerksamkeit nach oben, nach außen. Physische Hindernisse nahm sie nicht mehr wahr, und sie streckte die Fühler ihrer Gedanken immer weiter aus, auf der Suche nach etwas, das sie noch nicht kannte.
Bei normalen Beschwörungen wusste sie, wonach sie suchte. Sie kannte die Form, und musste nur genau genug suchen. Ihren Geist stark genug fokussieren, um das gewünschte Wesen zu finden und herbeizurufen. Herbeizuzwingen. Aber hier lag der Fall etwas anders.
Sie hatte keine konkrete Vorstellung von ihrem zukünftigen Vertrauten. Sie wusste nicht, wie er aussah, wusste nicht, auf welchen Namen er hörte, und musste sich fast blind durch die Schwärze tasten. Teil dieses Experiments war es, dass die Vorstellung der anderen beiden mit in den Vertrauten einflossen, und sie deswegen viel von den Vorarbeiten, die ein Magier normalerweise lange vor der Beschwörung seines Vertrauten machte, auslassen musste.
Arram und Kelima hatten begonnen, sie mit ihrer Kraft zu versorgen, sie zu unterstützen. Sie suchten gemeinsam, stocherten und spürten dem Wesen nach, und plötzlich konnte Savena eine andere, fremde Präsenz in ihrer Nähe fühlen. Wie ein leichter Lichtschein, dessen Quelle nicht gleich erkennbar ist, schien es ihr fast so, als könne sie plötzlich Konturen um sich herum erkennen.
Aus dem Schwarz wurde dunkles Grau. Sie berührte den Neuankömmling vorsichtig und ihr Vertrauter nahm den Kontakt an.
Mit freudiger Erregung fing sie an, ihre Kraft dem Wesen zuzuleiten, und auch Arram und Kelima begannen, es mit magischer Energie zu füttern. Genauso, wie Savena ihre Magie in einen menschlichen Körper strömen ließ, wenn sie ihre Heilkräfte anwandte, leiteten die drei jetzt einen Teil ihrer Selbst, ihrer Seele, in den Geist.
Sie alle konnten spüren, wie er Gestalt annahm, deutlicher wurde, und im selben Maße wurde tatsächlich Licht sichtbar. Der Vertraute war die Quelle dieses Lichtes, und obwohl Savena auf dieser Ebene nicht wirklich mit ihren Augen sehen konnte, bekam sie ein Gefühl von ansteigender Helligkeit. Als würde sie an einem Sommermorgen mit geschlossenen Augen die aufgehende Sonne über Avuto begrüßen, vielleicht sogar den Sommer Willkommen heißen.

Sie begann, dem Wesen Form zu geben, so wie sie es gelernt hatte. Den Geist zu gestalten, ihn nach ihren Wünschen zu modellieren. Sie wusste, dass ein Großteil der Kreatur vom Unterbewussten beeinflusst wurde, und dass deshalb viele Vertraute eine Art anderes Ich ihres Beschwörers darstellten. Trotzdem gab es viele Faktoren, die sie beeinflussen konnte.
Aber das Wesen schien sich ihren Versuchen, es zu berühren, zu entziehen. Es entglitt immer wieder ihrer Kontrolle, und sie hatte Mühe, sich darauf zu konzentrieren. Der Vertraute schien sich einer festen Form, einer klaren Definition zu widersetzen. Fast so, als wäre da zuviel, um es zu beschränken.
Panik erfasste sie.
Vielleicht war die Kraft, die sie für die Beschwörung freigesetzt hatten, zuviel gewesen. Vielleicht hatten sie ein Wesen beschworen, das zu mächtig wurde, um sich damit zu begnügen, einfacher Vertrauter und zweites Ich eines menschlichen Beschwörers zu sein.
Sie versuchte, den Kontakt abzubrechen, drängte die anderen beiden ebenfalls, sich zu entfernen. Möglicherweise war es noch nicht zu spät.
Kelima erschien sofort an ihrer Seite, aber sie konnte spüren, dass Arram Unwillen zeigte, die Beschwörung zu beenden. Fasziniert blieb er bei dem Wesen, das zunehmend stärker wurde und nun begonnen hatte, sich Kraft und Energie von seinen drei Beschwörern zu holen. Es war offenbar nicht mehr zufrieden, auf diese Macht zu warten.
Savena konnte spüren, wie ein Gefühl von Schwäche sich in ihr ausbreitete, und fragte sich, ob es möglich war, dass ein Magier komplett von seinem Vertrauten verzehrt wurde.
Unvergleichlich mächtig, hatte ihre Großmutter gesagt. Taffy hatte offenbar nicht untertrieben, dachte Savena. Mit einem Ruck versuchte sie ein weiteres Mal, den Kontakt zu beenden, und diesmal schaffte sie es.
Sie befand sich plötzlich wieder in der Halle der Beschwörungen, und neben ihr regten sich die anderen beiden. Das Licht der Kreise war erloschen, und die Halle wieder in ölige Dunkelheit getaucht.
‚Wie ist das passiert?‘ fragte Kelima nach einem Moment heiser.       
‚Ich weiß nicht genau. Es ist zu stark geworden, und mir entglitten. Ich glaube, wir haben Glück gehabt, dass wir es beenden konnten‘, sagte Savena.
‚Ich hätte gerne gesehen, wie es fertig ausgesehen hätte. Es war unglaublich‘, sagte Arram mit leichtem Bedauern. Nach einem Moment nickte Savena.

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Kommentare zu diesem Text

Schreibfinger (47)
(08.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 08.05.09:
Iss auch groß ... :)

'Ölige Dunkelheit' - hast Du schon mal eine Oberfläche von Öl gesehen, im Dunkeln? Z.B. einen Öltank? Pechschwarz, schluckt alles Licht, bis auf auf ein paar ganz wenige Reflektionen ...
Das Zeug sieht fast aus, als sei es lebendig.

Ich glaube, das ist das Bild, was ich im Kopf hatte ... :)

Danke Dir.
Angelika Dirksen (62)
(08.05.09)
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 Mutter antwortete darauf am 08.05.09:
:)
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