Cul de sac

Erzählung zum Thema Verlangen

von  Mutter

Ohne Schwierigkeiten finde ich eine kleine Pension, in der ich bleiben kann. Das Ehepaar Armstrong zeigt mir mein Zimmer und versichert sich, dass ich ein ruhiger Mieter sei. Nicht wie die französischen Studentinnen, die letzte Woche bei ihnen gewesen seien.
Mit einem Lächeln unterdrücke ich den Wunsch, zu fragen, ob sie eine Ahnung haben, wo diese Damen jetzt abgestiegen sind. Ich nehme nicht an, dass es sich um die Art Humor handelt, die die beiden zu schätzen wüssten.
Ich brauche nicht lange, um mich häuslich einzurichten – Kulturbeutel ins Bad, Koffer aufgeklappt, Jacke ausgezogen und in die Ecke gefeuert.
Das Haus liegt nicht weit von der Shankill-Road entfernt, an die ich jede Menge angenehme Erinnerungen habe. Von hier aus hatte eine Zelle operiert, der ich eine Weile angehört hatte. Wir hatten eine ganze Menge illegales Zeug aus der Republik nach oben in den Norden verbracht. Hier in der Gegend hatten wir drei Wohnungen übernommen, die Zwischenwände, darunter eine Brandmauer, rausgehauen und ein riesiges Loft erzeugt. Jede Menge Partys, Drogen, geteilte Frauen – those were the days.
Ein bisschen wehmütig muss ich grinsen, als ich nach draußen auf die Straße sehe und versuche, zu erkennen, wo unsere Wohnungen gelegen haben. Wahrscheinlich gibt es die nicht mehr – Abrissbirnen, Semtex oder große Mengen Dünger hatten sich darum gekümmert.
Mit einem Seufzer ziehe ich die mürben Vorhänge zu. Frage mich, welche Farbe die früher einmal gehabt haben mochten. Mauve vielleicht – das würde zu dem Ehepaar passen.
Elegant schmeiße ich mich auf das Bett – die Schuhe bleiben an. Misses Armstrong von unten würde mich an den Ohren vor die Tür schleifen, wenn sie mich sehen könnte.
In Gedanken gehe ich alles durch, was ich an Informationen habe.
Goth-Girl und die beiden Kurden. Dougherty, die falsche Spur, die Welshie für mich nach Hamburg gelegt hat. Im Auftrag von jemandem hier oben. Die Kohle, die der Waliser bekommen hat.
Mir wird schwindelig.
Das alles ergibt überhaupt keinen Sinn. Für einen Moment denke ich darüber nach, mir die Wand im Zimmer mit Zetteln voll zu stecken. Wie in Crime-Serien. CSI Corker.
Zwischen denen ich dann mit fettem Edding Verbindungslinien ziehe, Fragezeichen auf die Tapete schmiere.
Ich hätte eine Menge Fragezeichen auf dem grauen Rautenmuster zu verteilen.
Die Wahrheit ist: Alleine komme ich nicht weiter. Drehe mich Kreis.
Ich brauche Hilfe.

Kurz entschlossen fische ich meine Brieftasche aus der Hosentasche, durchwühle die vielen kleinen Kärtchen, die sich dort angesammelt haben. Mein Anwalt, mein Mechaniker, mein Dealer.
Molly.
Als ich den Hörer in die Hand nehme, wählen will, halte ich noch mal inne. Kämpfe meinen beschissenen Stolz nieder, der mich davon abhalten will, diesen Anruf zu machen. Schafft er nicht.
Mit verkrampftem Kiefer wähle ich ihre Nummer, bekomme das Freizeichen. Warte.
‚Hallo, hier ist Anne. Mit wem spreche ich?’
Erst im zweiten Ansatz bringe ich was raus. Mehr als ein Krächzen, Räuspern.
‚Hi. Mein Name ist Corker. Ist Molly da?’
‚Molly?’, wiederholt sie. 
Eine kurze Pause am anderen Ende.
Mir fällt auf, dass ich immer noch keine Ahnung habe, wie Molly wirklich heißt. Anne ist es jedenfalls nicht - falsche Stimme. Möglicherweise ist sie Annes Mitbewohnerin - und nennt sich Eleonora. Oder Winona. Oder Gertrude.
Scheiße.
Zögernd antwortet Anne: ‚Sie ist gerade nicht da. Kann ich ihr was ausrichten?’
Ein hartes: ‚Nein.’
Ich mildere das Ganze ab, indem ich hinzufüge: ‚Können Sie ihr sagen, dass Corker angerufen hat? Ich melde mich noch mal. Und bitte fragen Sie sie, wie ich sie erreiche, in Ordnung?’
‚Sicher.’
Ich verabschiede mich, sie antwortet höflich. Wie eine dämliche Empfangsdame oder Sekretärin. Haben Auftragskiller Empfangsdamen?
Frustriert lasse ich mich zurück auf das Kissen fallen und starre an die Decke. Nach einem Moment rolle ich mich zur Seite, greife in den Nachttisch. Hole die fette Desert Eagle raus, die mir ein Bote von Drummond gestern Abend vorbeigebracht hat. Spiele ein bisschen damit herum - Boy-Toy. Lasse den Schlitten zurück gleiten, einrasten, zurückgleiten - als könnte ich jeden Moment jemanden umlegen. Endlich.

Die nächsten zwei Tage versuche ich weitere Male, sie zu erreichen. Komme mir vor wie ein liebeskranker Teenager, der seine Verabredung zum Abschlussball nicht an die Strippe bekommt. Anne wimmelt mich jedes Mal mit freundlicher Stimme ab: ‚Es tut mir Leid, sie hat mir keine Nachricht für Sie hinterlassen.’
Und jedes Mal unterdrücke ich den Wunsch, ihr ein paar saftige Flüche durch das Telefon zu schieben. Die ihre vermutlich fein geschminkten Lippen zu einem überraschten ‚Oh’ formen.
Aber diesmal fallen die erlösenden Worte: ‚Einen Augenblick bitte, ich gehe sie holen.’
Während ich warte, kann ich mein Herz schlagen fühlen. Abschlussball.
Sie soll mir Informationen liefern. Mir auf die Sprünge helfen - bis ich alleine klar komme. Mehr nicht.
‚Hey Corker. Alles klar?’
Der Klang geht mir durch und durch. Wollte ich nicht nur mit ihrer Stimme in einem Auto durch Berlin fahren? Ohne die anstrengende Braut dazu?
Nein, das war ihr Lachen, was ich mitnehmen wollte. Die Brüste? Ich weiß es nicht mehr.
‚Hi Moll. Was macht die Kunst?’
Sie lacht. Oh, Baby, lass uns fahren, der Sonne entgegen.
Von ihr kommt weiter nichts – ich muss was sagen. ‚Ich habe den Flieger genommen, bin hier oben.’
‚Ich weiß. Deine Nummer ist auf dem Display zu sehen.’
‚Scheiße, Molly, ich komme nicht weiter. Diese beschissene Stadt ist eine einzige Sackgasse.’ Cul de sac.
Keine Antwort.
‚Können wir uns sehen?’
Sie will, dass ich auf die Knie gehe. Runter in den Dreck. In Ordnung.
‚Molly, ich brauche Hilfe. Kannst du mir helfen?’
‚Kann ich. Wann und wo?’
Ist mir Latte, Honey. Hauptsache schnell. ‚Keine Ahnung. Schlag was vor.’
Sie gibt mir die Adresse von einem kleinen Café in der Nähe der Stadtmitte. Zwei Stunden später. Das ist schnell genug - gerade so.

Als ich den Hörer mit sanftem Klick zurück lege, wandert mein Blick erneut an die Decke. An den Punkt, den ich in den letzten achtundvierzig Stunden immer wieder eindringlich studiert hatte.
Würde mir Molly mir helfen können?
Brauche ich sie?
Will ich sie wiedersehen?
Bilder von unserem Fick im Hotel schießen mir durch den Kopf, zeigen mir ihren Körper. Grinse breit. Hätte sie fragen sollen, ob wir uns gleich hier treffen.
Ihre Klamotten hätte sie unten bei der ollen Armstrong am Eingang lassen können.


Anmerkung von Mutter:

*edit: Noch ein paar Anna-Stellen ausgebügelt ... :)

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Kommentare zu diesem Text

AnnaKarenina (31)
(23.06.09)
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 Mutter meinte dazu am 23.06.09:
Heh, der Corker hat IMMER zwei Paar Schuhe übereinander an ... :D
Ahem ...
Ja, also, hast Recht. Natürlich. Gehe ich noch mal durch, danke schön.

Ich nicht - der Corker hat geübt. :)
Danke.

 RainerMScholz (09.12.09)
Ich weiß schon, dass das Ding so heißt: Kulturbeutel. Aber Kulturbeutel? Vielleicht imt abwertendem Zusatz: dreckiger oder ausgelatschter oder prall gefüllter (hihi)...usw.
Grüße,
R.

 Mutter antwortete darauf am 10.12.09:
Hach, ich weiß leider genau, was Du meinst. Wie oft ich um den blöden Begriff schon rumgeschlichen bin - selten dämliches Wort! :-/

Gestern dachte ich, ich versuch's mal mit Waschbeutel ...

Danke.
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