Dauert nicht lange und ich finde einen Brunnen. Ich wasche mir das Gesicht, immer und immer wieder. Dann noch einmal.
Tränke mein Taschentuch, setze mich auf eine Bank. Drücke mir den Stoff ins Gesicht - stöhne dabei. Passanten müssen mich für einen hoffnungslos überforderten Alki halten.
Mein Gesicht fühlt sich an wie ein Pfund rohes Fleisch. Verhindert damit immerhin, dass ich das dumpfe Pochen in meinem Jochbein spüre.
Schätze, ich sollte mir eine Brille für meine Augen besorgen. Momentan sehe ich aus wie der Welt größte Leonardo di Caprio-Fan, der ‚Titanic’ zweihundertsiebenundvierzig Mal gesehen hat. Ohne Pause.
Nach einer Weile nimmt der Schmerz in meinem Gesicht auf ein erträgliches Maß ab. Als er nur noch an meinen Schläfen frisst wie kleine Putzerfische an einem verendeten Thun, mache ich mich auf den Weg. Finde einen kleinen Shop, der draußen auf einem Ständer jede Menge trashiger Sonnenbrillen anbietet. Kaufe eine Piloten-Brille, Porno pur. Die bedeckt große Teile meines misshandelten Gesichtes.
Zwei Stunden später stehe ich in der Cavanagh-Road und betrachte die beiden Doppelhaus-Hälften, die Izzy sein Eigen nennt.
Ich habe mich umgehört. Höfliche Fragen gestellt, ein paar Mal böse hinter der Brille hervor geguckt und ab und zu was springen lassen.
Izzy scheint für ein paar Jungs zu arbeiten, die sich aus ehemaligen Mitgliedern der UDF, UVF und den Provisionals zusammen setzen. Scheiße, dass Loyalisten und Republikaner mal an einem Strang ziehen würden, um die Leute gemeinsam zu ficken hätte sich auch niemand träumen lassen.
Ich nehme an, das ist auch eine Art von Frieden – wenn Terroristen und das organisierte Verbrechen ihre Grenzen überwinden und nicht mehr vor politischen und religiösen Barrieren stehen.
Izzy ist ein Lieutenant, lokaler Organisator. Er hält die Jungs aus dem Park am Zügel, treibt große Teile des Cash-Flows ein und hält Ordnung. Sorgt dafür, dass niemand die Ruhe stört.
Mit gebleckten Zähnen gehe ich rüber zu der weinrot gestrichenen Tür. Bereit, genau diese Ruhe zu stören.
Eine Frau Ende Dreißig macht mir die Tür auf und sieht mich fragend an. Vinny aus Detroit, ein Kumpel aus schlechteren Tagen, hatte mal festgestellt, dass in Irland und England alle Frauen unter 25 aussehen wie Models. Und alle Frauen über Dreißig aussehen wie Hexen. Kann mich noch daran erinnern, dass ich auch so ein Model hier hatte. Eine Zukunft.
Ich nehme an, die Haushälterin, die mir da die Tür aufmacht, ist jenseits der Dreißig.
‚Ja, bitte?’ will sie wissen und starrt in meine Sonnenbrille.
‚Ich will zu Mister Lomax. Dale Drummond schickt mich – ich habe einen Termin.’
Sie nickt zögernd und öffnet die Tür einen Spalt weiter. Noch nicht weit genug.
‚Wen darf ich melden?’
Kurz denke ich darüber nach, ob ich ihr einen Blick auf meine Augen gewähren soll – möglicherweise ist sie ebenfalls di Caprio-Fan.
‚Sagen Sie ihm: Ein alter Freund ist hier, um den Spiderking zu sehen.’ Ich nicke herablassend. Mehr bekommt sie nicht.
Sieht sie offenbar genauso – sie hält mir die Tür auf und bittet mich herein.
Zeigt auf eine angelehnte Tür zur Rechten und schickt mich mit den Worten: ‚Das ist das Wohnzimmer. Bitte nehmen Sie einen Moment Platz!’ dort hinein.
Ich setze mich auf ein niedriges Sofa und betrachte den dunklen Raum mit dem kleinen Ausblick nach draußen. Jedes irische Wohnzimmer liegt nach vorne zur Straße, die Fenster düster eingerahmt von schweren Vorhängen.
Meistens muss man nach zehn Uhr morgens bereits den Lichtschalter betätigen. Möglicherweise sind es alleine diese düsteren Wohnzimmer, die für die berühmte Melancholie der irischen Seele verantwortlich sind. Würde mich nicht überraschen.
Ich könnte auch in dem Wohnzimmer sitzen, in dem mein alter Herr mir früher aus der Sunday Times vorgelesen hat. Könnte in einem anderen Sitting Room auf mein erstes Date warten, unter den düsteren Augen meines zukünftigen Schwiegervaters.
Leiden konnte ich sie noch nie, diese Katakomben. Jedes Wohnzimmer wie eine Gruft.
Ich bin nicht lange meinen eigenen Gedanken überlassen – die Tür öffnet sich und der kleine Izzy betritt das Zimmer.
Mustert mich, versucht, mich in eine seiner vielen Schubladen zu sortieren. Gelingt ihm nicht, ich war zu lange weg.
Lässig erhebe ich mich vom Sofa, um ihm kurz die Hand zu geben. Sie fühlt sich warm und trocken an. Noch hat er keine Angst. Den Schmerz im Knie beiße ich weg - den kann ich gerade nicht gebrauchen.
Er zieht sich einen der beiden großen Sessel, die man ebenfalls in jedem irischen Wohnzimmer findet, heran und betrachtet mich. Die Hände gespannt gefaltet, aufmerksam. Er geht davon aus, ich sei ein Bittsteller.
‚Drummond schickt dich? Worum geht’s?’
Ich schüttele den Kopf, sehe nach draußen, in den beschissenen kleinen Vorgarten und auf die niedrigen grauen Mauern.
Das irritiert ihn. ‚Marcy sagte …’
Ich unterbreche ihn barsch. ‚Bei Drummond war ich tatsächlich. Der Teil stimmt.’
Plötzlich ist er nicht mehr so entspannt. Noch mal schüttele ich sanft den Kopf. ‚Allerdings hat er mir nichts von dir erzählt, Izzy. Das waren deine Jungs, draußen im Park.’
Er sitzt eine Spur aufrechter, die Nasenflügel bewegen sich.
‚Wer bist du?’ Seine Stimme flattert.
‚Früher haben sie mich Corker genannt.’
Jetzt ist die Angst da. Ich kann riechen, wie seine Schweißporen in den Overdrive gehen. Ich sollte Marcy rufen, ihr sagen, sie soll frische Wäsche bereit legen.
Langsam nickt er. Als würde er mich wiedererkennen. Und als würde er anerkennen, in welcher Position er sich befindet.
Was jetzt, Bigshot? Was passiert, wenn ich dir in deinem eigenen Wohnzimmer den dürren Hals umdrehe? Wie wäre das? Würde das meinem Standing in dieser beschissenen Stadt auf die Beine helfen?
Mir wird klar, was der Grund dafür ist, dass ich auf diesem Sofa sitze. Warum ich die Jungs im Park provoziert habe.
Ich hätte mir genauso gut eine kleine Pension mieten und warten können, bis Dale sich meldet. Bis er mir die Kanone liefert und mir mitteilt, was er herausgefunden hat.
Aber das reicht mir nicht. Ist mir zu passiv. Ich will mich bewegen - geschmeidig, die Muskeln spielen lassen. Echte und eingebildete. Will hier ankommen, zurück sein.
The Coming of Corker.
Das, was ich gerade in Izzys Gesicht gesehen habe, will ich in ganz Belfast sehen. Der Respekt, den sie mir früher entgegen gebracht hatten, der fehlt mir. Den will ich zurück. Deswegen stochere ich wie wild in Bienenkörben.
Das ist selten dämlich. Belfast ist nicht wichtig, Irland ist nicht wichtig. Ich verschwinde hier demnächst wieder und die Ringe, die meine Anwesenheit auf dem Wasser haben entstehen lassen, werden verschwinden. Sich zurück in spiegelglatte Oberfläche verwandeln.
Aber nicht heute. Nicht bei Izzy.
‚Corker. Ich erinnere mich. Ist verdammt lange her, dass du in Norn Iron warst, richtig? Es heißt, du bist in Deutschland.’
Ein Achselzucken. ‚Deutschland, Schottland, Frankreich. Ich war sogar mal eine Weile in New York.’
Ich sehe ihn mit festem Blick an. ‚Es heißt falsch. Jetzt bin ich hier.’
Izzy versucht, die Kontrolle zurückzugewinnen. Lehnt sich zurück, als wäre das hier ein freundschaftliches Wiedersehen.
Warum bietet er mir dann nichts zu trinken an?
Dale ist der richtige Kontakt, um feine Fühler auszustrecken, um mir Zeug zu besorgen. Was ich zusätzlich brauche ist ein Stamm, gegen den ich ordentlich treten kann. Um das Ganze zu beschleunigen. Sehen, was da von oben runter kommt. Auch wenn Izzy nicht wie ein gestandener Baum aussieht, eher wie ein mickriger Strauch - er reicht aus. Er gibt den Tritt weiter, den ich ihm gebe. Ganz sicher.
‚Ich bin angepisst, Izzy. So angepisst, dass ich geradewegs in einen Flieger gestiegen bin, um hierher zu kommen. Um ein paar Backpfeifen zu verteilen. Wenn du weißt, was ich meine.’
Weiß er. Izzy kennt meine Art, Backpfeifen zu verteilen noch von früher. Er nickt. Und überlegt, wie er aus seinem eigenen beschissenen Wohnzimmer wieder rauskommt. Denkt er darüber nach, ob Marcy ihm helfen kann?
‚Was willst du von mir, Corker?’
‚Keine Ahnung, Izzy. Was kannst du mir anbieten?’
‚Anbieten wofür?’
Ich schnaube. Eine Mischung aus Lachen und bloßer Verachtung. ‚Scheiße, Izzy. Stell dich nicht dämlicher als du bist. Was will ich hier?’
Er sieht mich an. Tickticktick. Fällt ihm zu mir was ein?
Komm schon, Izzy Bizzy – gib mir irgendwas.
Er hat nichts, weiß nichts. Sonst würde er mir jetzt was anbieten. Er bettelt – hat Angst davor, was ich in diesem düsteren irischen Wohnzimmer mit ihm machen könnte.
‚Entspann dich. Izzy. Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Guck mal, ich hab hier was für dich.’
Mit einem aufmunternden Lächeln reiche ich ihm den gleichen Zettel rüber, auf den bereits Drummond einen Blick geworfen hat. ‚Kommen die dir bekannt vor?’
Er überlegt einen Moment und schüttelt dann den Kopf. Gibt mir das Papier. ‚Kenne ich nicht. Das sind die Jungs wegen denen du hier bist?’
Ich nicke. Beobachte ihn weiter aufmerksam.
‚Sorry, Corker.’
Diese Worte höre ich nicht gerne. Nicht von Bräuten, die ich versuche, flach zu legen und nicht von Kerlen in billigen Anzügen. Und nicht von Izzy Bizzy. So geschmeidig, wie es mein pochendes Knie erlaubt, schieße ich aus dem Sessel, stehe vor ihm. Die Show wirkt – Izzy schluckt.
Ich wünschte, die Nummer würde bei Bräuten genauso ziehen – meistens muss ich andere Methoden anwenden.
Ich setze die Sonnenbrille ab, blicke grimmig auf ihn runter.
‚Scheiße, wie siehst du denn aus?’ entfährt es ihm.
‚Das waren deine Jungs. Keine Sorge, ich habe ein paar von ihnen am Leben gelassen. Aber diese Reizgas-Kacke – das ist doch Kindergarten.’
Er ist clever genug, das Maul zu halten.
‚Hör zu, Izzy: Wenn ich das nächste Mal an deiner Tür klingele, und einen kleinen Schwatz mit Marcy halte, dann bist du besser außer Landes. Es sei denn, du hast was für mich. Ist das klar?’
Er nickt. Ist noch schwer mit Schlucken beschäftigt.
Ich räuspere mich, sehe ihn einen Moment an. ‚Mir ist klar, dass du jetzt zu deinem Boss rennen musst. Kein Problem. Sag’ ihm das Gleiche, was ich dir gesagt habe. Ich bin angepisst, okay?’
Noch ein Nicken. Dann lasse ich ihn in seinem wunderschönen Wohnzimmer zurück, vielleicht mit feuchter Hose und feuchtem Sessel. Gehe raus in den Flur. Marcy streckt den Kopf aus der kleinen Küche und sieht mich an.
Höflich grüßend, ziehe ich die Haustür hinter mir zu. Marcy wird sich um den kleinen Izzy kümmern.
Draußen scheint die Sonne. Eine Horde Kinder, die Hälfte von ihnen auf Fahrrädern, tobt vorbei.
Ich mache mich humpelnd auf den Weg, um mir eine Pension zu suchen, in der ich auf die Bienen warten kann. Meister Petz auf der Suche nach Honig.