Honeycomb

Erzählung zum Thema Gier

von  Mutter

Molly nimmt einen vorsichtigen Schluck von ihrem Latte Macchiato. Zu meiner Zeit hier oben hätte man in einem Café wie diesem dünnen Maschinenkaffee bekommen. Wenn überhaupt.
‚Wer ist die Kleine?’ will ich wissen, als ich mich auf den Stuhl ihr gegenüber gleiten lasse. Falls sie meine fehlende Begrüßung irritiert, lässt sie sich nichts anmerken.
‚Welche Kleine?’ Sie schindet Zeit, will mich zappeln lassen.
Macht mir zur Abwechslung nichts – ich bin froh, dass es weitergeht. Ich mich bewegen kann. Da gönne ich ihr die kleinen Spielchen.
‚Am Telefon – dein kleines Mäusemädchen. Deine Sekretärin?’ Der Gedanke an einen Killer mit Sekretärin amüsiert mich.
‚Anne?’
Unnötigerweise nicke ich.
‚Anne ist nicht meine Sekretärin. Sie ist meine Geliebte.’
Mir kommt es vor, als hätte jemand schlagartig alle Luft aus dem Raum entfernt. Kann nicht atmen, kann nicht denken. Es kommen keine Worte. Vakuum.
Ihr Lächeln, das sie hinter ihrer Tasse unzureichend verbirgt, sagt: Oh Corker …
Ich bin voll aufgelaufen.
Mein erster Gedanke gilt unserem Fick in Berlin. Aber ich bekomme die Kurve gerade noch, bin clever genug, das nicht auch noch rauszustammeln. Mich noch mehr zum Affen zu machen.
Muss ich nicht. Natürlich weiß sie, woran ich denke.
‚Ach komm, Corker. Bist du wirklich derart naiv? So verklemmt? Ich hätte dich nicht für einen beschissenen Spießer gehalten. Wie ist das: Frauen dürfen nur mit Frauen, oder gar nicht? Oder ausschließlich im Porno? Und wenn, dann bitte nicht auch noch mit Männern?’
Schüttelt den Kopf. ‚Du enttäuscht mich, luv.’
Sie fällt in den vulgären Akzent der Innenstadt Dublins, verspottet mich.
Gibt immer noch keine Luft in dem Raum. Würde ich eine Krawatte tragen, müsste ich mir verzweifelt daran reißen, um meine eingeschnürte Kehle zu befreien.
Mir wird klar – ich habe einen Riesen-Fehler gemacht. Mir geht es nicht um Informationen. Ich will Molly. Und dieses Begehren will aus mir raus, droht mich zu zerfetzen. Wie hat sie das gemacht?
Ich hätte vor diesem Treffen unten am Industriehafen noch schnell eine Koksnutte aufgabeln oder mir in der Pension einen runterholen sollen. Stattdessen sitze ich hier, geladen und entsichert. Gedanken an die nackte Molly und die nackte Anne ziehen wie Feuerwerkskörper hinter meiner Stirn entlang. Meine Leiste schmerzt.
Ich ertrage ihren Blick nicht länger, muss gewaltsam den Wunsch unterdrücken, schreiend aufzuspringen. Wegzulaufen.
Oder gleich hier, in diesem beschissenen Café über sie herzufallen. Sie auf ausgeblichener Spitze besinnungslos zu vögeln.
Wütend verdränge ich alle Gedanken an sie, nackt, aus meinem Hirn. Die Bilder von Brustwarzen, flachem Bauch und ihrem Hintern.
Bekomme mich unter Kontrolle. Wie jemand, dem bei hundertachtzig zwei Reifen platzen - mitten auf einer Schotterstraße.
Gebe die Gewalt über mein Vehikel nicht ab, zwinge mich zurück in die Spur. Kann nach einem Moment einen Schluck von meinem zu heißen Kaffee nehmen - mit einem Lächeln.
Ich lecke mir den Milchschaum von der Oberlippe und schiebe mich im Korbsessel hin und her. Entlaste meine Körpermitte.
Lächle zurück. Eigentlich will ich ihr das Grinsen aus dem Gesicht schütteln. Aus dem Gesicht ficken.
‚Okay, deine Geliebte. Nicht unbedingt weniger überraschend als eine Sekretärin.’
Sie legt den Kopf schief, quittiert die Bemerkung anerkennend, zollt mir Respekt. Chicago-Wende, Corker.
‚Was hast du gemacht, seit du hier bist?’ wechselt sie entspannt das Thema.
Dankbar, nicht mehr am Haken zu zappeln, antworte ich: ‚Ich habe gegen Bienenkörbe getreten.’
Ihre Augenbrauen wandern belustigt nach oben. ‚Auf der Suche nach Honig?’
‚Dem Besten.’
‚Hast du eine Waffe?’
Ich nicke. In einem billigen Film würde ich die Wumme jetzt aus dem Hosenbund ziehen und auf den Tisch legen. Ihre Augen weit aufgerissen, würde ihr Mund ein erstauntes ‚Ooh’ machen, wie bei gutem Sex. Ähnlich wie Anne am Telefon.
Sie würde ihre Hand auf die Knarre legen, und nach einem Moment würde ich das Ding mit süffisantem Grinsen wegstecken.
Leider bin ich zu erwachsen für B-Movies. Und meinen Schwanz kann ich ihr schlecht zeigen.
Zufrieden nickt sie. ‚Gib mir, was du hast und ich schaue, was ich für dich tun kann.’
Fügt dann mit einem Grinsen hinzu: ‚Ich setze Anne darauf an – die steht darauf, nachzubohren.’
Ich habe keine Ahnung, ob ich verhindern kann, Rot zu werden. Schiebe ihr den Zettel rüber, den schon Izzy und Dale in den Fingern hatten.
Mit einem letzten Schluck beendet sie ihren Kaffee und steht auf. Nickt mir zu und geht, ohne zu bezahlen. Kein Ding – das Date geht auf mich.
Ich mache mich auf den Weg zurück zur Pension. Um mir Erleichterung zu verschaffen. Ich hoffe, ich muss dabei nicht an Misses Armstrong denken.

Am nächsten Tag klopft eine streng guckende Wirtin an meine Tür. ‚Unten ist eine junge Dame, die sie sehen will.’
Ich nicke und schnappe mir meine Jacke. Dass die kleine Anne mich hier oben besuchen, länger bleiben will, kann ich mir aus den Haaren schmieren, schätze ich.
Anne ist Anfang Zwanzig, großgewachsen, schlank und hat die brünetten, glatten Haare in einen strengen Zopf nach hinten gezogen. Sie sieht trotz Jeans und ausgewaschenem Sweater nach Klischee-Lesbe aus.
Sie begrüßt mich mit einem Nicken, als ich die Treppe herunterkomme und tritt vor mir aus dem Haus.
Ich betrachte für einen Augenblick ihr Profil, während sie rüber nach Westen sieht, wo die Sonne gerade theatralisch über den Häuserdächern untergeht.
‚Du bist Anne?’ frage ich, als sie weiter schweigt.
Sie wirft mir einen kurzen Seitenblick zu. Und ein Lächeln, das die gleiche Qualität wie das von Molly besitzt. Verachtung, Spott, gemischt mit einer winzigen Spur Zuneigung. In einer homöopathischen Dosis. Ich seufze.
‚Was hast du für mich?’ will ich wissen.
Sie hebt kurz einen grauen Umschlag und deutet dann die Straße runter. ‚Können wir einen Moment gehen?’
Klar. Warum nicht.
Seite an Seite laufen wir die ruhige Straße runter, an der Front der Zweifamilienhäuser entlang. Bis auf einen vereinzelten Off-Licence und ein Eckladen für Zigaretten, Zeitungen und Skittles gibt es hier nichts, was die Wohnmonotonie aufbricht.
‚Dort drüben gibt es einen kleinen Park’, biete ich am Ende der Straße an. Sie nickt.
Erst als wir einen kleinen Pfad in den Park hineingehen und ich uns zu einer Bank lotse, sagt sie: ‚Fette, triefende Honigwaben – hast du Hunger?’ Im Hinsetzen reicht sie mir den Umschlag.
Ich öffne ihn nicht sofort. Betrachte die Kleine stattdessen noch einen Augenblick. Sie blickt in den Park, auf die von der Sonne bestrahlten Baumkronen. Es macht mich kirre, dass ich sie nicht einordnen kann. ‚Du arbeitest mit Molly zusammen?’ frage ich.
Meine Betrachtung grazilen Halses endet abrupt, als sie sich mir zuwendet.
‚Ich denke, Molly hat dir alles gesagt?’ fragt sie mit einem Lächeln.
Jetzt sehe ich in die Ferne, lasse den Blick über rotgoldene Blätter wandern. Zucke mit den Schultern. ‚Was weiß ich?’
Sie nickt. Denkt: Was zum Teufel geht es dich an, Corker.
Ich wende mich dem Umschlag zu, löse den Verschluss, um an den Inhalt zu kommen.

Drinnen sind drei Schwarz-Weiß-Fotografien und ein beducktes Blatt Papier. Noch während ich mir Gesichter der drei Männer, die dort abgelichtet sind, betrachte, lehnt sie sich zu mir rüber. Berührt mich, schiebt mir eine Wolke ihres Duftes rüber. Ich kenne den, kann ihn nicht einordnen.
Ihr Finger berührt sanft den Ältesten der drei auf der Stirn. ‚Der hier kommt aus der Szene von Derry. An dem sind wir noch dran. Die anderen beiden sind associates von ihm. Der hier hat das Geld an deinen Kumpel Welsh überwiesen.’
Sie zeigt auf einen Mann mit eingefallen Wangen und dunklem Bartschatten. ‚Das ist Donnie Bento. Der sitzt hier in Belfast. Der letzte ist Jodie Thompson.’
Nachdenklich betrachte ich den Blonden, den jüngsten des Trios.
Anne fährt fort: ‚Er hat mit den Gunrunnern zu tun, die vor allem über Schottland operieren. Wir wissen, dass es ein Bekannter von Bento ist. Wie die drei jeweils zueinander stehen, ist noch unklar.’
Ich nicke, hänge meinen Gedanken nach. Vielleicht könnte ich mit den Bildern tatsächlich eine Wand in meinem Zimmer bestücken. Noch während ich die drei weiter anstarre, sie zu einer Aussage zwingen will, fühle ich, wie sich Anne an meinem Arm bewegt.
Sie hat den Körperkontakt noch nicht abgebrochen.
Langsam hebe ich den Blick, kreuze ihn mit ihrem. Betrachte die langen, dunklen Wimpern.
Nach einem Moment löst sie ihre Augen und greift mit einem schmallippigen Lächeln nach dem Blatt Papier.
‚Corker, mit Männern bin ich durch. Richtig durch, verstehst du? Falls ich in einem späteren Leben noch mal das Bedürfnis nach einem Schwanz verspüre – du wärst der erste, dem ich Bescheid sage, in Ordnung?’
Ich grinse. Mehr kann ein Mann nicht verlangen. Nicke, konzentriere mich ebenfalls auf die Unterlagen.
‚Was ist das?’ will ich wissen. Sie hat das Blatt in der Hand.
‚Die Überweisungen. Von einem Konto, das auf Bentos Namen läuft.’
‚Okay. Ich werde mal sehen, ob ich diesen Donnie auftreiben kann. Würde gerne jemandem in den Arsch treten.’
‚Sag Bescheid, wenn du noch was von Molly brauchst. Sie meinte, du könntest sie jederzeit anrufen. In Ordnung?’
Ich nicke und hebe die Hand, um meine Augen gegen die Sonne abzuschirmen, als sie vor mir steht. ‚Bis bald, Anne’, sage ich zum Abschied.
Erneut dieses Lächeln von ihr. Hey, es ist Zuneigung, okay? Davon hatte ich in letzter Zeit nicht viel bekommen - da nehme ich die sogar in homöopathische Mengen.
Während sie weggeht, betrachte ich ihren Hintern und wie er sich in ihrer Hose bewegt. Gott, ich brauche eine Frau. Dringend.
Unzufrieden mache ich mich nach ein paar Minuten auf den Weg zurück in die Pension.


Anmerkung von Mutter:

*edit: So, nochmal den Anfang umgestellt, um die Location klar zu machen.

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(24.06.09)
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 Mutter meinte dazu am 24.06.09:
Ja, die sind cool, die beiden, gelle?
Ich mag die auch - geschieht dem Recht, dem ollen Depp. :)

Zu den anderen Sachen:

- Oops, Zettel habe ich tatsächlich unter'n Tisch fallen lassen - quasi. Kommt rein.
- Café? Hier: "Zu meiner Zeit hier oben hätte man in einem Café wie diesem dünnen Maschinenkaffee bekommen." Ganz am Anfang ...
- Die Stelle mit Anne iss im letzten Kapitel, als er mit ihr telefoniert. Iss aber wahrscheinlich zu lange her - ich streiche einfach eins von den 'oohs' ...
- Bei dem 'Moment gehen' bin ich auch gestolpert. Zu Recht, scheint's ... :) Ich find was.
- Zur Timeline - nächster Tag. Mmmh, iss natürlich undefiniert, wann jeweils, also ob morgens oder abends. Aber ich denke, dass könnte schon passen. Sonst muss Corker so lange die Decke anstarren ... :)
Und Molly hat ihm ja schon in Berlin Hilfe angeboten - aber vielleicht baue ich da noch so ein 'Du schuldest mir was ...' ein.

Danke schön ...
AnnaKarenina (31)
(24.06.09)
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 Mutter antwortete darauf am 24.06.09:
Vielleicht braucht es bei Mollys 'oh' nur noch einen etwas deutlicheren Hinweis auf Anne. Schafft der Corker bestimmt, sich die da beide zusammen vorzustellen ... :D

Molly würde wahrscheinlich behaupten, sie sei keinesfalls Lesbe - höchstens bi, wenn nicht gar einfach 'weltgewandt' ... :)

Stück passt, stimmt.
Danke.

Und danke. :)
Alegra (41)
(06.11.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 07.11.09:
Also eigentlich wissen wir von ihm nur, dass er Kaffee mit Milchschaum trinkt ...
Müsste also noch kein Lattte Macchiato sein. ;)

Sollte es aber ursprünglich wohl mal sein - alles andere wär 'ne billige Ausrede. Ich denke mal drüber nach - obwohl der Mann lange Jahre in Berlin gelebt hat. Hier trinken das selbst Crack-Dealer in Neukölln ... :D

Ich habe mal nach dem Schwanenhals gesucht - und zumindest das, was ich im Kopf hatte, habe ich nicht gefunden. Vielleicht hast Du also Recht.
Ich schau mal, ob mir das was anderes einfällt.

Danke ... :)

PS: Ich glaube, dem Corker gefallen die Texte, wo er jemandem auf die Fresse gibt, auch besser. :D
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