Rituale

Anekdote zum Thema Lernen

von  Sylvia

„Hi, Lieblingsmama“, werde ich begrüßt.
Sofort schaltet sich misstrauisch mein Hinterstübchen ein:
„Na, mein Großer.“
Er ist 15 Jahre alt. Normalerweise begrüßt er mich nur so, wenn ich ihm Geld geben soll oder er etwas plant, bei dem er meine Erlaubnis benötigt. Er strahlt mich mit einem Lächeln an, dem ich nicht widerstehen kann. Das ist wie mit Schokolade, oder Schwarzbrot mit Schinken, Tomate und Gurke. Ich sage doch nicht nein zu sowas. Einen roten Teppich rollt er für mich aus und nun wartet er, bis ich ihn betrete. Heute nicht, mein Großer, überlege ich, heute nicht und lege eine etwas genervte Tonlage in meine Stimme:
„Was hast du vor?“
„Mama, ich finde, wir sollten uns ab heute anders begrüßen. Ich zeige dir, wie es geht und du chillst dabei.“
Ja, denke ich, Mama chillt, klar doch, wo ich noch viel vorbereiten muss für eine Kollegin, die ich anlerne. Essen kochen, saugen, Kaninchen füttern, von Gartenarbeit mal ganz abgesehen, schießt mir spontan durch den Kopf. Mein Sohn steht vor dem riesigen Bügelwäscheberg, auf den ich schiele. Als er meine Unaufmerksamkeit bemerkt, fordert mich auf, ihm zuzuhören.
„Also, die rechte Hand zusammendrücken, von oben nach unten die Handkanten aufeinander hauen, dann von unten nach oben und dann nochmal von oben nach unten. Die Handknöchel einmal bei dem Anderen gegenticken. Danach die Hand zu einer Art Pistole formen, mit dem Zeigefinger aufeinander zeigen, das linke Auge zwinkern lassen und einmal mit der Zunge schnalzen.“
Mein Kopf schnalzt auch, aber es geht noch weiter.
„Die Hände umeinander haken, leicht den Gegenüber heranziehen und nur mit der rechten Schulter berühren, um mit der linken Hand leicht auf das Schulterblatt zu klopfen.“
Mein Hirn klopft:
„Wo ist die Gebrauchsanleitung, damit ich kurz üben kann?"
Er lacht mich an:
„Du kannst das ohne."
Ernsthaft stell ich mich der Herausforderung. Immerhin repariere ich Fahrräder, schließe Lampen an, fülle die Heizung auf, bohre, überbrücke Autos, tapeziere und kümmere mich um alle Belange der Kinder und unseres Heimes, bestärke ich mich.
„Ich übe kurz im Schlafzimmer", versichere ich ihm.
Nach ein paar Stunden Selfservice, bei dem ich merkte, dass meine Motorik dann und wann wirklich mangelhaft zu sein scheint, stelle ich mich meinem Sohn. Wir schauen uns an ohne zu lächeln, möglichst cool soll es wirken.
Fieberhaft denke ich an jeden Begrüßungsschritt, schlage meine Handunterkante auf seine Obere.
„Was machst du?“, schimpft er.
„Wieso? So hast du es doch erklärt“, entgegne ich verblüfft.
„Also, ich komme auf dich zu, und du darfst nur von unten nach oben schlagen. Das ist immer so. Wenn du auf mich zukommst, dann kannst du von oben schlagen“, erinnert er.
Mein erschlagener Kopf qualmt. Ergeben füge ich mich seinen Anweisungen. Unsere Prozedur fängt von vorne an. Er kommt auf mich zu, sofort haue ich von unten nach oben. Die nächsten Handschritte folgen, wobei ich Angst um meine Knöchel entwickle. Jetzt die Pistole, dann das Verhaken der Hände und die Schulterberührung. Kräftig ziehe ich ihn an mich heran, als ich mich vorwärts bewege. Er prallt an mir ab, bevor er gegen die Wand fliegt. Geschockt sehe ich ihn an. Kopfschüttelnd rappelt er sich hoch und geht an mir vorbei:
„Besser ist, wenn wir nichts an der Begrüßung ändern."
„Gut, dann umarme ich dich weiterhin."
„Aber nur, wenn keiner meiner Freunde dabei ist“, flüstert er mit einem strafenden Blick.

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Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(09.09.09)
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 Sylvia meinte dazu am 09.09.09:
Huhu Gerda,

es freut mich sehr, dass du immer noch lächelst....damit fängt der Tag gut an...

Lieben Gruß
Sylvia

 AZU20 antwortete darauf am 09.09.09:
Ich lache auch. LG

 Sylvia schrieb daraufhin am 09.09.09:
Danke, es ist für mich am anderen Ende der PC Leitung schön, wenn mein Text erheitern konnte.....

Liebgrüßt dich Sylvia
krebs (53)
(09.09.09)
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 Sylvia äußerte darauf am 09.09.09:
Ja Andrea...du hast es erfasst...es ist soviel liebenswertes....im Moment, machen meine die Ablösungsphase durch...möglichst wenig Berührung mit mir, aber wenn sie dann mit mir lachen, dann darf ich sie auch wieder knuddeln....schöne Zeit....

Ich danke dir sehr
LG Sylvia
Lena (58)
(09.09.09)
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 Sylvia ergänzte dazu am 09.09.09:
Meine liebe Arja,

"Hey alter" sowas habe ich weder zu meinen Eltern gesagt noch höre ich es von meinen Kids.....
Mein Vater hätte mir sofort eine gescheuert, wenn ich ihm gegenüber respektlos geworden wäre....

Wenn ich erstmal aus dem Nähkästchen plaudere...lach dich an...dann kommen noch andere Erfahrungen zum Vorschein...denk daran, wie ich dir von seiner ersten Freundin erzählt habe......schwitz

Drücke dich
Sylvia
Lena (58) meinte dazu am 09.09.09:
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steyk. (55)
(11.09.09)
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 Sylvia meinte dazu am 11.09.09:
ups...handvormeinenmundhalt...

ich kann dir eben noch ein paar gaaanz super herzzerreißende schniefende Texte empfehlen....schmunzel

Danke dir
Hauptlingsstefan....fg
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