Cronjob

Erzählung zum Thema Feind(schaft)

von  Mutter

Später am Abend ruft Dale wieder an. Ich war ein weiteres Mal auf dem Bett weggedämmert, diesmal ohne Träume. Jedenfalls keine, an die ich mich erinnern konnte.
‚Ja?‘, antworte ich, noch nicht vollständig wach.
‚Was ist los, Corker – pennst du?‘
‚Hast du was?‘
‚Über deinen Mister Dougherty? Ja.‘
Zack.
Plötzlich bin ich hellwach, schieße in die Senkrechte. ‚Mach kein Scheiß, Drummond. Was weißt du?‘
‚Nicht am Telefon. Können wir uns treffen?‘
Holy cow – wie ist der denn drauf? Ich halte Dale nicht für jemand, der gerne Theatralik betreibt. Muss schon einen Grund haben, dass er um ein persönliches Treffen bittet.
‚In Ordnung – was schlägst du vor?‘
‚Kennst du den Antrim’s Anvil?‘
Klar kenne ich den Laden – eine absolute Republikaner-Spelunke. Da sollte man nur schwer bewaffnet ein Pint trinken gehen. Ich habe absolut keinen Bock, mich in so einer Räuberhöhle mit ihm zu treffen. ‚Ja. Wann?‘
‚In zwei Stunden. Waffen kannst du mitbringen – solange du sie brav bei Big Daddy abgibst.‘
Ich bin nicht sicher, ob ich weiß, von wem er redet. Bei dem Namen ‚Big Daddy‘ muss ich an eine Lederschwuchtel aus Mitte, drüben in Berlin denken. Den wird er kaum meinen.
‚Gut. Sonst noch was?‘
‚Wir sehen uns dort, Corker.‘ Er hängt auf.
Ich denke darüber nach, welche Schlüsse ich aus diesem Gespräch ziehen kann.
Punkt Eins: Dale hat was rausgefunden. Das ist gut.
Punkt Zwei: Er hat vor irgendwas eine Menge Schiss. Das ist nicht gut.
Punkt Drei: Ich habe keine Ahnung, was das für mich bedeutet. Und das ist richtig beschissen.
Ich seufze und schmeiße das Handy aufs Bett. Bevor ich mich mit ihm in einer Kneipe treffe, sollte ich mir etwas zu essen besorgen. Aus Rücksicht auf meine Mitmenschen sollte ich vorher allerdings duschen.

Knapp zwei Stunden später betrete ich den Anvil. Der Pub mutet wie eine Mischung aus Mordbrenner-Versteck und einem Heim für Kriegsveteranen an. Jeder der knapp einem Dutzend männlichen Gäste mustert mich mit harten, wachen Augen. Die Kerle haben früher alle in den Troubles gekämpft, die meisten als Mitglieder der IRA. Früher habe ich zwar nicht aktiv für ihre politische Sache gekämpft, aber ich stand zumindest nicht auf der Gegenseite. Heute bin ich  nur noch ein verachtenswerter Söldner.
Das ein oder andere Gesicht erkenne ich wieder – ich nehme an, mehr als einem von den anderen habe ich bereits gegenüber gestanden, wenn sie eine Balaclava trugen. Ein oder zwei nicken mir zu, andere wenden sich nach einer kurzen Musterung ab und ihrem Bier zu.
‚Evenin‘, Sir. Womit kann ich dienen?‘, fragt mich der riesige Kerl hinter der Bar. Ich schlussfolgere messerscharf, dass es sich dabei um Big Daddy handelt. Der Kerl ist so groß wie Stout, allerdings nicht austrainiert. Mit seiner Wampe würde er sofort in jedem Kreißsaal einen Liegeplatz bekommen. Ärger will ich trotzdem keinen mit ihm.
Ich schiebe mich an die Bar, stelle einen Stiefel auf die Fußreling, die unten verläuft. ‚Ich bin mit Dale Drummond verabredet.‘
Er nickt und tritt an den Tresen. Einen Meter weiter befindet sich ein Messinggriff in das dunkle Holz eingelassen, an dem er zieht. Ein Teil des Tresens klappt hoch und enthüllt ein tiefes Fach.
‚Hardware‘, sagt Bid Daddy mit einem Grinsen und deutet mit dem Kopf auf das Fach.
Ich nicke und ziehe die Eagle, lege die schwere Waffe hinein. Ziehe die beiden Glocks, packe sie ebenfalls weg. Der große Mann klappt den Deckel wieder runter und bückt sich hinter der Theke. Ein Rumpeln ertönt – ich schätze, er hat die Kanonen in irgendeine Schublade weiterfallen lassen. Cleveres System.
Als er sich aufrichtet, deutet er mit dem Daumen nach rechts. ‚Drummond ist schon da.‘
Während ich mich auf den Weg nach hinten mache, will er wissen: ‚Pint?‘
Ich drehe kurz den Kopf nach hinten, nicke und zeige ihm das Victory-Zeichen für zwei.
Langsam suche ich mir meinen Weg zwischen den eng stehenden Tischen hindurch, an denen sich niemand bemüßigt fühlt, mir Platz zu machen. Mit grimmig verzogenem Gesicht überschlage ich, wie lange es dauern wird, aus diesem Loch wieder heraus zu kommen, wenn es Ärger gibt. Ergebnis: Zu lange.
Hinten in der Ecke, tief im Schatten einer riesigen Topfpflanze und eines Raumtrenners zu seiner Rechten sitzt Dale. Als er mich sieht, nickt er zur Begrüßung und rückt einen Stuhl etwas ab.
Ich nehme einen anderen und setze mich. ‚Du siehst fertig aus‘, sage ich zur Begrüßung.
Er grinst. ‚Du dagegen bist der lebendige Frühling. Pot, meet kettle.‘
‚Schon gut, ich hatte nicht viel Schlaf letzte Nacht‘, gebe ich mit einem Lächeln nach. ‚Warum hier, Drummond?‘, will ich wissen. Als ich  mich erneut im Raum umsehe, verhärtet sich meine Miene.
‚Weil ich mich hier sicher fühle, Corker‘, antwortet er müde.
Bevor ich etwas erwidern kann, kommt der schwangere Riese und stellt uns zwei Guinness auf den Tisch.
‚Für mich auch noch einen‘, sagt Dale und zeigt auf sein Pintglas, in dem noch zwei Finger hoch goldener Cider stehen.
Nachdem sich Big Daddy verzogen hat, trinke ich das erste Pint in gierigen Zügen aus, stelle das Glas, nur noch mit schaumigen Resten gefüllt, ein Stück zur Seite. Schnappe mir das zweite Pint. Zum Genießen.
‚Jetzt bin ich aber gespannt, Dale Drummond. Du wirst mir wahrscheinlich erzählen, dass der Batmann von Ballybough tatsächlich Luzifer persönlich ist.‘
Ernst sieht er mir in die Augen, schüttelt den Kopf. ‚Es geht nicht um die Maschine, Corker.‘
Damit erreicht er, dass mir tatsächlich ein Schauer den Rücken hinunter läuft. Mach‘s nicht so spannend, du Penner, denke ich. Halte das Maul und sehe ihn aufmerksam an.
‚Es geht um deinen Freund Dougherty.‘
Ich nicke, bin bei dir, Partner. Nur weiter.
‚Du bist davon ausgegangen, dass der Kerl Ire ist, richtig?‘
‚Aus Dun Laoghaire, soweit ich weiß.‘
‚Fast. Der Mann ist Schotte und kommt aus Fort William. Sein Name ist Gavin Bowman. Klingelt das was bei dir?‘
Tut es. Eine ganze Feuerwache geht da gerade in meinem Kopf los. Tschak, tschak, tschak fallen die Puzzleteile an die richtige Stelle. Fast alle.
‚Schon mal gehört, den Namen, ja‘, antworte ich entspannt, nehme noch einen Schluck von dem Stout.
Dale nickt. ‚Ansonsten hättest du den wohl auch kaum am Arsch kleben. Ich habe mich ein wenig über den Mann umgehört. Das ist ein früherer SAS-Mann, der lange Zeit aus Lettland raus Geschäfte gemacht hat. Was genau kann ich nicht sagen – aber es hat mit Schwarzgeld zu tun gehabt.‘
Noch so ein verfickter Special Forces-Kerl. Hier musste irgendwo ein Nest von denen sein. „Who dares wins“ lautete ihr dämliches Motto.
Fuck.
‚Was noch?‘, will ich wissen, meine Stimme merkwürdig gepresst.
‚Bei meiner Suche bin ich auf seinen Bruder gestoßen‘, fährt er fort. Merkt nicht, was seine Worte mit mir anstellen, wie sie meine Welt auf den Kopf stellen. Um meinen Schwindel zu überspielen, greife ich erneut nach dem Glas. Es ist leer. Wo ist der Big Daddy jetzt?
‚Kyle Bowman. Der hat vor Jahren seine Finger im Waffenschmuggel gehabt. Wundert mich, dass ihr nie miteinander zu tun hattet.‘ Er wirft mir einen aufmerksamen Blick zu. Redet weiter. ‚Der Bruder, Kyle, ist damals plötzlich von der Bildfläche verschwunden, von einem Tag auf den anderen. Einfach so.‘ Er schnippt mit den Fingern. Lehnt sich befriedigt zurück. ‚Und taucht vor einem halben Jahr in Kapstadt wieder auf – Kopfschuss. Und niemand weiß, warum er überhaupt abgehauen ist.‘
Niemand außer mir. Er ist verschwunden, weil ihm zwei Penner eine halbe Million Pfund gestohlen hatten. 500.000 quid, die ein paar Kerle aus Südafrika dringend zurück haben wollten. Er konnte das Geld nicht liefern.
Ich erwidere seinen Blick, ohne etwas zu sagen. Über uns türmt sich Big Daddy auf, räumt die Gläser weg. Kommt in ein paar Minuten mit Nachschub für meine ausgedörrte Kehle.
Ich betrachte Dale, der zufrieden einen langen Zug von seinem Cider nimmt. Hat all die Informationen für mich zusammengesammelt wie ein braver kleiner Roboter, meine kleine Datenkrabbe. Dabei viel mehr herausgefunden, als mir lieb sein kann, auch wenn ich endlich alle fehlenden Teile beisammen habe. Sie nur noch im Dunklen zusammen setzen muss.
‘Und?‘, will er wissen, seine Belobigung abholen.
‚Nicht schlecht‘, sage ich gedehnt, nicke. Lehne mich zur Seite, während Big Daddy die Gläser, an denen sich die Kondensation perlt, serviert.
Als er gegangen ist, mustert mich Dale interessiert. ‚Das hat alles ziemlich ins Schwarze getroffen, oder?‘
Mit einem grimmigen Lächeln antworte ich: ‚Treffer versenkt.‘

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(16.11.09)
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 Mutter meinte dazu am 16.11.09:
Kennst das Ende doch schon ... :)
Kitten (36) antwortete darauf am 16.11.09:
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