Ein, zwei oder mehr Stunden später klackt das Schloss. Der Sound bleibt weg, in den Flur fällt zögernd Licht. Kid ist aufgefallen, dass die Tür kaputt ist. Stößt sie langsam auf, späht in den Flur. In einem schlechten Film würde er zaghaft ‚Hallo?‘ in die Wohnung rufen. Macht er nicht.
Schritte, knarzende Dielen. Abgezogen, die sehen im warmen Schein der Lampe sicher schön aus. Werde ich gleich sehen, wenn er sich traut, das Licht anzumachen. Und gut versiegelt sind sie – auf denen kann man Blut fast so gut wegwischen wie auf Laminat.
Direkt vorne vom Flur geht links das Wohnzimmer ab, ein paar Meter dahinter rechts die Küche. Ich kann hören, wie Jordan im Wohnzimmer einen Schalter anknipst. Etwas mehr Licht fällt zu uns rein, erhellt den Eingangsbereich der Küche.
Kleine Schritte, Unsicherheit. Als nächstes ein mechanisches Klicken – er hat seine Knarre gezogen. Gleich steckt er den Kopf zu uns rein. Was sieht er – Schatten gegen das Licht von draußen? Den Schwarzen Mann?
Am Türrahmen eine Bewegung. Sofort knurrt Stout: ‚Waffe weg, Arschloch.‘
Licht flammt auf, Kids Handbewegung zu schnell, um sie durch die Drohung zu unterbrechen. Erstarrt steht er dort in der Tür, eine kleine Browning halb erhoben, die linke Hand noch auf dem Schalter. Starrt in die Mündungen der beiden Schwestern und das Wurmloch, das vorne an der Mossberg sitzt.
‚Holy shit!‘, entfährt es ihm.
‚Runter!‘, befiehlt Stout ein zweites Mal.
Vorsichtig geht Kid in die Knie, legt die Waffe mit einem Klacken auf den Fliesenboden. Kommt wieder hoch, steht da wie mit heruntergelassenen Hosen.
‚Erstaunt, mich zu sehen?‘, frage ich mit einem Lächeln, stehe auf. ‚Hast du uns woanders erwartet?‘
Kid erwidert nichts, betrachtet mich wachsam. Fatalistisch – ich glaube nicht, dass er sich gegen uns beide wehren wird. Hofft eher auf die fünfte Kavallerie, Bowman, der hier einreitet. Vergiss es, Buster.
‚Los, rüber‘, befehle ich und mache eine Bewegung mit der rechten Eagle. In Richtung Wohnzimmer.
Während ich mit ihm rübergehe, inspiziert Stout ein weiteres Mal den Rest der Wohnung, diesmal mit Licht. Gerade als ich den untersetzten Iren mit der Waffe auf die hässliche Couch stupsen will, ruft der Schwarze von hinten: ‚Bring ihn rüber, Corker. Ich habe was gefunden.‘
Mit einer Kopfbewegung setze ich uns beide in Marsch. Durch den Flur, am Badezimmer vorbei, ins Schlafzimmer.
Ein großes Doppelbett: Metall-Rahmen, goldfarben, rote Bettwäsche. Gott, Kid, wie tief kann man sinken?
‚Was hast du?‘, will ich wissen. Ich bin hinter Kid am Eingang stehen geblieben, drücke ihm zärtlich die eine Schwester ins Kreuz.
Stout steht am Bett und präsentiert mit einem fetten Grinsen seinen Fund. Handschellen, mit Plüsch ummantelt, auf jeder Seite des Bettes ein Paar. Passend zum Bett in Schweinchen-Rosa, am Metall festgeklickt.
‚Hast du uns doch erwartet, du kleine Drecksau, oder?‘, sagt Stout, lacht dabei heiser. Er kommt, packt Kid und stößt ihn aufs Bett. Ohne dass sich der kleinere Mann wehrt, kettet Stout ihn mit den Handschellen fest.
Bisher war ich davon ausgegangen, dass es eine Auseinandersetzung mit Bowman und seinen Jungs geben würde, den Shootout am OK-Corral. Stout als mein Doc Holiday, ich natürlich Wyatt Earp. Diese Situation überfordert mich, plötzlich habe ich eine weitere Gelegenheit, Licht ins Dunkel zu bringen. Kid ein paar Fragen zu stellen, weiße Flecken auf meiner Landkarte auszufüllen.
Stout streift sich die Jacke ab, geht rüber zum Fenster und dreht den Heizkörper auf. ‚Kalt macht klein‘, sagt er zu mir mit einem Augenzwinkern. Zieht sich den Pullover auch noch aus und steht in seinem weißen Feinripp-Unterhemd da – genau so ein Ding habe ich auch an. Als hätten wir uns verabredet. Wifebeater, nennen sie die auf Englisch.
Meine Nackenhaare stellen sich auf. Stout ist ein Ex-Con, hat ein paar Jahre länger gesessen als ich. Ich habe keine Ahnung, was die Zeit im Bau mit seiner Sexualität angestellt hatte. Bilder von uns beiden, nackt über dem zitternden Kid, flashen durch mein Hirn. Stouts Schwanz ist lang, nicht so lang wie meiner - aber er ist der verdammt dickste Hammer, den ich je unter einer Dusche gesehen hatte. Ein Schwanz, vor dem selbst erfahrene polnische Huren Angst bekommen würden. ‚The black anaconda‘, hatte ihn Toffer zu unseren Zeiten im Team genannt.
Bist du heute Abend unsere Ehefrau, Jordan Kid? Unsere kleine Bitch, unser Luder? Stout scheint entschlossen, genau diese Situation herbeizuführen. Ich will ein Time-Out, mit den Händen das T-Zeichen geben. Scheiße, das ist der falsche Film für mich.
Stout kommt auf mich zu, stößt mich mit beiden Händen auf meiner Brust ein Stück nach hinten. Ich kann seinen scharfen Schweiß riechen, sehe die Muskelberge. Er ist gut in Form für sein Alter, immer noch austrainiert.
‚Werd mir jetzt nicht weich‘, zischt er mir flüsternd ins Ohr. ‚Spiel mit, du dummes Arschloch.‘
Offenbar hat er meinen Gesichtsausdruck gesehen. Unsicher nicke ich. Treib es nicht zu weit, Bruder. Aber Erleichterung darüber, dass ich den beiden nicht bei irgendwelchen BDSM-Spielchen zusehen muss, flutet mich. War vor Jahren mal anwesend, als zwei Kollegen einen besonders beratungsresistenten Schuldner mit dem Stiel eines Regenschirms vergewaltigt hatten. Spaß hatte mir das nicht gemacht.
Ich gehe rüber zum Bett, ziehe mir Jacke und Hemd aus. Stehe ebenfalls im Unterhemd vor Jordan Kid, halte seinen Blick gefangen. Meine rechte Hand fischt das Einhandmesser aus der Tasche und lässt es aufschnappen. Ich mache den Schritt nach vorne, beuge mich vor. Seine Augen sind so groß wie Fünfmarkstücke.
Die Klinge berührt den Stoff an seiner Hose, das Bein zuckt. Seidig gleitet der Stahl nach oben, teilt den Stoff mühelos. Kurz vor seinem Schritt halte ich inne, nehme mir das Linke vor.
Danach der Oberkörper – Pullunder, Hemd und T-Shirt bieten ebenso wenig Widerstand wie der Rest seiner Klamotten. Eine Minute später liegt er in den Ruinen seiner Kleidung nackt auf dem Bett.
Ich richte mich auf, betrachte ihn zufrieden. Jordan Kid ist stämmig, gut im Futter, sieht allerdings nicht fett aus. Angezogen. Jetzt, wie er da auf dem Bett liegt, die Arme lasziv nach oben ausgestreckt, sein zitternder, dicker Bauch in die Höhe ragend, sehe ich genug Speck. Bei der Sau würde nicht mal ein ausgehungerter Knast-Schwuler Appetit bekommen - geschweige denn einen hoch.
Knackig und aus der Hüfte feuere ich ihm die rechte Faust in den Bauch. Er quiekt, krümmt sich, versucht, sich schützend zusammen zu rollen. Stout steht am Fußende, packt seine Knöchel, hält ihn gerade. Der große Bauch vibriert wie ein Wackelpudding nach, erinnert sich an die gerade empfangene kinetische Energie.
‚Hast du Lust, mit uns zu reden, Kid? Oder soll ich meinen Kumpel mal ranlassen?‘
Das Schlucken bereitet ihm sichtlich Mühe.
‚Hast du gesehen, wie das Messer durch deine Sachen gegangen ist? Kannst du dir vorstellen, wie easy das durch deinen fetten Bauch gleitet?‘
Sein Adamsapfel tanzt.
‚Hör zu, Jordan, das Meiste habe ich mir bereits zusammen gereimt. Mir fehlt fast nichts mehr zu einem vollständigen Puzzle. Aber dich kann ich nicht leiden – ich schätze also, ich sollte dich trotzdem etwas quälen. Oder ich sehe zu, wie er das macht.‘
Stout ist zu uns getreten, steht ganz am Kopfende. Drückt sein Kreuz etwas durch, so dass seine Körpermitte in Richtung Kid deutet.
‚Scheiße‘, flüstert der Ire. Ich nicke - in der Tat.
‚Hat die Maschine irgendwas mit Carndoragh zu tun? Mit dem Hit auf die Bentos und die albanischen Penner?‘
Hastig schüttelt er den Kopf, den Blick weiter auf Stout gerichtet.
‚Das waren Metriçs Männer?‘
‚Ja`, kommt es gepresst. ‚Gavin wollte den Scheiß-Albaner für die Aktion bestrafen.‘ Wendet mir seinen zornigen Blick zu. ‚Dachte, du hast es vielleicht drauf, ihm in den Arsch zu treten. Schätze, er hat sich getäuscht.‘
‚Vorsicht!‘, drohe ich ihm mit dem Zeigefinger. ‚Werde bloß nicht übermütig – dann schlitze ich dich auf wie einen Fisch. Was ist mit Metriç – warum ist der Deal mit Bowman geplatzt?‘
‚Weil der Sack sich nicht an die Abmachung gehalten hat. Der hat sein eigenes Süppchen gekocht, und uns dabei ins Essen gespuckt. Ich habe Bowman gesagt, er soll mich den Wichser einfach umnieten lassen.‘
Ich lache. ‚Du und welche Armee, du armseliger Bastard?‘ Setze mich zu ihm auf die Bettkante.
Er blitzt mich wütend an, sieht dabei allerdings in seiner Position wenig beeindruckend aus.
Jetzt kommt die alles entscheidende, die Gretchen-Frage: ‚Woher hat Bowman die ganzen Infos über mich? Wer hat ihm verraten, dass die Kohle bei mir ist?‘
Aufmerksam mustert er mich, versucht zu entscheiden, wie viel ich schon weiß. Verzieht das Gesicht, sieht hoch zur Decke. ‚Hat er mir nie gesagt, hat immer voll das Gewese drum gemacht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich um eine Frau handelt.‘
‚Hat er sie gefickt?‘, will ich wissen. Um einzuschätzen, ob das eine Business-Liaison oder was Persönliches ist.
‚Schätze schon. Gavin ist da nicht so wählerisch.‘ Sein Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. ‚Er hat mehr als einmal erwähnt, dass er es bedauert, deine kleine Freundin nicht erwischt zu haben. Die hätte ich allerdings auch nicht von der Bettkante gestoßen.‘
Mit einer flüssigen Bewegung stehe ich auf, halb geduckt, dresche auf ihn ein. Rechts-links-rechts, noch mal mit mehr Schwung die Rechte. Schön aus der Schulterdrehung.
Schreien kann er nicht – dazu hat er keine Luft. Ein ersticktes Röcheln ist alles, was er rausbringt. Ich spüre Stouts Pranke auf meiner Schulter, mache einen Schritt zurück.
‚Ruhig, Brauner, ganz ruhig‘, höre ich seine Stimme dicht an meinem Ohr, in meinem Kopf vibrieren. ‚Bring ihn nicht um.‘