Safeword

Erzählung zum Thema Kommunikation/ Dialog

von  Mutter

‚Wir zwei müssen reden‘, beginne ich unser Gespräch wie eine um unsere gemeinsame Zukunft besorgte  Ehefrau. Er versteht die Gewichtigkeit der Situation.
‚Das hatte ich befürchtet‘, hustet er. Schüttelt sich - ihm ist kalt.
‚Du weißt wer ich bin?‘
‚Natürlich‘, kommt die Antwort zurück. ‚Du bist der Kerl, vor dem uns unsere Mütter immer gewarnt haben.‘
Ich mag die Tatsache, dass sich Brewster auch mit multiplen Brüchen seinen Humor bewahrt. Nachdenklich betrachte ich ihn einen Moment. Er begegnet meinem Blick offen und ohne Scheu. Falls er Angst vor dem hat, was jetzt kommt, hält er es gut versteckt.
Ich seufze, sage: ‚Hör zu – ich weiß, wer du bist. Wie du ausgebildet wurdest. Und du hast gehört, wozu ich fähig bin.‘
Er nickt.
‚Es besteht kein Zweifel daran, dass ich alles aus dir herausbekomme, was ich wissen muss – wenn ich mir genug Zeit lasse.‘ Informationen, Namen, Gedärme. Alles.
Diesmal sagt er nichts, hält sich bedeckt.
‚Ich bin müde – die Scheiße habe ich hinter mir gelassen.‘
Er nagt kurz mit den Zähnen an der Unterlippe, fängt sich wieder. Zuckt mit den Schultern, aber der plötzliche Ausdruck des Schmerzes, der über sein Gesicht läuft, verhindert, dass er dabei cool aussieht.
‚Ich habe einen Vorschlag für dich.‘
Erneutes Nicken - er ist ganz Ohr.
‚Wie wäre es, wenn ich dir Fragen stelle zu dem Zeug, was ich wissen muss. Von dem wir ausgehen, dass ich es ohnehin in Erfahrung bringe. Manches weiß ich bereits, anderes kann ich auch aus anderen Quellen erfahren. Wo du dir keinen Zacken aus der Krone brichst, wenn du mit mir sprichst.‘
Als er nicht antwortet, fahre ich fort: ‚Irgendwann erreiche ich einen neuralgischen Punkt – dann sagst du „Stopp“ – wie das Safeword im Darkroom. Wir definieren, was du mir nicht einfach so erzählen kannst. Und überlegen dann beide, wie weit wir bereit sind zu gehen. Ich denke darüber nach, wie sehr ich dir wehtun will für diese Info, und du entscheidest, wie viele Schmerzen du bereit bist zu erdulden.‘
Ich zucke mit den Schultern. ‚Wenn du Glück hast - wenn ich Glück habe - müssen wir nicht über diesen Punkt hinaus. Vielleicht weiß ich dann alles, was ich wissen will. Mir bleibt es erspart, bis zu den Ellenbogen in deinem Blut zu baden und du …‘
Er lächelt schief, während ich den Satz beende.
‘Und du bleibst am Leben. So einfach ist das. ‘
‚So einfach …‘ antwortet er endlich lakonisch. Wir lächeln beide.
Sein Blick wandert über die Schlinge, zu seinem Bein. Für einen Moment starrt er zwischen den Büschen raus in den Himmel, in die Richtung, in der ich Derry vermute.
Kommt zu einem Entschluss, sieht mir in die Augen: ‚Also gut. Frag mich.‘

Ich mache es mir auf meinem Baumstumpf etwas bequemer, lehne die Ellenbogen auf die Knie. ‚Wer hat für die ganze Sache bezahlt? Bowman?‘
Brewster nickt.
‚Was will der Penner -  mich umlegen offenbar nicht.‘
‚Gavin Bowman will eine halbe Million Pfund von dir. Die ihr seinem Bruder damals gestohlen habt.‘
‚“Wir“ sind Dave Monaghan und ich?‘
‚Monaghan haben wir vor ein paar Monaten bereits erwischt, auf den hatte Bowman den Iren angesetzt.‘
‚Die Maschine? Kennst du seine richtige Identität?‘
‚Nein, keine Ahnung – hab den Kerl auch nur ein, zwei Mal gesehen.‘ Mit einem Grinsen fügt er hinzu: ‚Gegen den bist du ein halbes Hemd.‘
‚Schon klar. Hat Bowman seinen Kuli Thompson umlegen lassen? Verbrannte Erde?‘
Brewster verzieht das Gesicht, verneint vehement. ‚Der dämliche Hund hat sich selbst gegen die Wand gefahren. Damit hatte Bowman nichts zu tun.‘
‚Wie ist der Deal mit Metriç gewesen? Was ist da gelaufen?‘
Er versucht, sich in eine bequemere Lage zu schieben. ‚Genau kann ich das nicht sagen, die Details hatten nichts mit mir zu tun. Soweit ich weiß, hat der Albaner die Finanzierung übernommen. Ein paar Kontakte vermittelt, unter anderem zu The Machine, und er hat sich um die Schmuggler auf Rathlin Island gekümmert. Ohne Metriç hätte Bowman das Ganze nicht aufziehen können – nicht mal mit unserer Hilfe.‘
Großartig – ich hätte dem kleinen albanischen Arschwichser das Hirn wegpusten sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Kreuter or no Kreuter.
Brewster redet weiter: ‚Der Albaner hat dich für irgendwas gebraucht, ist deshalb die Abmachung mit dem Schotten eingegangen.‘ Er zuckt mit den Schultern.
Seine beschissenen Neffen, deren Tod ich angeblich verschuldet hatte.
‚Wer hat das Ding in Carndoragh durchgezogen? Die Maschine?‘
Kopfschütteln. ‚Das hatte mit Bowman nichts zu tun, war ganz alleine Sache der Albaner. Dass es dich dabei zersägt hat, war allerdings nicht geplant.‘
Wenn es wirklich die Maschine war, die mich in Mollys Appartement angerufen hatte, erzählten entweder er oder Brewster nicht die Wahrheit. Mister X hatte behauptet, für die Tode in Carndoragh verantwortlich gewesen zu sein. Andererseits – wenn Bowman mich auf Metriç angesetzt hatte, damit ich meine Poolparty durchziehe, würde er mir dafür vermutlich jeden Scheiß erzählen.
‚Und Bento? Das war Bowmans Mann – den haben die einfach mit erlegt. Hat das keinen Ärger gegeben?‘
Brewster zeigt mir ein schwaches Lächeln. ‚Glaube, du unterschätzt, wie die Machtverhältnisse verteilt sind. Metriç ist eine echte Größe im Business. Bentos Tod musste Gavin wohl oder übel als Kollateralschaden verbuchen.‘
Bei dem Gebrauch dieses Wortes muss ich an Molly denken, würde ihm am liebsten den zweiten Arm auch noch brechen. Ich kann mich beherrschen.
‚Was weißt du über Deutschland? Was in Berlin und Hamburg gelaufen ist?‘
‚Nicht viel. Hat sich komplett Mister Kid, beziehungsweise Bowman selber drum gekümmert. Ich weiß nur, dass die drüben alle einen Heidenrespekt vor dir hatten. Deswegen wurden Schnüre gezogen, damit dich wer anders platt macht. Bowman hatte Sorge, dass das alles schief geht.‘
Damn. Ich bin mir sicher, Brewster hätte mir erzählt, was er weiß. Mein wichtigster loser Faden, immer noch ungeknüpft. Obwohl mich zufrieden macht, dass die Penner so viel Angst vor mir  haben. Mein Ruf ist offensichtlich beeindruckender als ich dachte. Wer ist der wahre Batman, Baby?
‚Wieso ist Bowman erst jetzt zu mir gekommen? Warum hat er Dave nach so langer Zeit umgelegt?‘
‚Monaghan hat den Fehler gemacht, wieder aufzutauchen. Den hat Gavin jahrelang nicht gefunden. Erst als der Spinner versucht hat, einen weiteren Deal mit den Schotten in Fort Williams drüben aufzuziehen, ist er ihm quasi vors Auto gelaufen.‘
‚Wegen des Geldes?‘
‚Nein. Wir wussten, dass Monaghan die halbe Million nicht hat. Dass die bei dir liegt.‘
Yeah – wovon träumst du nachts? Jetzt wird es abgefahren. Ich lasse mir nichts anmerken, bleibe ganz der kalte Hund – abgeklärt, sind alles keine News für mich, sagt meine Miene.
‚Woher? Wer hat das erzählt?‘
Endlich schüttelt Brewster den Kopf, zeigt mir ein trauriges Clowns-Lächeln. Hat seinen neuralgischen Punkt erreicht. Ich habe ihm nie das Safeword verraten.
Bowman hat einen Insider, einen, der ihn immer wieder auf die richtigen Gleise setzt. An den muss ich ran. Ist Collie dieser Mann?  Ist es jemand, den ich kenne?
Nachdenklich betrachte ich die zerbrochene Form von Brewster, der schwer atmend vor mir liegt. Überlege, ob ich den Mann wieder aus meinem Darkroom rauslasse, auch ohne Safeword, oder ob ich vorher noch mal richtig ficken muss. Bis er mir verrät, was ich wissen will. Bis er blutet.
Er mustert mich aufmerksam zurück. Will wissen, was ich entscheide – wie seine Zukunft aussieht. Wie viel Tränen und Schmerz meine Kristallkugel für ihn bereit hält.
‚Was hat Bowman jetzt vor?‘, ändere ich die Richtung. Vielleicht finden wir unverfängliche Gesprächsthemen, bei denen nicht einer den anderen foltern muss.
Er lacht heiser. ‚Viele Optionen hat er nicht mehr, oder? Thompson ist tot, Bento hat’s erwischt, der Albaner ist aus dem Deal raus – ich bin nicht sicher, ob Gavin noch viele Wege hat, die er beschreiten kann.‘
Meditativ fahre ich mir mit der Zunge über die Zähne – was macht der motherfucker als nächstes?
Mit einem entschiedenen Ruck stehe ich auf, betrachte Brewster. Muss mich entscheiden – wie viel wir beide leiden müssen.
‚Schätze, du hast Glück, dass ich ein alter Mann bin - weich wie ein eingelegtes Milchbrötchen.‘
Er erwidert mein Lächeln, nickt langsam.
‚Hast du ein Handy?‘, will ich wissen.
Vorsichtig greift er mit dem gesunden Arm in die Jacke, fischt sein Telefon heraus. Reicht es mir rüber.
‚Ich rufe unten vom Parkplatz aus an, sage ihnen, wo sie nach dir suchen sollen. Eine Stunde, anderthalb max, würde ich sagen.‘
Ergeben nickt er ein weiteres Mal. Die Zeit wird ihm lang werden, aber besser als zu verrecken ist es allemal.
‚Wir sehen uns‘, sage ich über die Schulter, als ich mich daran mache, hoch zum Weg zu klettern.

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Kommentare zu diesem Text


 bluedotexec (20.11.09)
Corker beeindruckt mich von mal zu mal mehr.

 Mutter meinte dazu am 20.11.09:
Danke ... :)
managarm (57)
(20.11.09)
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 Mutter antwortete darauf am 20.11.09:
Wow, cooles Lob.

Danke schön ... :)
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