Asche und Stern

Text

von  Zeder

Wenn doch alle blühende Mandelbäume sehen könnten, wir wären fröhlich und einsam zu gleich. Wir wären die knorrigen Bäume mit Ästen wie knochige Arme, wir wären nicht Mauern mit Fenstern aus Glas.
Ich, eine. Wie der Wind sich im Frühling verändert – wie die Wolken heute langsam ziehen. Und wenn sie langsam ziehen, dann sind sie so schön, dass sie weh tun, dass das Herz den Körper zum Boden drückt und zum niederknien zwingt. Ein eingerolltes Kind unter dem Baume. Eine Halluzination. Man gibt nicht nach, man streckt sich.
Esther spielt Klavier, spielt die beiden Stücke, die sie kann, immer wieder. Es wird nicht zu viel. Sie kann nur spielen, wenn sie sich alleine wähnt. Ich sitze im Hausflur und lausche zart und verstehe sie besser, ich ersinne ihr Gesicht und ihr Lächeln, ich ersinne, wie sich ihr Gesicht an schnellen Stellen konzentriert zusammen zieht. Ich sehe ihre hellen Augen in der Sonne kleiner werden, ich sehe, wie sie sich eine Zigarette anzündet und sie später in dem Aschenbecher aus Glas wieder zerdrückt. Ich denke an den Widerstand des Glases und an die Kraft ihrer Finger, ich rieche den alten Rauch in der Luft vor den zitronengelben Wänden. Ich vergesse mich. Das Klingeln des Telefons unterbricht ihr Spielen. „Sie ist nicht da“ Ich bewege mich nicht. Als ich später hereinkomme hat sie alles vergessen. Wir lächeln uns an und gehen schlafen. Ob sie die Wolke kennt, die ich heute war? Wie könnte sie. Ich bin so still.
Er, ein Zentaur mit gebeugtem Kopf. Ich gehe hinter ihm und beobachte, wie der lange Schweif bei jeder Bewegungen schwingt, ich sehe die Balance in seinem Körper und versuche zu verstehen, was er in den Steinen am Boden erkennt. Vielleicht blickt er hindurch zu dem Kern, vielleicht blickt er auch nicht mehr als eine Handfläche weit von sich entfernt. Wir verabschieden uns an seiner Tür. Seine Hufe ziehen schwerfällig die Stufen hinauf in den dritten Stock. Ich stehe und höre den Schlüssel im Schloss und die Tür, die zu schlägt. Dann kommen Kinder aus dem Haus und sehen mich fragend an. Ich lächle und löse mich auf.
Heute wieder Sonnenschein. Ich weiß nicht, wie ich planen soll, was kommt. Ich weiß nicht, wie ich sagen kann, was ich werden will, wenn ich nicht sehe was ich bin. Ich bin das, was ich sehe. Wer mich sieht, ist ich. Ich bin du.
Als ich Kind war habe ich mich in die Sterne verliebt. Ich habe mich in das verliebt, was fern ist und es damit nah gebracht. Ich habe gezogen und mich zum Stern gemacht. Ich träume heute noch manchmal, dass ich leuchte.
Esther schreibt Katharsis an die Küchenwand, als es gewittert. Sie steht am Fenster und schirmt den Blick mit der Hand um Blitze zu zählen. Sie zählt laut, ich höre ihre Stimme und lege die Hand auf ihre Schulter, sie greift zurück und drückt sie. Wir stehen lange da, das Gewitter zieht vorbei. Wir zählen Blitze im Innern. Ich will sagen: Du bist schön. Will es ihr sagen, will es mir sagen, uns und der Welt. Ich habe keine Grenze gesetzt. Meine Augen fallen zu, ich bin ummantelt. Es lohnt nichts mehr zu sagen, es ist alles ganz gleich.
Die Luft ist so voll. Es ist Frühling.
Er, der Gebeugte. Wir gehen nebeneinander dem Ende der Straße entgegen und biegen gemeinsam ab. Wir wissen, wohin wir gehen. Als wir ankommen, ist es Nacht. Ich zähle ihm die Sterne vor. Wie er mich anblickt. Wir blühen auf, es ist Frühling. Es geht alles vorbei, es ist gleich.

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Kommentare zu diesem Text


 poena (06.06.10)
mit deinem song von islaja, den ich grad höre, bewegend traurig schön.
und wieder ein text mit wham...

 mondenkind (09.06.10)
alles bleibt im fluss. alles bewegt sich im kreislauf. ich mag deine sprache. es klingt nach morgen. frühling ist der jahresmorgen.
schön! lg, nici
gaensebluemchen (28)
(12.06.10)
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Pjotr (29)
(17.06.10)
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ungesagt (34)
(18.06.10)
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tausendschön (33)
(03.08.10)
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Eve.sei.so.gut. (28)
(14.09.10)
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thammü (22)
(24.09.10)
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