So viele Menschen. Hektisch und mit mürrischen Gesichtern, mit zahlreichen Einkaufstüten, in High Heels, in außergewöhnlicher Kleidung.
Die schmalen Gassen, die vielen Abzweigungen und die Schleichwege, die Schilder, die man hochhängend an den Fassaden der Gebäude schon aus vielen Metern Entfernung erkennen kann.
Die Jungs mit ihren Skateboards, die „total illegal“ auf der Domplatte herumrollen, sich ab und zu auf die Klappe legen und mit ihren Boards dieses Geräusch verursachen, das ich so liebe.
Verrückte Akrobaten, die mitten im Park am Rhein auf einer Wiese wagemutige Hebefiguren ausführen und Saltos schlagen, als hätten sie in ihrem Leben nichts anderes getan (Nunja… haben sie wahrscheinlich auch nicht).
Die Künstler, die auf dem Boden hocken, in einem Kästchen voller Kreide kramen und konzentriert und mit überlegt geführter Hand bunte Kunstwerke auf den monotongrauen Asphalt zauberten.
Die asiatischen Touristen, die mit ihren Kameras alles und jeden knipsen, das aus der Norm fällt, um zuhause ihren Freuden und Verwandten das „komische Deutschland“ zu zeigen.
Jeder einzelne rauscht in einer Welle aus Menschen und Eindrücken, die mich umspült, an mir vorbei.
Mit zügigen Schritten durchpflüge ich mit meiner Freundin am Arm das Gedränge in der Hohe Straße, vorbei an Läden, Verkaufsständen und Obdachlosen. Wir wissen nicht so genau, wohin wir wollen, aber ich weiß, dass ich noch nicht alles gesehen habe. Vieles, ja. Aber noch nicht alles, was ich suche.
Wir biegen um die nächste Ecke und ich halte meine Augen offen, mustere Schaufenster, Gesichtsausdrücke und Reklameschilder. Ich weiß längst nichtmehr wo wir sind, als ich plötzlich stehen bleibe und das Gefühl habe, ganz nah dran zu sein. „Hörst du das auch?“, sage ich mehr zu mir selbst, als zu meiner Freundin und auch sie bleibt stehen, zuckt dann mit den Schultern und sagt „Nur ein Straßenmusiker wahrscheinlich“.
Ich lasse mich nicht irritieren und sage abwesend „Komm mit“; stürme ohne Antwort abzuwarten los. Teile die Menschenmenge und bahne uns schmale Wege durch sie hindurch. Ich folge nicht mehr, als meinem Gehör, stoße den letzten Passanten unsanft aus meinem Weg… Und stehe dann vor dem Ziel, zu dem mich mein akustisches Navigationssystem geführt hat.
Mein Ziel ist männlich. Groß, wahrscheinlich um die 19 und hat blassgrüne Augen, die mich ganz kribbelig machen. Seine blonden Haare stehen ihm trotzig vom Kopf ab, während er euphorisch die Saiten seiner Gitarre anschlägt und fröhlich, mit irischem Akzent ein englisches Gute-Laune-Lied zum Besten gibt. Selbst geschrieben, vermute ich.
Vor seinen Schuhen liegt ein aufgeklappter Gitarrenkoffer. Es befindet sich nicht viel darin.
Während meine Begleitung sich über seine Art das Wort „flashes“ auszusprechen lustig macht und mir erheitert ins Ohr kichert, stehe ich 3 Meter von ihm entfernt und kann mich nicht dazu überwinden, weiterzugehen.
Er blickt mir in die Augen und lächelt mich an, während er singt, was mir das Gefühl gibt, dass er seine Zeilen mir widmet. Eine Mischung aus Faszination, aufgewühlten Erinnerungen und leiser Zufriedenheit lässt mich ihm ein kleines Lächeln zurückgeben und als er den letzten Akkord gespielt hat, lache ich noch ein bisschen mehr und applaudiere neben meiner Begleitung und einem weiteren stillem Beobachter als Ein-Mann-Publikum.
Er wirft mir einen dankbaren Blick zu, verbeugt sich kurz und charmant vor uns Dreien, dreht dann prüfend an den Wirbeln seiner Gitarre und stimmt das nächste Lied an. Ich bin verzaubert und plane schon für die nächsten Stunden hier stehen zu bleiben, doch noch bevor er angefangen hat, zu singen und er mitten im Intro steckt, stürmt meine gelangweilte Begleitung voran und zieht mich an der Hand hinter sich her. Ich bin so überrumpelt, ich laufe einfach mit. Kann nichts sagen, werfe nur einen Blick zurück, der verwirrt und fragend erwidert wird.
Schon finde ich mich im Menschenmeer wieder und ich bin abermals nur noch eine unter vielen.
Wir gehen, doch meine Gedanken lasse ich vor seinen Füßen zurück.
Als ich später allein zurückkehre, ist sein Platz leer. Sachen gepackt und weitergezogen, sagt der Mann aus dem Laden gegenüber und mit einem undefinierbarem Gefühl in der Brust schleppe ich mich zurück zu den Domtreppen, an denen meine Freundin schon ungeduldig auf mich wartet.
„Wo warst du denn?“, fragt sie und ich lasse mich neben ihr auf den abendsonnengewärmten Steinstufen nieder. Meine Füße tun weh.
„Ich habe mein Bild komplettiert“, sage ich.
Auch wenn ich ihn nicht wieder gefunden, nicht mit ihm geredet habe, durch etliche Straßen gestreift bin und ich mich unglaublich müde fühle.
Seine Stimme, sein Lächeln und sein Blick, als ich ging sind die Eindrücke, die diese Stadt in meiner Erinnerung am meisten geprägt haben.