Auf den Punkt gebracht

Satire zum Thema Sex/ Sexualität

von  Sylvia

Generationen von Männern wachsen in dem Glauben auf, sie müssten den ominösen G-Punkt der Frau finden, um ihr einen alles erfüllenden, utopisch genialen und geilen Orgasmus zu bescheren. Die Suche nach dem G-Punkt kann lebensgefährlich sein. Und wer jetzt denkt, das Gefährlichste sei der Vaginismus (Scheidenkrampf), der irrt gewaltig.
Männer wühlen und fingern sich, mehr oder weniger erfolgreich, durch den Uterus, um den Punkt zu stimulieren. Presse und Fernsehen erörterten das Thema nebst Suchbeschreibung so ausgiebig, bis selbst der Frau suggeriert wurde, sie hätte einen. Ist das so?

»Ich habe heute gelesen, dass jede Frau einen G-Punkt hat, also will ich ihn finden.«

Besitzt sie tatsächlich einen Punkt den sie nicht kennt? Den sie bisher nie wahrnahm, weil sie ihn noch nicht entdeckte? Es steht schwarz auf weiß vor ihrer Nase. Sie knickt die Ecke der Zeitschrift um. Wenn sie keinen findet, ist sie dann abnormal oder keine richtige Frau? Bisher empfand sie Spaß und Lust am Sex, sogar an neuen Praktiken. Nun zweifelt sie.

»Wieso das denn? Du befriedigst mich voll und ganz.«
»Das höre ich gerne, doch mein erklärtes Ziel ist es, ihn aufzuspüren«, begründet er.

Seine Ziele verfolgt er beharrlich. Ohne Erfolg wäre es widersinnig sich überhaupt Ziele zu setzen. Mit der theoretischen Anleitung in der Hand, positioniert er sich auf der imaginären Startlinie im Flur des Hauses. Seine Suchaktion benötigt Vorbereitungen für die praktische Umsetzung. Achtsam betrachtet er die Zimmer. Treppe? Zu kalt. Couch? Zu schmal. Fußboden? Zu hart. Badewanne? Nee, die Gebrauchsanleitung könnte ins Wasser rutschen. Bett? Ja, das ist gut. Er besorgt sich eine zusätzliche Leselampe, Gleitgel, Vibrator, Q-Tipps und Handtücher, für den Notfall. Perfekt, denkt er zufrieden.

»So, meine Blüte, wir können sofort anfangen. Ich bin bereit.«
»Und wenn ich keinen habe?«
»Papperlapapp, natürlich hast du einen. Du bist doch eine normale Frau. Er liegt halt sehr versteckt, doch das wird ab heute geändert, meine Blüte.«
»Ich bin da etwas skeptisch. Wir könnten meinen Gynäkologen fragen?«
»So weit kommt es noch. Hältst du mich für einen Versager? Du glaubst doch nicht, ich sehe tatenlos zu, wie der Mann meinen Punkt entdeckt und ich als Trottel dastehe? So, lege dich bitte hin und spreize die Beine.«
»Ich finde das jetzt irgendwie doof. Mir fehlt das Küssen und Streicheln. Ich will mit dir schlafen und mich nicht wie ein Berg fühlen, der von dir bestiegen wird, nur um am höchsten Gipfel eine Siegerfahne aufgesteckt zu bekommen.«
»Argh, wieso machst du es so kompliziert? Sehe es doch mal anders. Ich bin Christoph Kolumbus, der neues Land bereist und du bist der Ozean, der mich hinführt. Wir können später noch Zärtlichkeiten austauschen. Wenn ich weiß, wo dein Punkt ist, kann ich ihn gezielt stimulieren. Also entspann dich, meine Blüte, ich mach den Rest.«

Entspannen? Selbstredend entspannt die Frau sich, wenn sie seziert wird. Was macht sie, wenn er nicht fündig wird? Er wird enttäuscht sein und sie fühlt sich dann wie ein 'Das'. Geschlechtslos. Keine ganze Frau, eine Frau mit fehlendem Punkt. Er will eine Punkt-Frau und keine ohne-Punkt-Frau.

Gezielt stürzt er sich auf die Vagina und schiebt sachte einen Finger rein. Vorsichtig drückt er seine Umgebung ab, wobei er sie beobachtet. Sein Abenteuer beginnt und er wird nervös. Wenn er so flott vorankommt, kann es nicht lange dauern, bis er fündig wird. Er führt einen zweiten Finger ein, bevor er sich vorantastet. Jederzeit bereit, sich zurückzuziehen, wenn es kritisch wird. Und es ist gerade ziemlich kritisch.

»Du quetscht meine Finger ein, weil du verkrampfst. Lass dich fallen.«
»Wenn ich mich lockere, dann klappen meine Beine zusammen. Willst du das?«
»Aua, verdammt noch mal. Es wäre hilfreich, mit dem Zappeln und Lachen aufzuhören. Du solltest lieber in dich gehen, um zu spüren, ob ich am Punkt bin.«
»Ich fühle nur unangenehmen Druck. Wenn du da weitermachst, dann scheuere ich dir eine.«

Sie spürt nicht wirklich etwas. Lustlos fragt sie sich, ob sie keine richtige Frau sei. Dieser Gedanke quält und verunsichert sie. Hatte sie sich vielleicht belogen, weil sie sich für aufgeschlossen und neugierig hielt? Sagten die Partner, die ihr versicherten, Spaß mit ihr gehabt zu haben, die Wahrheit? Ein beschämendes Gefühl schleicht sich über ihren Rücken zum Gesicht. Am liebsten täte sie sich verkriechen.

Frustriert überprüft er, ob er der Anleitung gefolgt ist. Vielleicht liegt ihr Punkt woanders? Womöglich in versteckten Nischen oder unter Falten verborgen? Nun gut, es spornt seinen Ehrgeiz an. Hindernisse gibt es, um sie zu überwinden, auch, wenn es schwieriger ist als gedacht. Er ist derjenige, der vorm Vulkan steht, bis er ausbricht. Er ist derjenige, der sich in die Tiefen abseilt, um dem Unbekannten ins Auge zu blicken. Dafür würde er noch tiefer als Tief gleiten.

»Okay, ich schiebe die Finger noch ein Stückchen höher.«
»Oh, du hast ihn gefunden wie mir scheint. Mmh, das fühlt sich gut an.«
»Ernsthaft?«
»Ja, wunder, wunderschön. Bleib dort und streichle mich weiter. Ich komme gleich.«

Aufregung macht sich in ihm breit. Seine Brust schwillt vor Stolz an. Er hat es geschafft, jubelt er. Nun weiß er, wo der Punkt ist und er weiß, dass der Punkt ebenfalls weiß, dass er es weiß. Seine Jagd, sein Sprint und Tauchen lohnten sich. Er würde sogar fliegen, um die Herrschaft über den Punkt zu erlangen. Fest steht er auf dem Epizentrum des Bebens. Mutig geht er dem Tornado entgegen, um sich mitreißen zu lassen. Langsam wühlt sich Misstrauen durch seine Brust. Sie ist knochentrocken.
»Da stimmt doch was nicht, meine Blüte. Warte, ich nehme Gleitgel dazu.«

Sie spürt, außer Unmut, nichts. Alles überwältigender Orgasmus, fragt sie sich, so ein Bullshit. Momentan wähnt sie sich am südlichsten Punkt des Südpols. Dagegen wäre ein Gletscher heiß. Punkt ist vorbei und begraben.
»Nein, verschwinde mit deinem Zwei-Finger-Suchsystem.«

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(12.09.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Sylvia meinte dazu am 12.09.10:
Oh Gerda, ich würd ja gerne wissen, was sie dazu sagt...0)
Satire oder Nonsens?....ich bin da selbst noch nicht so im Reinen....Parodie würde evtl. auch noch gehen....grübel...

danke dir und viel Spaß mit deiner Freundin
Sylvia
wishfulthinking (45)
(12.09.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Sylvia antwortete darauf am 12.09.10:
Was hat er gesagt? Ist er jetzt geheilt oder geimpft? lächel
Danke dir
Sylvia
wishfulthinking (45) schrieb daraufhin am 12.09.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Sylvia äußerte darauf am 13.09.10:
Das ist gut....üben macht ja Spaß, wenn es nicnt aus dem Ruder läuft....lach dich an
wishfulthinking (45) ergänzte dazu am 13.09.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
starfish8305 (49)
(12.09.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Sylvia meinte dazu am 13.09.10:
Hallöle Ralf,

hab mal den G-Spot gegoogelt, kannte ich noch gar nicht. Aber du hast Recht, es wäre natürlich noch eine zusätzliche Stufe...lach dich an...
Danke dir
lieben Gruß
Sylvia

 Sylvia meinte dazu am 13.09.10:
Huhu Dirk,

ich bin mir sicher, das ich mich inkognito unter die Pfadfinder hätte mischen können-...lä

Die anderen Punkte, die ich ursprünglich in den Text hatte sind nicht verloren...sie werden ihre Beachtung finden.

Danke dir sehr
lieben Gruß
sylvia

 Liadane (12.09.10)
Oh man, Männer!
Ich würd ja lachen, wenn`s nicht so traurig wär!
Erinnert ein wenig an erste Doktorspielchen,
da bekommt man echt Mitleid mit der Protagonistin.
Grinsen musste ich sehr über den letzten Satz,
lg, Li

 Sylvia meinte dazu am 13.09.10:
Huhu Li,

Kinder - Doktorspiele sehen wohl doch noch etwas anders aus...lächel...nicht mit einer Vorbereitung sondern eher spontan...

Aber eigentlich können einem beide leid tun...0)

Danke dir
lieben Gruß
Sylvia
steyk (57)
(12.09.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Sylvia meinte dazu am 13.09.10:
Danke Stefan,
besser ist es vielleicht, das ominöse weg zu lassen....grins

Hab einen schönen Wochenstart
Sylvia

 Emotionsbündel (12.09.10)
Sein Abenteuer beginnt und er wird nervös. Wenn er so flott vorankommt, kann es nicht lange dauern, bis er fündig wird. Er führt einen zweiten Finger ein und tastet sich vorwärts. Jederzeit bereit, sich zurück zu ziehen, wenn es kritisch wird.

Aufregung macht sich in ihm breit. Seine Brust schwillt vor Stolz an. Er hat es geschafft. Er weiß, wo der Punkt ist und er weiß, das der Punkt weiß das er es weiß. Seine Jagd, sein Sprint und sein Tauchen haben sich gelohnt. Er würde sogar fliegen um die Herrschaft über den Punkt zu erlangen.
Er steht auf dem Epizentrum des Bebens, er geht dem Tornado entgegen um sich mitreißen zu lassen.


Herrlich diese beiden Stellen, Sylvia *gg*

Man sieht "ihn" förmlich als Einzelkämpfer agieren - unterwegs im "Zonengebiet", auf der Suche nach "dem" Punkt
Für "sie" hätte ich mir noch die tröstliche Sache mit dem GPS gewünscht, demnach der G-Punkt möglicherweise auch außerhalb des Körpers zu finden ist - war es nicht so?

Witziger Text. G-lungen. Der Spot ist hot.

Liebe Grüße, Judith
(Kommentar korrigiert am 12.09.2010)

 Sylvia meinte dazu am 13.09.10:
Huhu Judith,

ja, du erinnerst dich richtig. GPS und außerhalb sind weitere Punkte, die erstmal, in diesem Text nicht umgesetzt sind aber nicht aus dem Kopf. Die Verbindung zu den anderen Punkten wird irgendwann noch folgen...lach...erstmal musste ja ein Anfang her...
Es freut mich, dass Dirk und du, ihr euch an den Text erinnert.#
Ich sehe mich schon inmitten einer Pfadfindergruppe um zu zeigen, wie es mit dem Weltfrieden funktionieren könnte...0))))

Danke dir und
hab einen schönen Wochenstart
drücke dich
Sylvia

 Lala (14.09.10)
Hallo Sylvia,

der Text ist gut geworden. Du schweifst nicht ab und bleibst bei der Situation und Du versucht eine Balance zwischen Tragik und Komik herzustellen. Der „Grubenarbeiter“, der „Jugend Forscht Adept“ er ist zum lachen. Das reizt Du auch aus. Die bildhafte Vorstellung dieses „Doktorspiels“ wirkt auf mich schon allein grotesk.

Gleichzeitig entwickelt der Text eine Atmosphäre wie auf dem Gynäkologenstuhl, als ginge es um eine Abtreibung. Da ist dann eine Bitterkeit, die einen jähen Kontrast zu der derberen Komik der männlichen Forschungsarbeit bildet und es fehlen am Ende auch nicht die Tränen und der Zorn. Da kippt der Text endgültig in die Ernsthaftigkeit. Und unaufgelöst und bitter, bleibt der dreimal wiederholte Spruch: keine richtige, keine ganze Frau zu sein, bestehen.

Diese Unentschiedenheit spiegelt sich auch in der Form. Ist es ein Essay? Nein. Eine Glosse? Eher. Aber durch den auktorialen Stil für meinen Geschmack, zu distanziert. Eine Geschichte? Eine Glosse und eine Geschichte? Mögen sich gelehrte darüber streiten. Zu mixen, muss ja auch nicht schlecht sein, sich einer Form zu beugen, ist kein Muss. Der Inhalt prägt das Gefäß.
Bei diesem Text, und vielleicht ist das auch so beabsichtigt gewesen, fällt der Vorhang und ich frage mich: Soll ich darüber lachen oder weinen, glauben die jetzt an den G.Punkt oder nicht? Sex ist keine Wissenschaft oder zwei Finger reichen eben nicht? Die Fragen bleiben offen. Nur eines, da bin ich mir sicher, bei so einer Versuchsanordnung würde ich – egal in welcher Rolle - nie mitmachen.

Gruß

Lala

 Sylvia meinte dazu am 14.09.10:
Huhu Lala,

ich bin mal wieder sehr erstaunt über deine Fähigkeit, dich in Texte einzulesen. Mich freut es aber es erschreckt mich auch. Erschrecken deswegen, weil du genau das erkannt und geschrieben hast, was mich bei dem Text (so nenne ich es mal ohne fachliche Einordnung, da ich meine, es vereint mehr.) sehr beschäftigt hat. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich meinen, du hättest mir über die Schulter geguckt….lächel*

Ich war beim Schreiben tatsächlich unentschlossen, deswegen die radikale Trennung der Absätze mit den jeweiligen Protagonisten und der Dialoge.
Einmal die Seite des Forschens um evtl. Ergebnisse zu erzielen und einmal die Seite des Erforschens auf eine spielerische liebevolle Art und Weise. Eine Seite setzt sich durch und somit wird es für die andere Seite wie eine Arztuntersuchung. Nur, dass es dabei um ein Pärchen geht und nicht um ein Patient-Arzt Verhältnis.
Das Motto könnte auch lauten: aus Spaß wird Ernst.
Somit ist die Frage, gibt es jetzt einen G Punkt? Auch nicht eindeutig zu beantworten.
Für den Mann gibt es ihn, für die Frau nicht.
Klasse finde ich, dass du die „Wiederholung“ erwähnst, sie sind nicht einfach so platziert. Diese Wiederholungen suggerieren etwas. Gerade bei Pärchen oder intimen Beziehungen, kann Frau/Mann durch saloppe Sprüche Unsicherheiten und Zweifel auslösen, die dem Gegenüber ziemlich zu schaffen machen. Es ist nicht bewusst, doch eine unbewusste Schuldzuweisung, die verheerende Auswirkungen haben kann! Es ist wie einen Stachel zu pflanzen, den man nicht los wird.
In diesem Text: sie zweifelt überhaupt daran diesen Punkt zu haben und macht sich Sorgen, was mit ihrer Beziehung sein wird, wenn sie diesen Punkt nicht hat. Anstatt ehrlich anzusprechen, wie tief die Angst wirklich sitzt, kratzt sie nur oberflächlich ihre Bedenken an. Und er sagt ihr salopp: „du bist doch eine normale Frau“, mit dem Satz setzt er sie unter Druck und sie zweifelt immer mehr an sich.

Danke dir sehr, auch für deine Anstuppser...0))
Lieben Gruß
Sylvia

 princess (01.12.17)
Ich bin mir sicher, dass der hier gesuchte ominöse Punkt ein springender Punkt sein muss. Also einer, der hin- und herhüpft. Sonst wäre es ja wohl kaum so schwer, ihn zu finden. :-p

Ich habe mich hervorragend amüsiert, Sylvia! Ein witziger Text, den zu lesen wirklich Freude macht.

Liebe Grüße
Ira

 Sylvia meinte dazu am 01.12.17:
Beim Schreiben fühle ich immer mit und bei diesem Text musste ich selbst herzhaft lachen :)
Es freut mich, dass er immer noch Freude bereitet.

LG Sylvia
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram